Wenn der Dialog zwischen zerstrittenen Bevölkerungsgruppen abbricht, kann das für eine Gemeinde sehr belastend sein.

Was tun, wenn die Fronten blockiert sind?

07.10.2024
10 | 2024

Heftige Konflikte über umstrittene Projekte können Gemeinden lähmen und die Stimmung im Ort vergiften. Im schlimmsten Fall kommt es sogar zu persönlichen Angriffen. Immer mehr Gemeinden erleben solche Situationen immer häufiger. Was zu tun ist, weiss Lea Suter. Sie begleitet beim Think + Do Tank Pro Futuris ein Projekt zu einem neuen Dialogformat in Gemeinden mit verhärteten Fronten.

Lea Suter, Ortsdurchfahrten, Deponien oder Mobilfunkantennen führen in Gemeinden regelmässig zu heftigen Konflikten. Weshalb bewegen diese Themen so stark?

Die direkte Betroffenheit ist bei lokalpolitischen Themen sehr hoch. Der Schatten eines Neubaus fällt vielleicht in meinen Garten oder Tempo 30 verlangsamt meinen Arbeitsweg. Wir sind alle sehr vielfältig und haben unterschiedliche Sichtweisen dazu, in welchem Umfeld wir leben wollen. Auch die Funktionsweise der direkten Demokratie spielt eine Rolle.

Inwiefern?

Die direkte Demokratie ist aufgrund der Abstimmungen stark auf ein Ja/Nein-Schema ausgerichtet, sie schafft Gewinner und Verlierer. Wenn 49 Prozent einen Entscheid stark ablehnen und sich nicht gehört fühlen, wirkt sich das auf die Lebensqualität der Gemeinde aus. Dabei wollen wir alle Meinungsvielfalt. Konflikte sind ein Zeichen für eine lebendige Demokratie. Die Frage ist, wie wir konstruktiv mit der Konfrontation umgehen können.

Haben heftige Konflikte zugenommen?

Pro Futuris veröffentlicht bald eine Studie zur Polarisierung in der Schweiz, die diese Frage genau untersucht. Von Gemeindeverwaltungen hören wir, dass sie oft mit starker Polarisierung in der Bevölkerung konfrontiert sind. Wir beobachten auch, dass die Sensationslust und die Tendenz, in den Medien über negative Themen zu berichten, zu einer Lagerbildung beitragen. Man muss sich bewusst sein: Ein Grossteil der Konflikte entzündet sich nicht am eigentlichen Sachverhalt, sondern an dessen Wahrnehmung.

«Konflikte sind ein Zeichen für eine lebendige Demokratie.»

Lea Suter, Pro Futuris

Wenn es hart auf hart kommt und die Fronten in einer Gemeinde verhärtet sind: Was macht das mit einer Gemeinde?

Stark polarisierende Themen und verhärtete Fronten blockieren das Vorankommen im betroffenen Bereich, was zu Frustration führt. In der Gemeindeverwaltung binden solche Konflikte grosse Ressourcen, die dann andernorts fehlen. Die Konflikte können sich auch auf andere Themen übertragen oder sogar zu einer Reduzierung der politischen Teilhabe führen, wenn das Vertrauen in die Behörden verloren geht. Und nicht zuletzt entsteht eine schlechte Stimmung im Ort. Auch der Ruf der Gemeinde kann leiden. Kurz: Heftige Konflikte können Gemeinden paralysieren und eine Gefahr für sie darstellen.

Gibt es Unterschiede zwischen grösseren und kleineren Gemeinden, was die Häufigkeit heftiger Konflikte angeht?

Daten dazu kenne ich keine. Basierend auf den Vorgesprächen zu unserem Dialogprojekt kann ich jedoch sagen: Grössere Gemeinden verfügen in der Regel über mehr personelle Ressourcen und Fachspezialisten, um mit Konflikten umzugehen – was in der Natur der Sache liegt. Gleichzeitig bedeuten mehr Einwohnerinnen und Einwohner auch ein grösseres Konfliktpotenzial. In kleineren Gemeinden kennt man sich und hat mehr Berührungspunkte: Man sieht sich im Turnverein oder beim Elternabend in der Schule. Das kann deeskalierend wirken oder aber die Konfliktklärung erschweren.

Wie können Gemeindebehörden mit einer festgefahrenen Situation umgehen?

Wichtig ist es, einen Raum für Begegnung auf Augenhöhe zu schaffen, den betroffenen Menschen wirklich zuzuhören und Verständnis für ihre Meinung aufzubringen, weniger nach der Meinung und mehr nach dem Grund einer Meinung zu fragen. Das hat oft schon einen beeindruckenden Effekt und lässt die Probleme gleich kleiner erscheinen.

Pro Futuris bietet eine Begleitung für Gemeinden in festgefahrenen Konfliktsituationen an. Wie läuft diese ab?

Im Dialogprozess begegnen sich Befürworter und Gegner in einem Rahmen, der hilft, andere Sichtweisen zu verstehen und Spannungen abzubauen. Zuvor analysieren wir die Situation, schauen uns die Positionen und die Akteure an. Dann legen wir gemeinsam mit der Gemeindeverwaltung fest, wie ein Dialog stattfinden kann: Wo und mit wem? Der Prozess ermöglicht eine Rückkehr von der Logik der Konfrontation in die Kooperation. Ziel ist es, dass blockierte Geschäfte und Projekte wieder vorankommen.

Dialogformat von Pro Futuris

Pro Futuris, der Think + Do Tank der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), hat ein Dialogformat entwickelt, um in Gemeinden mit verhärteten Fronten Spannungen zu reduzieren und zu einer Lösungsfindung beizutragen. Pro Futuris sucht derzeit Pilotgemeinden, die vom Angebot profitieren möchten. Interessierte melden sich bei Lea Suter: lea.suter@profuturis.ch

Nadja Sutter
«Schweizer Gemeinde»
Chefredaktorin