Die Sammlung von Kunststoff ist sinnvoll – im Kanton Tessin gibt es allerdings Uneinigkeit darüber, wie das geschehen soll.

Plastikrecycling: Druck der Gemeinden zeigt Wirkung

08.05.2023
5 l 2023

Der Kanton Tessin hat eine Sammelpflicht für zwei Haushaltskunststoffe ab Juni 2023 erlassen – für die Gemeinden überraschend. Nach Kritik zeigt der Kanton nun bei der Umsetzung der neuen Verordnung etwas Flexibilität.

Grundsätzlich herrscht Einigkeit: Die Sammlung und das Recycling von Haushaltskunststoffen ist eine gute Sache. Doch im Detail gibt es immer wieder Probleme, wie die jüngsten Entwicklungen im Tessin zeigen. Dort hat das Bau- und Umweltdepartement des Kantons (DT) im November 2022 – etwas überraschend – entschieden, für alle Gemeinden die Pflicht zur Sammlung von Haushaltskunststoffen ab dem 1. Juni 2023 einzuführen. Bisher war die Sammlung fakultativ und dem Willen der einzelnen Gemeinden überlassen. Gemäss der Vorschrift des Kantons sollen in allen Gemeinden einzig zwei Plastikarten obligatorisch getrennt gesammelt und recycelt werden: Polypropylen (PP) und Polyethylen (PE).

Die neue Vorschrift hat bei den Gemeinden für Verunsicherung gesorgt, insbesondere wegen der vorgesehenen Deadline. «Die Umsetzung auf Juni ist nicht machbar», sagt Felice Dafond, Gemeindepräsident von Minusio und Präsident der Vereinigung Tessiner Gemeinden (ACT) sowie Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gemeindeverbands.

Bereits im November 2022, unmittelbar nach dem Entscheid des zuständigen Departements, schrieb die ACT einen geharnischten Protestbrief an den Departementschef Claudio Zali. «Mit grossem Erstaunen und grosser Enttäuschung» habe man von der neuen Vorschrift Kenntnis genommen, denn in den Entscheid seien die Gemeinden nicht vorab einbezogen worden, also genau die Institutionen, welche die Vorschrift umsetzen müssten. Erinnert wird auch daran, dass die Gemeinden ihre Budgets für das Folgejahr bis Ende Oktober verabschieden müssen. Eine Vorschrift, die neue Kosten generiere, dürfe daher nicht so kurzfristig kommuniziert werden. Das von Dafond unterzeichnete Schreiben endet mit der Feststellung, dass die Änderungen nicht vor dem 1. Januar 2024 umgesetzt werden könnten.

«Die Umsetzung der Sammelpflicht auf Juni ist nicht machbar.»

Felice Dafond, Gemeindepräsident von Minusio und Präsident der Vereinigung Tessiner Gemeinden (ACT)

Nicht alle Kunststoffe recyceln

Das war nicht die einzige negative Reaktion auf den Entscheid des Kantons. Das Observatorium für eine umweltfreundliche Abfallbewirtschaftung (Okkio) störte sich daran, dass der Kanton die separate Sammlung von Kunststoffen einzig auf die Typen PP und PE begrenzen will. Auf diese Weise können laut Okkio nur 15 bis 20 Prozent der Kunststoffe recycelt werden. In einer Petition wurde darauf verwiesen, dass rund 20 Gemeinden im Kanton auf den Sammelsack setzen, der schweizweit verbreitet ist und für alle Kunststoffarten gilt. Bei diesem System wird das Plastik in einem Zentrum in Vorarlberg (Österreich) getrennt und danach in der Schweiz recycelt. Einzig der nicht wiederverwertbare Teil (20 bis 30 Prozent) lande in Zementwerken oder Verbrennungsanlagen. Explizit erwähnt wird Bellinzona, das als eine der ersten Gemeinden im Kanton den Sammelsack eingeführt hat (siehe Kasten).

