Wenn Angestellte für verschiedene Gemeinden arbeiten
Immer mehr Gemeinden teilen sich den Gemeindeschreiber, die Finanzverwalterin, oder sie beauftragen private Firmen mit diesen Aufgaben. Nicht um Synergien oder Geld zu sparen, sondern weil sie keine Fachkräfte finden.
Sumiswald übernimmt neu sämtliche Aufgaben der Verwaltung der benachbarten Gemeinde Affoltern im Emmental. Jüngst hat sich Lenk entschieden, eine private Treuhandfirma mit der Finanzverwaltung zu beauftragen. Die Gemeinde Meiringen war rund fünf Jahre mit der Bauverwaltung von Hasliberg beauftragt. Weil sie selbst unter dem Fachkräftemangel litt, wurden die entsprechenden Verträge gekündigt. Dieser personelle Engpass ist aber kein typisch bernisches Problem.
Generalisten mit Spezialwissen
Im Baselland erbringt die Gemeinde Arisdorf sämtliche Verwaltungstätigkeiten von Hersberg. Die Stadt St. Gallen übernimmt unter anderem einzelne Dienstleistungen in den Bereichen Zivilstandsamt, Steueramt, Feuerwehr und Informatik, wie Manfred Linke erklärt. Er ist der Stadtschreiber von St. Gallen und Präsident der Schweizerischen Konferenz der Stadt- und Gemeindeschreiberinnen und -schreiber. Dieser Verband hat sich noch nicht konkret mit dem Mangel an Fachkräften befasst; Manfred Linke weiss aber, dass auch die Ostschweiz dieses Problem hat.
Bei kleineren Gemeinden seien oft «gemischtere» Pflichtenhefte von Mitarbeitenden anzutreffen. Das erschwere die Rekrutierung, weil dann jemand zum Beispiel auch Kenntnisse im Baurecht, Sozialwesen und Grundbuchwesen brauche. Die Übernahme von sämtlichen Aufgaben für andere Gemeinden löst aber laut Manfred Linke nicht alle Probleme: «Bei Kanzleien, zu deren Aufgaben zum Beispiel die Protokollierung der vertraulichen Exekutivsitzungen gehört, sehe ich das weniger als gangbaren Weg an. Da könnten sich Interessenkollisionen oder Datenschutzprobleme ergeben.»
«Gemeinden müssen agil handeln»
Auch Matthias Kunz, Präsident des Gemeindeschreiber- und Geschäftsführerverbands des Kantons Luzern, meldet: «Ein Mangel an Fachkräften ist in verschiedenen Branchen der Verwaltung, besonders bei Kaderstellen, ersichtlich. Der Mangel ist aber nicht überall ausgeprägt.» Besonders Stellen, die Verantwortung beinhalten würden, und Bereiche wie die Finanzen, die spezielle Kenntnisse erforderten, seien zunehmend schwierig zu besetzen. Da biete eine interkommunale Zusammenarbeit gute Chancen. «Eine vollamtliche Person wird aber nicht noch ein zusätzliches Pensum ausüben, und wer Teilzeit arbeitet, will in der Regel auch nicht noch ein zusätzliches Pensum übernehmen. Die Gemeinden müssen agil handeln», fordert Matthias Kunz.
Wie in der Ostschweiz leiden auch in der Zentralschweiz ländliche Gemeinden mehr durch den Mangel an Fachkräften. Matthias Kunz führt das, wie Manfred Linke, auf das breite Fachwissen zurück, das eine Person haben müsse, und die Verantwortung, die sich auf weniger Schultern verteilt. «Trotz guter Ausbildung haben viele Respekt vor diesen Aufgaben.»
Aber auch Agglomerationsgemeinden werden laut Kunz den Fachkräftemangel wegen des fehlenden Nachwuchses spüren. «Wichtig ist, dass die kaufmännische Lehre attraktiv bleibt. Man muss am Puls der Zeit bleiben. Gerade der Aspekt der Digitalisierung muss stark verfolgt werden», fordert der Präsident des Gemeindeschreiber- und Geschäftsführerverbands Kanton Luzern. Die Arbeitszeitmodelle müssten ebenfalls neu bedacht sowie die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gefördert werden. Im Kanton Luzern wurde deshalb die Gemeindeschreiberausbildung zusammen mit der Hochschule Luzern neu modular ausgerichtet und somit attraktiver gemacht. «Wir müssen vermehrt die spannenden und abwechslungsreichen Jobs in der öffentlichen Verwaltung positiv kommunizieren», sagt Matthias Kunze, denn die Arbeit auf einer Gemeindeverwaltung sei alles andere als «verstaubt».
