Winterdienst: digitale Helfer bei Glatteis und Schnee
Ein effizienter Winterdienst setzt eine gute Planung und Organisation voraus. Aber auch eine möglichst genaue Datenlage. Intelligente digitale Systeme unterstützen die kommunalen Werkhöfe bei Glatteis und Schnee.
Morgens um halb vier Uhr entscheidet es sich, ob Remo Graf und seine Kollegen vom Werkhof Berikon (AG) weiterschlafen können oder aufstehen müssen. Der Bauamtsleiter wird in aller Herrgottsfrühe von der Winterdienst-App informiert, ob die Friedlibergstrasse gefroren ist oder nicht. «Diese Strasse im Oberdorf liegt hinter dem Berg, ist stark befahren und erhält tagsüber nur wenig Sonnenstrahlen. Deshalb haben wir hier im Winter häufig Glatteis», erklärt Remo Graf. Vor zwei Jahren liess die Gemeinde Berikon an dieser Stelle eine Messstation mit zwei Bodensensoren errichten.
Die Sensoren messen unter anderem die Wasserfilmdicke, die Bodentemperatur und den schon vorhandenen Salzgehalt. Ebenfalls zur Anlage gehören Fühler, die erhöht neben der Strasse montiert wurden. Sie registrieren die Lufttemperatur, die Luftfeuchtigkeit, den aktuellen Niederschlag, den Luftdruck sowie die Sichtweite. Alle sechs Minuten werden die Werte aktualisiert und vor Ort in einer elektrischen Einheit gespeichert. Via App sind die Daten für die Werkhofmitarbeiter abrufbar. Je nach Wetterwerte löst das System drei Alarmtypen aus: Stufe drei beispielsweise bedeutet, dass die Strasse eisglatt ist und gesalzen werden muss. «Wir machen gute Erfahrungen mit diesem System. Es ist ein grosser Gewinn für uns, denn sonst müssten wir jeden Morgen früh Kontrollfahrten durchführen», sagt Remo Graf. Der Werkhofleiter würde einen Ausbau mit drei bis vier weiteren Stationen im Dorf begrüssen.
Ohne Erfahrungswerte geht es nicht
Auch die Stadt Freiburg arbeitet seit 2019 bereits mit einem smarten Winterdienstsystem. Zwei Bushaltestellen im Schönbergquartier spielen dabei eine Schlüsselrolle: Dort wurden zwei Sensoren im Boden sowie zwei Videokameras installiert. Das System schlägt Alarm, wenn rutschige Strassenverhältnisse drohen. Über ihre Smartphones rufen die Verantwortlichen des Werkhofes die Messwerte der Sensoren ab. Für Marc-André Neuhaus, stellvertretenden Leiter des Strasseninspektorats, sind die Daten der Sensoren jedoch nur eine Entscheidungshilfe, wie er gegenüber der Zeitung «Freiburger Nachrichten» betonte. Die Daten allein bestimmen nicht, ob und wie viele Streufahrzeuge und Mitarbeitende in den Einsatz müssen. Ohne die Erfahrungswerte des Menschen gehe es nach wie vor nicht.
«Dieses System ist ein grosser Gewinn für uns, denn sonst müssten wir jeden Morgen früh Kontrollfahrten durchführen.»
Kosten-Nutzen-Verhältnis beachten
Das Potenzial für intelligente Systeme im Winterdienst sei gross, findet Clemens Baschung, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbandes für Kommunale Infrastruktur. Einige Gemeinden seien derzeit mit der Prüfung solcher Lösungen für den kommunalen Winterdienst beschäftigt. Vor allem Systeme für die Routenplanung, die Wettervorhersagen oder die Einsatzplanung seien für Städte und Gemeinden wertvoll – sofern das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimme.
«Ob sich die Anschaffung eines solchen Systems lohnt, hängt unter anderem von der Grösse und Lage der Gemeinde ab. Zudem darf man nicht vergessen, dass die Winterdiensttage in der Schweiz eher abnehmend sind.» Trotzdem könnten digitale Helfer für den Winterdienst in manchen Gemeinden eine grosse Unterstützung bedeuten. Der sechste Winterdienstkongress, der möglicherweise Ende Mai 2024 stattfinden wird, beschäftigt sich unter anderem mit den Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung auf kommunaler Ebene.