Ebenfalls Kritik gab es am Entscheid des Kantons, die Kosten für die getrennte Plastiksammlung über eine Anhebung der Abfallgrundgebühren in den Gemeinden zu finanzieren. Dies widerspreche dem Verursacherprinzip, was bei der Bewirtschaftung von Abfällen leitend sein solle.

Flexibilität bei der Umsetzung

Eine Anfrage von Grossrat Carlo Lepori (SP) und mehreren Mitunterzeichnern nahm diese Bedenken auf, doch der Kanton hat seine Position nicht geändert. Wie in der Antwort vom 15. März 2023 nachzulesen ist, geht der Kanton davon aus, dass der Sammelsack diverse Nachteile mit sich bringt. «Auf Grundlage einer Studie zeigt sich klar, dass die Wiederverwendung von zwei Plastiktypen (PE und PP) nicht nur möglich, sondern auch ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist», heisst es. Der Kanton bestätigt folglich, dass er – im Gegensatz zum Sammelsack – eine kantonale Lösung finden will, wobei dies auch den Bau einer eigenen Wiederverwertungsanlage impliziert. Damit sollen insbesondere lange Camiontransporte von Plastikabfällen quer durchs Land verhindert werden.

Immerhin im Hinblick auf die Frist zur Umsetzung des Obligatoriums für die Gemeinden zeigt der Kanton etwas Entgegenkommen. Im Antwortschreiben auf den erwähnten Protestbrief des Tessiner Gemeindeverbandes erklärt das Bau- und Umweltdepartement, «dass den Gemeinden eine gewisse Zeitspanne eingeräumt wird, falls sie den Termin vom 1. Juni 2023 nicht einhalten können».

Bellinzona setzt auf den Sammelsack

In Bellinzona sind 13 Gemeinden im Jahr 2017 zu einer neuen Stadt fusioniert. Dies erforderte eine Neuorganisation der Abfallbewirtschaftung. Im Jahr 2019 wurde – auch auf Druck aus der Bevölkerung – ein System zur separaten Sammlung von Haushaltskunststoffen eingeführt: der Sammelsack. Zuständig ist die Firma RS Recupero Materiali SA in Rivera-Bironico. Dem Auftrag vorausgegangen war eine vom Kanton mitfinanzierte Ökostudie, die einige, aber eher marginale Vorteile der separaten Plastiksammlung aufzeigte.

Tatsache ist, dass die Bevölkerung das neue Angebot gut angenommen hat. Der Erfolg lag sogar über den Erwartungen. Im Jahr der Einführung 2019 wurden 127 Tonnen Haushaltsplastik gesammelt, 2020 waren es 160 Tonnen, 2021 153 Tonnen und 2022 dann 133 Tonnen. Der jüngste Rückgang kommt nicht ganz überraschend, weil die Stadt ihre Subventionen für den Sammelsack aufgehoben hat. Anfänglich bezahlten die Bürgerinnen und Bürger dank dem Zustupf nur Fr. 2.15 für den Sammelsack, seit 2022 sind es Fr. 2.50. Der Preis ist damit gleich hoch wie ein herkömmlicher Kehrichtsack. Für die Nutzer hat die Sammlung von Plastik somit keinen Kostenvorteil mehr, zudem müssen sie die Säcke zu einem der vier Abfallsammelzentren der Stadt bringen.

Für die Stadt ist das bisherige System kostenneutral. «Wir stellen einzig den Platz in unseren Sammelzentren zur Verfügung», sagt Daniele Togni, der für die Abfallbewirtschaftung der Stadt Bellinzona verantwortlich zeichnet. Die Firma RS verkauft die Säcke, kassiert das Geld ein und holt alle drei Wochen die Presscontainer an den Sammelstellen ab. Togni geht davon aus, dass die Stadt Bellinzona mit dem Sammelsack wahrscheinlich schon die neue Norm des Kantons erfüllt. Auf alle Fälle werde man alternative Angebote prüfen, welche die Sammlung und die Wiederverwertung von nur zwei Haushaltskunststoffen beinhalte, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitschrift.

Gerhard Lob
Freier Mitarbeiter
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