Was im Coronajahr für die Gemeindebevölkerung zählt
Wie die Resultate der Schweizerischen Einwohnerbefragung* zeigen, steigt 2021 das Ambiente zum wichtigsten Einflussfaktor für die Zufriedenheit mit dem eigenen Wohnort auf. Und: Die Erwartung an die Verwaltungen, in Sachen Digitalisierung weitere Fortschritte zu machen, wachsen weiter.
Frühjahr 2021: Herr und Frau Schweizer sind mit Ihrem Wohnort sehr gut zufrieden (78 von 100 Pkt.), wenn auch etwas weniger als im Vorjahr (-3 Pkt.). Allgemein ist die Stimmung etwas gedämpft, denn Corona wütet bereits seit einem Jahr und der Begriff «Welle» lässt einen nicht in die Ferne schweifen, sondern mutiert ironischerweise zum Synonym für verminderte Mobilität. Während die Digitalisierung die (Arbeits-)Welt in unser Wohnzimmer holt, lenkt die eingeschränkte Bewegungsfreiheit den Fokus von Vielen auf das Lokale, auf die unmittelbare Umgebung.
Das Ambiente als massgeblicher Faktor der Zufriedenheit
Um der BAG-Quarantäneliste zu entfliehen, sind auf einmal Spaziergänge am Wohnort oder regionale Fahrradausflüge angesagt. Durch die intensivere Nutzung der Umgebung steigt auch die Erwartung an das eigene Ambiente resp. das Ambiente des Wohnorts – ein regelrechter Stress-Test. So erstaunt es denn auch nicht, dass die 1616 Befragten das auf Herz und Nieren geprüfte Ambiente alles in allem kritischer Beurteilen, als dies in den Vorjahren der Fall war (72 von 100 Pkt. / -4 Pkt. ggüb. dem Vorjahr).
Erwähnenswert ist zudem der grössere Einfluss des Ambientes auf die Gesamtzufriedenheit mit der Wohngemeinde. Da sich das Leben vermehrt in den eigenen vier Wänden, respektive in der unmittelbaren Umgebung abspielte, kommt der Bewertung der eigenen Wohnsituation eine noch grössere Wichtigkeit zu, als dies sonst schon der Fall war. Wie und wo wir wohnen, ist per se ein wichtiger Faktor für unsere Zufriedenheit. Dass wir pandemiebedingt noch intensiver in unsere Wohnumgebung zurückgebunden wurden, lenkte die Aufmerksamkeit verstärkt auf diesen Faktor und erhöht somit dessen Wichtigkeit.
Dieses Phänomen zeigt sich übrigens nicht nur in den Daten der Schweizerischen Einwohnerbefragung, sondern kann auch an anderen Orten beobachtet werden. Dass die Pandemie den Wunsch verstärkte, in einer schönen Umgebung zu hausen, lässt sich exemplarisch an der Baumarktbranche aufzeigen. Trotz anfänglicher Schliessungen der Verkaufslokale beendeten deren Vertreter das letzte Geschäftsjahr allesamt mit Rekordumsätzen. Dasselbe gilt übrigens für die Heim-Elektronik-Sparte.
Der Fokus auf das Ambiente verstärkte sich zudem durch die Tatsache, dass zahlreiche der gewohnten Freizeit- und Unterhaltungsmöglichkeiten, welche für viele Personen wichtige Quellen von Freude und Zufriedenheit darstellen, ebenfalls nicht zur Verfügung standen und anderweitig kompensiert werden mussten.
Bevölkerung erwartet mehr Digitalisierung von der Gemeinde
Im letzten Jahr haben wir aber nicht nur die Begriffe «Einreisebeschränkungsbestimmungen» oder «R-Wert» gelernt. Es war auch das Jahr, in welchem Home-Office vom Privileg zur Pflicht und die Digitalisierung vom abstrakten «Buzzword» zur Realität wurde.
Corona stellt sich im Nachhinein als Digitalisierungsturbo heraus: Grossfirmen wie KMUs übten sich gleichermassen in digitaler Zusammenarbeit und setzten neue elektronische Arbeitsformen ein. Dasselbe gilt auch für die Gemeindeverwaltungen, welche diesen Herkulesakt nebst den zusätzlichen durch Corona verursachten Aufgaben zu bewältigen hatten.
Die befragten Einwohnerinnen und Einwohner sind mit dem Stand der Umsetzung auf den Schweizer Gemeindeverwaltungen bis anhin gut zufrieden (70 von 100 Pkt.). Jedoch wird anhand der Antworten auch klar, dass in Zukunft noch viel mehr Digitalisierung erwartet wird. Lediglich 12% der Befragten beurteilen den heutigen Stand als ausreichend: Je jünger die Bevölkerungsgruppe, desto grösser die Erwartungshaltung.
Weitere Digitalisierungsschritte wünschen sich die Digitalisierungsbefürworter vor allem im Bereich des Online-Schalters (39%). Der Gang auf das Amt sollte sich nach Möglichkeit erübrigen und der Bezug von Dienstleistungen möglichst von Öffnungszeiten entkoppelt sein. Denn im Home-Office wurde gelernt, dass vieles ohne persönliche oder physische Kontakte möglich ist.
