wir-bringens.ch: So wird in Burgdorf eingekauft
Der Hauslieferdienst der Stiftung intact in Burgdorf (BE) entlastet im Alltag und hilft gleichzeitig Menschen bei der Arbeitsmarktintegration. Finanziert wird das Angebot von der öffentlichen Hand, der Wirtschaft und den Kunden. Auf Tournee mit einem Kurier.
9.20 Uhr in Burgdorf: Ein Mann knüpft in einem Supermarkt zwei Einkaufstaschen mit aufgeklebten QR-Codes zu, klebt an beide einen Lieferschein mit der Adresse und dem Namen der Empfänger und stellt die Tüten in ein Regal. «Ich habe für meine Schwiegereltern eingekauft und gebe die Taschen nun dem Hauslieferdienst mit», erklärt er. Er kauft zwar gerne für sie ein, doch nicht immer hat er Zeit, die Einkäufe auch selber vorbeizubringen. Dass er dies dem Lieferdienst der Stiftung intact überlassen kann, bezeichnet er darum als grosse Erleichterung. «Meine Schwiegereltern haben ein Abonnement für den Hauslieferdienst von intact, so habe ich auch mit der Bezahlung dieses Angebotes nichts zu tun.»
Kaum ist der Schwiegersohn mit seinen eigenen Einkäufen auf seinem Velo entschwunden, betritt ein Mann mit Velohelm und einer Jacke mit rotem Logo den Laden. «Oj», entschlüpft es ihm spontan, als er die schwere Tasche aus dem Regal hievt. Er arbeitet für die Stiftung intact im Rahmen eines Programms zur Arbeitsmarktintegration derzeit als Kurier für den Hauslieferdienst. Zwei Einkaufstaschen oder maximal 20 Kilo sind das Maximum einer Lieferung. Der Kurier scannt die Taschen ein, sie werden neu auf der App «viaVelo» mit einem QR-Code erfasst und lösen nach und nach den Lieferschein ab. Anschliessend bringt der Kurier sie im Anhänger seines E-Bikes in die Zentrale beim Bahnhof Burgdorf.
Bis zu 200 Einkaufstaschen pro Tag
Er ist als «Zubringer» unterwegs. Während seiner Schicht, die insgesamt acht Arbeitsstunden am Tag umfasst, holen er und seine Kollegen zwischen 110 und 200 Taschen in den Partnergeschäften des Hauslieferdienstes ab. Dazu gehören Grossisten wie Coop und Migros und auch Detailhändler in Burgdorf, beispielsweise Apotheken. Immer öfter transportiert der Hauslieferdienst auch Einkäufe, die in Hofläden der Region getätigt wurden. Rund 40 Verkaufsstellen sind Partner von intact.
10 Uhr: Die Zentrale des Heimlieferdienstes gleicht einem Taubenschlag: Die einen bringen als Zubringer ihre Taschen, scannen deren QR-Codes und stellen sie dann in das Regal der Wohnzone, in welcher die Ware ausgeliefert werden muss. Der Umschlagplatz ist Teil der Mobilitätszentrale der Stiftung intact. Hier werden ebenfalls parkierte Kunden-Fahrräder bewacht sowie die Angebote Renta Bike und Mobility-Autos betreut. Unter dem gleichen Dach sind auch Büro- und Aufenthaltsräume sowie ein Laden mit Produkten, welche die Stiftung intact herstellt, untergebracht.
«Ist das alles?», wird in der zugigen Halle wiederholt gefragt. Es gilt, die Anhänger möglichst gut zu füllen und damit die Zahl der Fahrten zu reduzieren. Pro Monat sind es rund 2000 Lieferungen in Burgdorf und Umgebung. Im Jahr werden rund 500 bis 600 Haushalte angefahren. Corona hat die Zahlen erhöhft: Es werden rund 15 Prozent mehr Taschen ausgeliefert als in den Vorjahren.
Marktnahe Dienstleistungen, moderne Infrastruktur
Patrick Tinner, Leiter der Mobilitätszentrale Burgdorf, sagt: «Wir helfen den Programm-Teilnehmenden, fit für den ersten Arbeitsmarkt zu werden. Wir trainieren mit marktnahen Dienstleistungen und aktueller Infrastruktur, wie die App viaVelo oder E-Bikes.» Patrick Tinner sowie der Arbeitsagoge Yves Bichsel sind auch selbst immer wieder einmal als Kuriere unterwegs: Nicht nur zur Unterstützung und Begleitung, sondern auch, wenn wegen Ausfällen «Not am Mann» ist (90 Prozent der Velo-Kuriere in Burgdorf sind Männer). Die Kuriere müssen allerdings wetterfest und fit sein, auch wenn sie mit E-Bikes unterwegs sind. Immerhin legen sie zwischen 20 und 70 Kilometer pro Arbeitstag zurück, und das Emmental hat bekanntermassen viele Hügel.
