Wie weiter in der Klimapolitik der Schweizer Gemeinden?

17.08.2021
7/8 | 2021

Das CO₂-Gesetz hätte den Gemeinden Planungssicherheit gegeben: Das ist einer der Gründe, warum sich der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) für ein Ja stark gemacht hatte. SGV-Vorstandsmitglieder reagieren nach dem Volks-Nein.

Mit dem Klimafonds wäre ein Finanzierungsinstrument geschaffen worden, das die künftigen Kosten im Bereich der Klimapolitik mitgetragen und die Gemeinden in ihren Anstrengungen finanziell unterstützt hätte. Denn der Druck auf die Gemeinden und Städte, in Gebäudesanierungen oder in die Anschaffung von Elektrobussen und in den Ausbau von E-Ladestationen zu investieren, wird auch nach der Ablehnung des CO₂-Gesetzes nicht abnehmen. Was also kommt auf die Gemeinden zu, wenn unser Land das Klimaabkommen von Paris trotzdem einhalten soll? Claudine Wyssa, Gemeindepräsidentin im waadtländischen Bussigny, das übrigens knapp Ja gesagt hat zum CO2-Gesetz,  erwartet den Beschluss von neuen Regelungen und technischen Normen auf Bundesebene, etwa im Bereich der Raumplanung. Und diese haben am Ende natürlich Auswirkungen auf die Gemeinden, etwa wenn es um die Erteilung von Baubewilligungen oder um die Abwicklung von Bauvorhaben geht.

Auch ohne CO2-Gesetz wird viel gemacht

Unmittelbar ändert das Volks-Nein zum CO2-Gesetz zwar wenig in den Gemeinden. Oder anders gesagt, die Gemeinden haben nicht auf das CO2-Gesetz gewartet. Irène May, Gemeindepräsidentin von Ingenbohl (SZ): «Wir hätten uns auch ohne den Zustupf aus dem Klimafonds für die Anschaffung einer Elektroputzmaschine entschieden, und wir werden uns auch in Zukunft um Nachhaltigkeit in unseren Liegenschaften bemühen.» Im luzernischen Werthenstein ist die Erarbeitung eines Energiekonzepts in der laufenden Ortsplanungsrevision vorgesehen, wie Gemeindepräsident Beat Bucheli sagt. Steffisburg (BE) arbeitet als Energiestadt bereits gezielt auf eine nachhaltige Entwicklung hin: «Wie immer braucht es nun Zivilcourage und das Engagement aller», sagt Gemeindepräsident Jürg Marti und ergänzt, dass er stets «die Eigeninitiative» begrüsse. Jörg Kündig, Gemeindepräsident im züricherischen Gossau und Präsident des Verbands der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich, verweist seinerseits auf den Klimadialog, den der Kanton Zürich ins Leben gerufen hat. Dieser helfe über den Austausch und die Zuführung von Expertenwissen, den Klimaschutz voranzubringen. Viele Gemeinden im Kanton Zürich seien mit dem Energiestadtlabel ausgestattet und würden sich bei ihren Liegenschaften und im Bereich der Bauvorschriften und den Beratungen um entsprechende Massnahmen und Inputs bemühen. Zudem hätten die kantonalen Energiegesetzrevisionen bereits für Anpassungen, etwa bei den Bewilligungsverfahren für Heizungen, geführt.

Ziele sind schwieriger zu erreichen

Allerdings ist es schwieriger geworden, die Ziele zu erreichen, wie sie sich beispielsweise der Kanton Waadt und über ihren Richtplan auch die Gemeinden des «ouest lausannois» gesetzt haben. Zu dieser Region gehört auch Bussigny. Claudine Wyssa sagt: «Die mit der Agenda 2030 anvisierten strategischen Ziele und der damit verbundene Aktionsplan werden es ohne zusätzliche Finanzhilfen oder Subventionen schwerer haben.» Vermutlich würden die zu erwartenden massiven Investitionen in Klimamassnahmen von Bund und Kantonen nun zu einem Teil auf die Gemeinden überwälzt, was die Realisierung unsicherer mache. Denn mit dem CO2-Gesetz sei eine umfangreiche Liste von konkreten Massnahmen verbunden gewesen: Ersatz aller fossilen Heizungen bis 2043, das Verbot fossiler Heizungen in Neubauten ab 2023, Rückvergütungen für umweltschonendes Heizen, umfassende Gebäudesanierungen, die Anschaffung von Fahrzeugen mit Elektro-, Hybrid- oder Biogasantrieb, Subventionen für den Einbau von E-Ladestationen und Risikodeckung für den Ausbau von Wärmenetzen und Geothermie.