Einer für drei Gemeinden
Das versichert auch Peter Kindler beherzt. Er ist der Geschäftsführer von Koppigen und auch für die Verwaltungen der beiden politisch unabhängigen Gemeinden Alchenstorf und Willadingen verantwortlich. 2006 wechselte der Berner aus der Privatwirtschaft als Leiter eines KMU in die Gemeindeverwaltung. Koppigen stellte ihn allerdings nicht als Gemeindeschreiber, sondern als Geschäftsführer ein. «Somit bin ich nur dem Gemeinderat Koppigen unterstellt, mit den Verantwortlichen der Bau- und der Finanzverwaltung spreche ich mich natürlich ab, aber die Entscheidungswege sind viel kürzer», sagt Peter Kindler. Den Ratsmitgliedern Alchenstorf und Willadingen steht er beratend zur Verfügung und ist dafür verantwortlich, dass die Aufgaben, mit denen die beiden Gemeinden Koppigen beauftragt haben, erfüllt werden.
Sich immer wieder auf neue Ratsmitglieder und somit Vorgesetzte einstellen zu müssen, sei eine Herausforderung. sagt Peter Kindler. Genauso, wie jungen Berufsleuten die Aufgaben einer Gemeindeverwaltung so beizubringen, dass sie nach dem Abschluss nicht in die Privatwirtschaft wechseln. In Koppigen erhält jeweils eine frisch diplomierte Fachkraft die Möglichkeit, unter der Obhut der erfahrenen Kolleginnen und Kollegen alleine für Alchenstorf, das als schweizerisches Vogeldorf bekannt ist, zuständig zu sein. So sammeln solche Fachkräfte erste Erfahrungen als Gemeindeverwalterinnen bzw. -verwalter. Wenn sie nach einigen Jahren «flügge» sind, übernehmen die meisten von ihnen laut Peter Kindler denn auch eine entsprechende Kaderposition in einer Gemeindeverwaltung.
Peter Kindler, der auch der Präsident des Vereins des Gemeindekaders Emmental (VGE) ist, zählt aber auch Schattenseiten auf, die den Mangel an Fachkräften erklären: «Viele Abendsitzungen, weil die Miliz-Ratsmitglieder und die Angehörigen der Kommissionen tagsüber arbeiten müssen; persönliche verbale Angriffe auf der Strasse, beim Einkaufen oder per Mail; immer wieder neue Gemeinderätinnen, Gemeinderäte einarbeiten und als Vorgesetzte zu erhalten, obwohl diese logischerweise teilweise über wenig entsprechendes Fachwissen in den laufenden Geschäftsdossiers verfügen.»
Personalführung verbessern
Der Geschäftsführer von Koppigen fordert, dass in der Ausbildung seiner zukünftigen Arbeitskolleginnen und -kollegen die Personalführung einen grösseren Stellenwert erhält. «Wir müssen mit den Leuten reden: mit den Teammitgliedern, aber auch mit allen, die ein Anliegen haben oder denen wir erklären müssen, warum die Gemeinde ihre Wünsche nicht erfüllen kann», sagt Peter Kindler. Seit seinem Amtsantritt 2006 habe er alles im gemeinsamen Gespräch geregelt. Dabei habe geholfen, bei Amtsantritt nicht mehr der Jüngste zu sein. Peter Kindler kann es sich gut vorstellen, einer Person, die das erste Mal eine Kaderfunktion auf einer Gemeinde übernimmt, als Götti zur Seite zu stehen.
Im Dorf Hasliberg, dessen Bauverwaltung Meiringen übernommen hat, zeichnet sich mittlerweile eine Lösung ab: Hasliberg hat eine Sachbearbeiterin zu 40 Prozent angestellt, die nun das Team der Gemeindeverwaltung unterstützt.