Das Ausfüllen von Formularen, Entwerfen von Bewerbungsdossiers, Beantworten von amtlichen Briefen ist für Personen, die mit der lokalen Sprache wenig oder gar nicht vertraut sind, besonders anspruchsvoll. Der «Schreibdienst jegi-hilft» unterstützt sie dabei.

Wenn Amtsdeutsch chinesisch klingt, hilft der Schreibdienst

18.06.2021
6 | 2021

Unter der Dachmarke «jegi-hilft» gibt es in Jegenstorf (BE) Angebote wie das Begegnungskaffee, das Lernfoyer Deutsch, einen Mathematikkurs, Betreutes Wohnen und seit Herbst 2020 auch den «Schreibdienst jegi-hilft».

Das Lesen und Verstehen von amtlichen Briefen und Dokumenten, das Verfassen einfacher Korrespondenz in deutscher Sprache, das Ausfüllen von Formularen, Entwerfen von Bewerbungsdossiers, Beantworten von amtlichen Briefen bedeutet für viele Menschen eine besondere Herausforderung. Noch schwieriger ist es für Personen, die mit der lokalen Sprache oder dem Amtsdeutsch wenig oder gar nicht vertraut sind. Schreibdienste, von denen es auf kommunaler Ebene einige gibt, übernehmen solche Dienstleistungen und Hilfsangebote. Diese Schreibdienste werden von Freiwilligen unentgeltlich aufgebaut und geführt. Oft übernehmen Gemeinden, Kirchgemeinden oder Hilfsorganisationen die Trägerschaft und eine Teilfinanzierung.

«Schreibdienst jegi-hilft» als Teil einer gemeinsamen Angebotsstrategie

Im Zusammenhang mit der Eröffnung und dem Betrieb einer Notunterkunft für Asylsuchende in Jegenstorf (BE) entstand im Jahr 2016 eine Partnerschaft zwischen der politischen Gemeinde Jegenstorf, der reformierten Kirchgemeinde Jegenstorf Urtenen und der katholischen Kirchgemeinde St. Franziskus Zollikofen. Was in der Wirtschaft unter dem Dach eines Joint Venture – eines Schulterschlusses zur Umsetzung gemeinsamer Projekte – gang und gäbe ist, fand auch in der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Institutionen Akzeptanz und Unterstützung. So entstanden unter der Dachmarke «jegi-hilft» Angebote wie das Begegnungskaffee, das Lernfoyer Deutsch, ein Mathematikkurs, Betreutes Wohnen und im Herbst 2020 der «Schreibdienst jegi-hilft».

Erwachsene, unabhängig ihrer Nationalität und ihres Aufenthaltsstatus, insbesondere Personen mit Migrations- und/oder mit fremdsprachigem Hintergrund, sollen den «Schreibdienst jegi-hilft» beanspruchen können. Für eine Erfolg versprechende Beratung bringen sie ihre Dokumente und Informationen mit. Bei Bewerbungen sind es: Angaben bezüglich Personalien, besuchter Schulen, Aus- und Weiterbildungen, beruflicher Erfahrungen, Hobbys und Interessen, ein Foto sowie Angaben zu Stelleninseraten oder Websites, wo sie sich bewerben möchten.

Fachkompetenzen und Ressourcen

Das Fachkonzept entstand anhand umfassender Recherchen im Internet – schliesslich ging es nicht darum, das Rad neu zu erfinden – sowie durch Besuche bei und den Austausch mit anderen Schreibdiensten (Bern, Burgdorf, Ostermundigen). Insbesondere das Zusammentragen von Fachwissen und von Erfahrungen anderer Anbieter brachte wichtige Referenzen und eine Grundlage, um gegenüber den Partnern im Joint Venture überzeugend aufzutreten, zu argumentieren und sie für das Vorhaben gewinnen zu können. Offensichtlich sprach der Schreibdienst auch eine grössere Anzahl Freiwillige an. Wenige Wochen, nachdem von den Partnern die Zusage zum Projekt und zur Finanzierung vorlag, konnten genügend Freiwillige zur Startsitzung eingeladen werden.

Trägerschaft, Finanzierung und Unterstützung

Der «Schreibdienst jegi-hilft» wird von der politischen Gemeinde Jegenstorf, der reformierten Kirchgemeinde Jegenstorf Urtenen und der katholischen Kirchgemeinde St. Franziskus Zollikofen finanziert und unterstützt. Die katholische Kirchgemeinde stellt zusätzlich die Räume und die lokale Informatik (Drucker, WLAN) unentgeltlich zur Verfügung. Weiter unterstützten Swisscom und die Dorfpapeterie Jegenstorf die Initiative.

Ohne Werbung keine Kunden

Ein Angebot kann noch so gut und interessant sein - wenn es nicht bekannt ist, wird es nicht beansprucht. So lag es auf der Hand, dass die Partner den Startschuss für einen zweijährigen Pilotbetrieb erst gaben, als es für sie transparent war, wie die neue Dienstleistung potenziellen Kundinnen und Kunden nähergebracht wird. Innert kurzer Zeit erschienen Artikel in Printmedien, wurden Texte auf Websites aufgeschaltet, wurden Flyer verteilt, aufgelegt und hingen Plakate in Anschlagkästen. Die Gemeindeverwaltungen und Sozialdienste wurden eigens aufgesucht und mit Informationsmaterial bedient. Was bleibt, ist das Erbringen einer qualitativ guten und zuverlässigen Dienstleistung, damit sich mit der Zeit eine «Mund-zu-Mund-Propaganda» entwickeln wird.

 So geht es weiter

Der Start ist geglückt, die Reise geht weiter. In den kommenden Monaten findet ein regelmässiger Austausch zwischen TRiiO Bern, einer Beratungsstelle und Bewerbungswerkstatt, und dem «Schreibdienst jegi-hilft» statt. TRiiO bietet den Freiwilligen bei Bedarf einen halbtägigen Stage an und stellt dem  «Schreibdienst jegi-hilft» Grundlagen und Informationen für die Betreuung von Kunden zur Verfügung. Eine solche kompetente, fachliche Hilfe ist für Freiwillige und für ein Angebot im Aufbau von zentraler Bedeutung.

«Schreibdienst jegi-hilft»

Jeden Dienstag in den Kalenderwochen mit geraden Zahlen, jeweils von 17.15 – 19.15 Uhr im Franziskushaus, Quartierweg 1, Jegenstorf. Pro Öffnungszeit können vier bis sechs Kunden beraten und betreut werden. Aktuell beanspruchen zwei bis vier Personen das Angebot pro Abend. Dafür engagieren sich acht Freiwillige, die unentgeltlich und mit viel Empathie arbeiten.

Norbert Graf
alt Gemeinderat
Projektleiter  

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