Personal, Fahrzeuge, Material
Als im Winter 2021 der sogenannte «Flockdown» manche Unterländer Werkhöfe stark forderte, zeigte sich, wie wichtig eine vernetzte Organisation des Winterdienstes ist, sei es in den Gemeinden oder auch auf kantonaler Ebene. Da Schneefall bekanntlich keinen Feierabend kennt, sind im Winter oft Überstunden und Nachtschichten nötig. Neben den Werkhofmitarbeitenden braucht es je nach Gemeinde auch private Unternehmen, die alle Schichten abdecken können.
Hier ist eine gute Planung wichtig, um Doppelspurigkeiten oder Missverständnisse zu vermeiden. Auch der Einsatz der verschiedenen Fahrzeuge will koordiniert sein: Welches Fahrzeug kommt bei welcher Route zum Einsatz? Was für Material steht zur Verfügung? Was wird mit der Nachbargemeinde geteilt? Reicht das Streugut, ist der Nachschub aus den Rheinsalinen gesichert? Die Inver®-Winterdienst-App der ewp AG in Affoltern am Albis (ZH) etwa hilft bei der Priorisierung der räumenden Strassen und Trottoirs. Sie unterstützt die Gemeinden von der zeitlichen Berechnung der Routen bis zur Einsatzplanung der Fahrzeuge und Mitarbeitenden.
Effizienter und kostensparender
Die Fachanwendung Winterdienst der Geoinfo Applications AG in Herisau (AR) erlaubt es den Gemeinden, Einsatzrouten und Routenabschnitte digital zu verwalten – für eine optimierte Einsatzplanung des Fahrzeugparks. Die kartenbasierte Anwendung ermöglicht den Werkhofmitarbeitenden die Darstellung der Räumungsrouten nach Unternehmer, Dringlichkeit oder Einsatzart mittels Farbe und Signatur. Dies verschafft ihnen einen Überblick über die geplanten Arbeiten. Wichtige Informationen zu den Routen wie Belagsart oder Routentyp können erfasst und die Einsatzart dokumentiert werden.
«Dank diesem System wird der Winterdienst effizienter und kostensparender», sagt Accountmanager Christian Treml. Die Software sorge für Transparenz und Überblick der Winterdiensteinsätze. Ein weiterer Vorteil sei die Sicherung der Daten und Erfahrungen bei einem personellen Wechsel in der Werkhofleitung: «Dank dem, dass alle Daten digital in der Fachanwendung festgehalten und visualisiert sind, kann man sich schnell einen Überblick über die verschiedenen Prozesse im Winterdienst verschaffen», sagt Christian Treml. Technisch wäre es zudem möglich, die Trackingdaten eines jeden Fahrzeugs und Mitarbeiters zu erfassen. Die Geoportallösung sei für jede Gemeindegrösse geeignet, betont Christian Treml. Rund die Hälfte der Geoportalkunden seien Gemeinden zwischen 1000 und 3000 Einwohnern.
Nicht nur im Winter
Das Warnsystem, das die Werkhofmitarbeiter in Berikon bei Glatteis informiert, liefert übrigens auch im Sommer wertvolle Informationen, beispielsweise über Hitze und Wasser auf den Fahrbahnen, wie Arnaud Varé, Leiter Verkauf von Boschung Mecatronic AG in Payerne (VD), erklärt. Im Fall von intensiver Hitze kann die Bodentemperatur leicht über 50 Grad Celsius steigen. Dies ist für bestimmte Strassenbaumaterialien problematisch, weil sie dann zu schmelzen beginnen. Um die Wirkung solcher Prozesse zu reduzieren, kann man zum Beispiel das Tempolimit für den Verkehr reduzieren. Übermässiges Wasser auf der Strasse birgt bereits ab drei Millimetern Wasser das Risiko von Aquaplaning. Somit leisten die digitalen Helfer auch ausserhalb der kalten Monate einen wichtigen Beitrag für sichere Strassen.