Wie Gemeinden die Nacht wieder Nacht werden lassen
Die Lichtverschmutzung ist in allen grossen Städten und Agglomerationen ein Problem: Sie trägt zum Insektensterben bei, schädigt den natürlichen Rhythmus von nachtaktiven Tieren und führt beim Menschen zu Schlafproblemen. Immer mehr Gemeinden zeigen, dass es intelligente und innovative Lösungen gibt, um die Nacht wieder dunkel werden zu lassen.
Wer heute bei klarem Wetter in der Nacht nach oben schaut, sieht deutlich weniger Sterne als noch zur Jahrtausendwende. Die Gründe sind vielfältig: Strassenbeleuchtung, Weihnachtsdekoration und helle Schaufenster. Laut einem Bericht des BAFU nahm die Lichtbelastung hierzulande in den letzten 20 Jahren um 70 Prozent zu. Diese Entwicklung verunmöglicht es nicht nur, den schönen Sternenhimmel zu betrachten, sondern unter der Entwicklung leiden auch Menschen und Tiere, denn die unnatürliche Helligkeit stört den Schlaf-wach-Rhythmus. Die Schweiz ist fast überall von Lichtverschmutzung betroffen. Darunter versteht man die Streuung von meist nach oben gerichtetem Licht in den unteren Luftschichten und dessen Reflektion in der Atmosphäre. Umweltorganisationen wie Dark-Sky Switzerland sind bestrebt, die Lichtverschmutzung zum Schutz von Fauna, Flora und Mensch zu reduzieren: «Wir arbeiten an gesellschaftlichen Verhaltensänderungen, indem wir konstruktive, sachorientierte Informationen verbreiten», sagt Dark-Sky-Geschäftsstellenleiterin Florine Leuthardt. Handeln müssten alle, doch die Gemeinden hätten besonders viel Einflussmöglichkeiten, die Belastung zu reduzieren.
Komplette Nacht in Val-de-Ruz
Aktiv geworden ist beispielsweise auf Antrag der Energiekommission die Gemeinde Val-de-Ruz im Kanton Neuenburg: Seit zwei Jahren herrscht von Mitternacht bis 4.45 Uhr auf öffentlichem Grund fast komplette Dunkelheit. Mit dem Ausschalten jeglicher Strassenbeleuchtung spart die Gemeinde insgesamt 173‘000 Kilowattstunden Strom pro Jahr, was Kosten von 43000 Franken entspricht. Auch der lokale Stromanbieter Groupe E brachte sich in den Prozess ein und half mit technischen Vorschlägen bei der Umsetzung. Für mehr Sicherheit werden schrittweise 62 Fussgängerstreifen mit Druckknöpfen ausgestattet. Bereits heute sind an zehn Leuchten diese Knöpfe installiert worden, die es ermöglichen, die Strassenbeleuchtung nicht mehr dauerhaft anzulassen. Vielmehr lösen die Benutzerinnen und Benutzer individuell die Beleuchtung des Zebrastreifens aus. «Zusätzlich zum bereits investierten Betrag für die erste Phase der Umrüstung werden wir von 2022 bis 2024 50'000 Franken für die Installierung der restlichen Masten ausgeben», sagt François Cuche, zuständiger Gemeinderat von Val-de-Ruz.
Wallisellen beschliesst Masterplan Licht
Im Gegensatz zu Val-de-Ruz machten in Wallisellen (ZH) einige Umweltaktive den Anfang und reichten 2018 die Initiative «Mehr Nacht für Wallisellen» ein. 2020 wurde die Initiative an der Gemeindeversammlung angenommen. Gemeinderat und Gemeindeverwaltung fingen mit der Realisierung und Umsetzung der Ziele und Massnahmen gegen die Lichtemissionen an. «Unsere Bevölkerung zeigte während des ganzen Prozesses viel Verständnis und unterstützte die Finanzanträge für die geplanten Projekte», sagt Gemeindeschreiber Marcel Amhof. Geplant ist die «intelligente Beleuchtung» auf Gemeindestrassen mit der Modernisierung von 2500 Kandelabern. Insgesamt kostet die Umstellung 2,7 Millionen Franken, wobei mit einer Stromkostenersparnis von 80 bis 90 Prozent gerechnet wird. Im Fall von privaten Liegenschaften mit Nachtbeleuchtung wie Reklamen und permanenten Aussenbeleuchtungen wurden die Eigentümerinnen und Eigentümer angeschrieben und darum gebeten, die nächtliche Lichtemission zu reduzieren. Die meisten waren einverstanden, die störende Beleuchtung zwischen 22 Uhr und 6 Uhr auszuschalten. Die Gemeinde will aber noch einen Schritt weitergehen und die Verminderung der Lichtemission in einem «Masterplan Licht» gesetzlich verankern. In diesem Masterplan sollen die wichtigsten Grundsätze zum Einsatz von Lichtquellen und zu deren Umgang aufgeführt werden. Das Papier definiert den zukünftigen Ablauf für den Bau von Neuanlagen und die Sanierung von kommunalen Beleuchtungsanlagen. «Im Masterplan Licht sollen die Grundsätze zum Lichteinsatz und zu dessen Umgang aufgeführt werden», so Amhof. Das Dokument diene als Grundlage für Gesetzesrevisionen und Beurteilungen von Anfragen für Neuinstallationen.
