Wie wir Baudenkmäler schützen und Behinderten zugänglich machen
Die Stadtbibliothek in der Altstadt von Brugg (AG) und ein bekiester Schlosspark in Schöftland (AG) zeigen, wie Architektinnen und Architekten bauliche Hindernisse für behinderte Menschen abbauen können. Bei historisch wertvollen Gebäuden und Anlagen braucht es besonderes Geschick, sie hindernisfrei zu machen.
Wie soll eine Rollstuhlfahrerin hier hineinkommen? Fünf Treppenstufen führen zum Seiteneingang der Stadtbibliothek von Brugg (AG). «Für eine Rampe bräuchte es hier 15 Meter – den Platz dafür gibt es aber nicht», erklärt Daniel Christen, Architekt bei Netwerch und als Co-Projektleiter für den Umbau des Effingerhofs verantwortlich. In die ehemalige Druckerei sind Bibliothek und Büros schon eingezogen, bei den Wohnungen sind die Arbeiten noch im Gang.
Der Effingerhof ist kein Baudenkmal, aber als erster Industriebau von Brugg geschichtlich bedeutend. Weil er in der Altstadt und nahe von Baudenkmälern steht, hat die Denkmalpflege des Kantons Aargau den Umbau begleitet. Bei historisch bedeutenden oder geschützten Häusern möchte man möglichst wenig eingreifen; Geh-, Seh- und Hörbehinderte sollen aber auch solche Gebäude nutzen können. Seit 20 Jahren haben sie das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) auf ihrer Seite: Werden öffentlich zugängliche Gebäude, Wohnhäuser ab acht Wohnungen und Gebäude ab 50 Arbeitsplätzen neu gebaut oder saniert, müssen sie hindernisfrei sein. Dies gilt auch für den Effingerhof.
Eine Rampe zeigt Kante
Christen geht um das Gebäude herum zum Haupteingang der Bibliothek an der Storchengasse. Hier gibt es nebst der Treppe eine Rampe aus Beton mit einer vorstehenden Kante. An dieser können Sehbehinderte ihren Stock entlangführen. Im Gegensatz zum Seiteneingang liess sich die Rampe hier gut realisieren. Er zieht die Aussentür nach aussen auf. Auf dem Treppenpodest können Rollstuhlfahrer der Tür gut ausweichen, sagt Christen. «Automatisch öffnende Türen passen nicht zum Charakter des Effingerhofs.» Der älteste Gebäudeteil stammt von 1864, der im 20. Jahrhundert ergänzt wurde.
Die Bibliothek befindet sich im Erdgeschoss. Der abgenutzte Boden und die mächtigen Gusseisenstützen zeugen von der industriellen Vergangenheit. Mit dem Lift fahren wir zu den Wohnungen in den oberen Stockwerken. Der alte Fahrstuhl wurde durch einen neuen ersetzt, der die SIA-Norm 500 erfüllt. Die Norm für hindernisfreies Bauen bestimmt, wie das BehiG umzusetzen ist. In den Korridoren erweist sich die frühere Nutzung als glückliche Fügung: Weil die Drucker ihre Ware auf Rollwagen transportierten, gibt es hier keine Absätze.
In den vier Obergeschossen wurden die Mietwohnungen eingebaut, bis auf fünf sind sie hindernisfrei. Wäre es schwieriger gewesen, den Effingerhof hindernisfrei umzubauen, stünde er unter Denkmalschutz? Christen sagt: «Weisen Gebäude hohe bauliche Qualität auf, sehe ich mich als Architekt so oder so in der Verantwortung, ob sie nun geschützt sind oder nicht.»
Kleine Kiesel für den Fahrkomfort
Anderntags geht die Reise ins Suhrental: Südlich von Aarau in Schöftland (AG) steht ein Schloss, in dem die Gemeindeverwaltung untergebracht ist. Der Park rund um das Herrenhaus von 1660 trägt zum repräsentativen Auftritt bei. Schloss, Park und weitere Gebäude sind Teil eines Ortsbilds von nationaler Bedeutung, und alle Bauten sind entweder kantonal oder kommunal geschützt. Der Park selbst ist zwar nicht geschützt, vom Schlossgeviert aber nicht wegzudenken. Seine Sanierung vor rund 15 Jahren hat die kantonale Denkmalpflege begleitet.
Der Architekt Adrian Kiener hat gemeinsam mit zwei Berufskollegen Teile des Schlossensembles, darunter den Park, saniert. Zusammen mit Stefan Galliker von der regionalen Bauverwaltung führt er den Besucher in die Gebäude und durch den Park. Vom Behindertenparkplatz über den Treppenlift am Hintereingang eines der Pförtnerhäuser bis zur Rampe beim Schlosseingang: Zahlreiche Hindernisse wurden zugunsten Geh- und Sehbehinderter ausgeräumt.
Im Park gehen wir über Kopfsteinpflaster und Kies – für Rollstuhlfahrerinnen sehr anspruchsvoll. Gemäss SIA-Norm 500 sind Kiesbeläge denn auch weder befahr- noch begehbar. Kiener ist sich des Problems bewusst: «Es ist eine Frage des Ausgleichs zwischen dem Interesse am hindernisfreien Zugang und dem Interesse, den historischen Zustand zu bewahren.» Um das Problem zu entschärfen, habe man einen feinkörnigen Kies gewählt und mit der Unterlage kompakt verbunden. «Ein asphaltierter Weg oder Bodenplatten sind dem geschützten Ensemble nicht angemessen.»
Rund um die Gebäude gibt es jeweils ein breites Band von Pflastersteinen. Das stellenweise leicht gewölbte Pflaster und die Fugen könnten eine gar holprige Fahrt erzeugen. Kopfsteinpflaster gibt es anderswo in flachen Varianten, die – falls fugendicht versetzt – den Fahrkomfort verbessern. Das könnten sich die Schlossherren bei einer künftigen Sanierung vornehmen.
Wie sich Behinderte beim Bauen einbringen
Die Baubehörden können die Behindertenorganisation dazu einladen, zu Baugesuchen Stellung zu nehmen. In manchen Kantonen übernimmt Pro Infirmis diese Aufgabe. Mithilfe dieser Einschätzung sind die Baubehörden bei schützenswerten Gebäuden besser in der Lage, das Interesse am hindernisfreien Bauen gegen dasjenige der Denkmalpflege abzuwägen.
Hinweis der Redaktion: Wir haben diesen Kasten am 4. Juni 2024 aktualisiert. Die Aussage in der früheren Fassung, wonach Procap zu den Baugesuchen zur Umnutzung des Effingerhofs in Brugg (AG) und zur Sanierung des Schlossensembles in Schöftland (AG) Stellung nehmen konnte, traf nicht zu.