Die Stiftung intact hat Leistungsverträge mit der öffentlichen Hand. Diese ermöglichen die Einstellung von agogisch geschultem Personal zur Begleitung der Teilnehmenden. Denn durch den Beitrag der Kunden und Läden alleine könnte dieser Hauslieferdienst nicht finanziert werden. Tinner sagt: «Ein Velo-Kurierdienst, der innerhalb einer Stadt tätig ist, muss für eine Lieferung mindestens 14 Franken erhalten, um selbsttragend zu sein. Wir erhalten pro Lieferung aber nur 6 Franken».
Yves Bichsel, der in der Mobilitätszentrale von intact bereits seinen Zivildienst geleistet hat, drängt zur Eile: Die Taschen müssen innerhalb von zwei Stunden bei den Besitzerinnen und Besitzern abgeliefert werden, und heute ist er selbst im Einsatz. Ein Blick in die App und auf das Navi: und los geht es. Es regnet, Yves Bichsel legt auf dem E-Bike einen Zacken zu. Um 10.35 Uhr klingelt der Kurier unten an der Eingangstüre, der Summton ertönt, im ersten Stock öffnet sich die Wohnungstür. «Danke, dass Sie da sind», begrüsst die Frau den Kurier. Sie stützt sich auf einen Rollator. «Wo darf ich die Taschen hinstellen?», fragt Yves Bichsel. Doch schon kommt der Ehemann und nimmt Bichsel die leichtere der beiden Taschen ab. Bichsel nutzt die Gelegenheit und zeigt dem 86-Jährigen die «viaVelo»-App. Seine Frau sag: «Wir hatten nie ein Auto. Und auch wenn wir zentral wohnen, gönnen wir uns seite langem den Luxus, uns schwere Lasten nach Hause liefern zu lassen. Dass mein Schwiegersohn, der für uns die Einkäufe erledigt, die schweren Taschen nicht auch noch schleppen muss, erleichtert es uns, seine Hilfe annehmen zu können.» Und d ass sie so auch noch Menschen bei der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt helfen können, erlebt das Ehepaar als zusätzlichen Gewinn. Zudem sei der Einkaufsdienst dank den Velo-Kurieren auch umweltfreundlich. Apropos Umweltfreundlichkeit: «Die Kuriere nehmen auch unsere Recyclingabfälle mit, das ist so praktisch.» Kurier Yves Bichsel verabschiedet sich, das Paar hält den Schwiegersohn umgehend per WhatsApp auf dem Laufenden: «Alles da, danke»!
Die Mobilitätszentrale der Stiftung intact digitalisiert sich mit der «viaVelo»-App
Die Stiftung intact will erwerbslosen Menschen eine sinnvolle Beschäftigung, ein soziales Netzwerk und Unterstützung bei der beruflichen Integration bieten. Was als Arbeitslosenprojekt begann, ist heute ein Betrieb mit drei Standorten im Emmental und unterschiedlichsten Einsatzmöglichkeiten. Unter anderem gibt es eine Fahrradwerkstatt, Textil- und Keramikatelier sowie einen Gastronomiebereich. 1997 wurde in Burgdorf der schweizweit erste Velo-Hauslieferdienst von der Stiftung intact, damals noch unter dem Namen Bewachte Velostation der IG Velo Burgdorf, eingeführt. In der Mobilitätszentrale sind bis zu 25 Teilnehmende des Programms für die berufliche Integration tätig. Davon sind pro Tag fünf bis sechs Fahrer nur für den Hauslieferdienst unterwegs. Das Leitungsteam besteht insgesamt aus vier Personen. Der agogische Aufwand für die Programmteilnehmenden wird über die Leistungsverträge mit den Gemeinden und dem Kanton gedeckt.
Ab sofort scannt die Kundschaft des Heimlieferdienstes der Stiftung intact Burgdorf die Lieferung mit der App «viaVelo» ein. Mittels QR-Code werden sowohl die einzelnen Taschen wie auch das Partnergeschäft von Intact wie etwa Coop, Migros, Denner oder auch kleinere Läden wie Käsereien, Marktstände oder Hofläden erfasst. «Hat die Kundin kein Smartphone zur Hand, übernimmt der Kurier die Erfassung des Lieferscheins», erklärt Patrick Tinner, Leiter der Mobilitätszentrale der Stiftung intact. Denn «zur Koordinierung der Lieferungen sind die Kurierdienste auf digitale Systeme angewiesen». Weil alle Abläufe von der Aufgabe der Tschen über die Lieferung bis zur Abrechnung des Dienstes miteinander verbunden sind und vereinfacht werden können. Die App ermöglicht auch Zusatzdienstleistungen, wie die Mitnahme von Recycling-Gut, und die Verfolgung des Lieferstatus der Taschen.