Eine zweite Gruppe von Wünschen (18%) zielt darauf ab, sämtliche Kommunikation zwischen Gemeinde und Bevölkerung (Anlässe, Veranstaltungen, Rechnungen, aber auch Fragen vom Bürger an die Verwaltung) auf einem einzigen Kanal z. Bsp. einer App, zusammenzufassen.
Fazit aus dem Coronajahr
Das Ambiente des Wohnorts wie auch die Digitalisierung der Verwaltung geniessen in der Schweizer Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Weiter verdeutlichen die Resultate, dass bei der Interpretation von Einwohnerbefragungen der zeitliche Kontext (Corona) stets miteinbezogen gehört. Sollen die Resultate einer Gemeinde anhand von Vergleichswerten interpretiert werden, macht dies nur Sinn, wenn die Vergleichsdaten zeitnah/aktuell erhoben wurden.
Informationen:
www.schweizerische.einwohnerbefragung.ch
Die Schweizerische Einwohnerbefragung ist eine repräsentative Bevölkerungsbefragung, welche vom Markt- und Sozialforschungsinstitut Transfer Plus seit 2019 jährlich erhoben wird. Befragt werden Personen aus der gesamten Schweiz (sämtliche Sprachregionen), ab 16 Jahren. Die Befragung wurde Online durchgeführt und umfasst eine Stichprobe von 1616 Personen. Der maximale Stichprobenfehler liegt somit bei +/- 2.4 Prozent (95%-Wahrscheinlichkeit). Die diesjährige Welle wurde zwischen dem 23. April bis 6. Mai 2021 in Partnerschaft mit der Schweizerischen Post AG und dem Verein Myni Gmeind erhoben.
Der Chatbot als möglicher Kanal für die digitale Vernetzung
Die Ergebnisse aus verschiedenen Studien zeigen, dass die Kundschaft der Nutzung eines Chatbots aufge- schlossen gegenübersteht. Eine 2018 durchgeführte, umfangreiche Studie der ZHAW zeigt, dass sich bereits damals rund 70% der Befragten vorstellen konnten, einen Chatbot zu nutzen, oder dass sie bereits einen ge- nutzt hatten. 79% der Befragten, die bereits ein Chatbot genutzt hatten, empfanden dies als positiv8. In einer weiteren Umfrage (2020) unter rund 50 Personen aus unterschiedlichen Branchen, deren Firmen einen Chat- bot verwenden, antworteten 74%, dass die Kundinnen und Kunden aufgeschlossen für den Chatbot seien. Einige Schweizer Kantons- und Gemeindeverwaltungen arbeiten bereits mit Chatbots, andere sind daran interessiert, wieder andere noch skeptisch, wie die Vereine eGOV Schweiz und Myni Gmeind in einem gemeinsam erstellten White Paper schreiben. Ziel der Zusammenarbeit und des Projekts ist die Sensibilisierung der Gemeinden zu diesem Thema und der Aufbau eines Systems, welches die Lieferanten zusammenarbeiten lässt. Die IT-Firma Löwenfels Partner AG, Vereinsmitglied von eGOV Schweiz, hat sich bereit erklärt, die Erkenntnisse und die Vorstellungen in einem ersten Prototyp abzubilden. Ziel ist aber, dass es am Schluss diverse Lieferanten gibt, welche – analog dem Beispiel eUmzug – kooperieren.
Dank des in diesem White Paper vorgeschlagenen kollektiven Lösungsansatzes können die meisten Schritte, die zur Realisierung eines Chatbots führen, standardisiert und mit mehreren Gemeinden gleichzeitig durchge- führt werden. Darüber hinaus können die Gemeinden dem Projekt in jeder Phase beitreten und vom Wissen der anderen profitieren. Zum Beispiel können Daten über häufig gestellte Fragen zwischen den Gemeinden ge- teilt werden, um das Verständnis des Chatbots zu erhöhen und so ein besseres Benutzererlebnis zu schaffen. Durch die Zusammenarbeit kann der Chatbot schneller realisiert und gemeinsam weiterentwickelt werden. Verglichen mit Projekten, die von Gemeinden allein ausgearbeitet werden, reduzieren sich Kosten und Auf- wand enorm. Alle profitieren vom Netzwerk.
Der Verein Myni Gmeind engagiert sich vor allem für ländliche Gemeinden, die von der Urbanisierung betrof- fen sind. Um einen positiven Beitrag zu leisten, sollen die Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner mit denjenigen der Behörden zusammengebracht werden, und mit Hilfe neuer Technologien und Prozesse sollen Lösungen für die Gemeinde der Zukunft gefunden werden.
Der Verein eGOV Schweiz setzt sich für die Förderung des digitalen Governments ein. Seine Ziele sind die Sensibilisierung, der Aufbau von digitalen Strukturen und die Verbreitung der Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung im Bereich des eGovernments. Gefördert werden diese Ziele unter anderem durch das Zusam- menführen von Partnern, durch Mithilfe beim Start von Projekten und bei deren Umsetzung.
Das Whitepaper kann auf der Website von Myni Gmeind heruntergeladen werden.