Das Bundesgericht in Lausanne.

Vorsteuerabzug: Bundesgericht korrigiert langjährige Praxis

24.10.2023
11 l 2023

Die Gemeinden zählen aus mehrwertsteuerlicher Sicht unbestritten zu den komplexesten Gebilden. Das Bundesgericht schreibt mit seinem Urteil 2C_2/2022 ein weiteres Kapitel. Worum geht es? Ein kurzer Überblick für die Praxis

Das Urteil 2C_2/2022 vom 22. November 2022 korrigiert die bisherige Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung bei der Frage des Vorsteuerabzugs auf Investitionen von nicht spezialfinanzierten Dienststellen. Bisher stellte sich die Behörde auf den Standpunkt, dass die Investitionen der nicht spezialfinanzierten Dienststellen grundsätzlich als durch den allgemeinen Steuerhaushalt finanziert zu betrachten sind und somit aus mehrwertsteuerlicher Sicht wie Subventionen behandelt werden müssen. Der Vorsteuerabzug war somit ausgeschlossen. Dies beispielsweise selbst dann, wenn ein neu gebautes Verwaltungsgebäude vollumfänglich optiert (und somit freiwillig der Mehrwertsteuer unterstellt) an Dritte und andere Dienststellen der gleichen Gemeinde vermietet wurde.

Gemäss Gerichtsurteil ist die bisherige Annahme, dass eine Finanzierung aus den allgemeinen Steuermitteln immer direkt als Subvention (ohne Anrecht auf Vorsteuerabzug der Investitionen) zu betrachten ist, nicht mehr zulässig. Vielmehr ist zu prüfen, ob nicht allenfalls eine sogenannte Einlage vorliegt. Darunter sind verschiedene Finanzierungsmassnahmen wie, Zuschüsse und Beiträge à fonds perdu oder Forderungs- und Zinsverzichte im Zusammenhang mit gewährten Darlehen zu verstehen. Das entscheidende Merkmal dabei ist, dass diese Mittelflüsse beim Empfänger keine Einnahme und beim Entrichtenden keine Ausgabe darstellen. Es findet vielmehr eine rein buchhalterische Vermögensumschichtung statt, wofür der Geldgeber im Gegenzug eine Beteiligung erhält. Diese muss jedoch nicht zwingend in Form von Wertpapieren oder Kapitalanteilen sein. Gemäss Urteil reicht eine blosse wirtschaftliche Beteiligung aus. Diese Einlagen sind aus mehrwertsteuerlicher Sicht nicht mit einer Subvention gleichzusetzen und haben keine Vorsteuerkürzung auf Investitionen zur Folge!

Subvention muss von Dritten geleistet werden

Zudem wurde präzisiert, dass eine Subvention an sich selbst aus mehrwertsteuerlicher Sicht nicht möglich ist. Dies bedeutet in der Praxis, dass nur dann von einer mehrwertsteuerlich relevanten Subvention ausgegangen werden muss, wenn diese von einem Dritten geleistet wird. Beispielsweise von einer anderen Gemeinde, vom Bund oder vom Kanton an die Gemeinde, allenfalls von der Schulgemeinde an die politische Gemeinde oder von der Kirchgemeinde an die politische Gemeinde. Bei den internen Mitteltransfers aus dem Steuerhaushalt an die Investitionsrechnung der jeweiligen Dienststelle ist dies offensichtlich nicht der Fall.

Was bedeutet dies nun für die Gemeinden? Üblicherweise nicht spezialfinanzierte Dienststellen sind nun hinsichtlich der neuen mehrwertsteuerlichen Möglichkeiten zu überprüfen. Konkret geht es um nicht spezialfinanzierte Dienststellen, die

bereits mehrwertsteuerpflichtig sind oder sich freiwillig mehrwertsteuerlich registrieren lassen können,

die effektive Abrechnungsmethode anwenden oder neu die effektive Abrechnungsmethode wechseln können (im Einzelfall zu prüfen!)

und deren Vorsteuern auf Investitionen im Rahmen der unternehmerischen steuerbaren Tätigkeit angefallen sind.

Typische Beispiele dafür sind Hallen- und Schwimmbäder, Sportanlagen oder grössere Gemeindehäuser, die (unter anderem) durch steuerbare Eintritte oder steuerbare (optierte) Vermietungen finanziert werden.

Wie bereits erwähnt, stellt sich die Frage zur Vornahme von Vorsteuerabzügen bei laufenden, zukünftigen und teilweise sogar auch vergangenen Investitionsprojekten (Verjährung). Die Problematik der Betriebszuschüsse ist nicht vom Urteil des Bundesgerichts erfasst. Werden Betriebsdefizite aus dem allgemeinen Steuerhaushalt gedeckt, gilt nach wie vor die bisherige Praxis, und die Zuschüsse sind den Subventionen gleichgestellt. Entsprechend muss der Vorsteuerabzug in der Erfolgsrechnung verhältnismässig gekürzt werden. Zudem fehlt hier die wirtschaftliche Gegenleistung zur entsprechenden Geldzahlung (Investition), weshalb gemäss den Ausführungen des Bundesgerichts zusätzlich nicht von einer Einlage im Sinne eines Finanzierungstatbestandes ausgegangen werden kann.

Noch keine gefestigte Praxis

Die konkrete Umsetzung in der Praxis ist zurzeit noch mit vielen Fragezeichen versehen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat im Rahmen der Überarbeitung der MWST-Branchen-Info 19 «Gemeinwesen» nur rudimentär Stellung bezogen. Entsprechend besteht noch keine gefestigte Praxis. Erfahrungsgemäss ist dies für die einzelnen Gemeinden bei konkreten Fällen mit grossem Arbeitsaufwand verbunden, und es ist mit langen Bearbeitungszeiten zu rechnen. Entsprechend ist allen interessierten Gemeinden geraten, jeden Fall vertieft zu prüfen, zu dokumentieren und in den praktischen Schritten auf eine wortgetreue Umsetzung des Urteils Wert zu legen.

Adrian Wyss
Leiter MWST-Beratung BDO AG