Verordnung gegen Lichtverschmutzung in Coldrerio
In der Tessiner Gemeinde Coldrerio wiederum war es der ehemalige Stadtrat Carlo Crivelli, der bereits 2007 eine Verordnung zur Reduzierung der Lichtemissionen vorschlug. Diese wurde von der Gemeinde angenommen und in den folgenden Jahren ausgearbeitet. Die Verordnung richtet sich in erster Linie an lokale Geschäfte, die ihre Schaufenster nachts beleuchteten. Die Vorschrift verlangt, dass die Beleuchtung der Schaufenster von 24 Uhr bis 6 Uhr ausgeschaltet wird. Hingegen bleibt die Strassenbeleuchtung nachts eingeschaltet, um das Risiko von Unfällen zu vermeiden. «Auch Privatpersonen ziehen aus Sicherheitsgründen vor, ihr Licht nachts anzulassen: Coldrerio liegt in einer Grenzregion, und man befürchtet, dass Einbrecher in Privathäuser eindringen», sagt Gabriella Da Rin von der Gemeindeverwaltung. Coldrerio sei eine der wenigen Gemeinden in der italienischsprachigen Schweiz, die das Thema Lichtverschmutzung aufgegriffen hätten: «Wir haben eine Vorbildfunktion. Inzwischen haben sich viele Gemeinden für die Verordnung interessiert und um Informationen gebeten.»
Gezielte Sportplatzbeleuchtung verringert den Stromverbrauch
Unterstützt werden die Bemühungen in den Gemeinden von Firmen, die sich auf die sparsame Beleuchtung des Aussenraums spezialisiert haben. Das Unternehmen Swiss Precision Lighting (SPL) in Murten beispielsweise bietet eine neue Art der Lichttechnologie an. «Wir erreichen eine sehr genaue Begrenzung der beleuchteten Fläche, was bei den herkömmlichen Lösungen nicht der Fall und auch optisch nicht möglich ist», sagt Ralf Stucki, Mitgründer der SPL. Die LED-Leuchten verhindern, dass das Licht in unerwünschte Richtungen abgestrahlt wird. Dadurch erübrigen sich Blenden und Raster, die einen Teil des Lichts unnötigerweise wieder vernichten. Durch die präzise Führung innerhalb des Gehäuses gelangt ein wesentlich höherer Lichtanteil auf den Sportplatz. Das System ist dafür ausgelegt, die Lichtverschmutzung auf das unvermeidbare Minimum zu reduzieren, wobei die SPL-Technik auf die speziellen Anforderungen der Sportplatzbeleuchtung hin optimiert ist und über eine innovative Steuerung verfügt. Deutlich zeigt sich dies auch beim Stromverbrauch: Das dimmbares Lichtsystem von SPL benötigt im Vergleich zu den herkömmlichen Quecksilberdampflampen 50 Prozent weniger Energie. «Bisher wurden defekte Leuchten als Ganzes weggeworfen. Es gab keine Möglichkeit, einzelne Teile auszutauschen oder nach dem Ende des Lebenszyklus der Leuchte zu verwerten. Das ändert mit dem SPL-System, weil jedes Modul einzeln gewartet werden kann», sagt Stucki. Durch die Modularität des Systems können die Leuchten entweder rezykliert werden, oder sie bekommen ein zweites Leben, zum Beispiel als Parkplatzbeleuchtung. Stucki: «Da wir im Moment als Start-up noch keine grosse Produktion haben, sind die Anschaffungskosten circa 30 bis 40 Prozent höher als bei der Konkurrenz. Doch auf lange Sicht spart man Geld – und sorgt in der Nacht wieder für Dunkelheit.»
Naturpark wird zum Sternenpark
Der Naturpark Gantrisch will nicht nur die Landschaft und die dort lebenden Tiere und Pflanzen bewahren, sondern auch den Nachthimmel darüber. Er hat sich zum Ziel gesetzt, ein eigentliches Kompetenzzentrum der nachhaltigen Beleuchtung zu werden. Das erarbeitete Wissen gibt der regionale Naturpark weiter und positioniert sich auch als Sternenpark. Dabei profitiert er davon, dass schon heute in gewissen Regionen des Parks der Nachthimmel nur 0,3-fach aufgehellt wird, während der Himmel etwa in der Stadt Bern um das 40-Fache aufgehellt wird. Zahlreiche positive Beispiele, regionale Beleuchtungskriterien und Tipps für Gemeinden, Gewerbe und Private ergänzen die Website.
sternenpark-gantrisch.ch