Klimaschutz kostet

Dass es beim Klimaschutz um Geld geht, ist für Gérald Strub, Gemeindeammann von Boniswil (AG), sonnenklar. «Wer glaubt, dass die Klimaverbesserung kostenneutral zu haben ist, irrt sich. Ich hatte mir erhofft, dass die Sicherung der Zukunft unserer Kinder und Enkel höher gewichtet wird als die finanziellen Auswirkungen.» Die Verbesserung des Klimas hätte es verdient, mit einer gesetzlichen Grundlage die notwendige Beachtung zu erhalten. Auch Beat Bucheli und Jürg Marti sprechen von einem Zeichen. Bucheli: «Wenn niemand ein klares Bekenntnis abgibt, wird unsere Klimapolitik definitiv nicht besser. Ich denke, mit dem Reichtum an erneuerbaren Energien, die wir in der Schweiz haben, können wir es schaffen.» Vielleicht müsste man dafür von einem Massnahmenpaket absehen, meint Jörg Kündig mit Blick in die Zukunft. «Manchmal sind kleinere Schritte zielführender.»

Ein Graben zwischen Stadt und Land?

Nicht zum ersten Mal hat eine eidgenössische Abstimmung einen Graben im Stimmverhalten zwischen Stadt und Land offenbart. Claudine Wyssa beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. «Ich sehe vor allem in meiner Funktion als Präsidentin des Waadtländer Gemeindeverbands, dass sich dieser Graben als Folge des Raumplanungsgesetzes verschärft hat: Die ländlichen Gemeinden werden in ihrer Entwicklung eingeschränkt, während die Agglomerationsgemeinden bis zum Gehtnichtmehr verdichten müssen.» Über das Resultat würden sich die Einwohnerinnen und Einwohner hüben wie drüben ärgern. «Da haben alle Gemeinden das gleiche Problem.» In den Augen von Wyssa haben am 13. Juni aber vor allem die Abstimmungen über die Trinkwasser- und Pestizid-Initiative polarisiert; das CO2-Gesetz sei dem Abstimmungskalender zum Opfer gefallen. Auch Jörg Kündig ist der Meinung, dass nur aufgrund dieser Abstimmung nicht von einer Akzentuierung des Verteilkampfs gesprochen werden könne.

Jürg Marti sträubt sich etwas gegen den Begriff des Grabens und die Einordnung in Stadt und Land als trennendes Konzept. Im Covid-Jahr sei eindrücklich klar geworden, dass die «Stadt» das «Land» brauche. «Heerscharen pilgerten mit dem Auto aufs Land und bewiesen, dass dort die Abhängigkeit vom Auto viel grösser ist als im städtischen Netz. Und in der Wahrnehmung der Landbewohner hätten die vom Auto abhängigen Personen mehr bezahlen müssen mit dem CO2-Gesetz.» Vielleicht, sagt Marti, seien die Bedürfnisse des «Landes» in den letzten Jahren etwas vernachlässigt worden. Auch Irène May spricht nicht gerne von einem Graben, sondern vielmehr von unterschiedlichen Lebenskonzepten und Wertvorstellungen. Bei Abstimmungen würden sich diese teils gegenseitig «behindern», teils aber auch ausgleichend wirken. Und sie schliesst mit einem verbindenden Satz:  «Auf lange Sicht bringen diese Unterschiede vielleicht nicht die schlechtesten Resultate hervor, auch wenn dies manchmal nicht sofort ersichtlich ist.»