Vier Tipps für nachhaltige Jugendpartizipation
Wie können Gemeinden Jugendpartizipation nachhaltig gestalten? Die Studie «Mitreden für die Zukunft!» des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente (DSJ) liefert Antworten und gibt konkrete Handlungsempfehlungen.
In einer Solothurner Gemeinde setzen sich junge Menschen und Gemeindevorstehende zusammen an einen Tisch. Sie überlegen gemeinsam, wie die aufkommenden Vorschläge zur Umgestaltung der Gemeinde umgesetzt werden könnten. Dann geht das Treffen zu Ende, einige Ideen werden umgesetzt. Doch was geschieht mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen? Werden sie sich auch in Zukunft wieder einbringen und sich für ihre Ideen einsetzen?
Dieses Beispiel zeigt, dass die Etablierung langfristiger Strukturen und Instrumente für die Partizipation von jungen Menschen für Schweizer Gemeinden enorme Vorteile hat: Sie vergrössert die Ressourcen junger Menschen für demokratisches Handeln und ihre Fähigkeiten, in der zukünftigen Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Langfristige Partizipationsstrukturen tragen also zur Förderung des Milizsystems bei, das für das Funktionieren von Gemeinden zentral ist.
20 Gemeinden analysiert
Die Studie «Mitreden für die Zukunft!», durchgeführt im Auftrag des Amts für Gesellschaft und Soziales des Kantons Solothurn, bietet im Vergleich zu anderen Untersuchungen im Bereich der Jugendpartizipation einen praxisnahen und unmittelbaren Bezug zur Gemeinde. Die Studie hat 20 Gemeinden analysiert, die einen engage-Prozess durchlaufen haben.
engage.ch ist ein Angebot des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente (DSJ). Der engage-Prozess ist ein ganzheitlicher Prozess, der einer Gemeinde erlaubt, das Thema Jugendpartizipation nachhaltig und zielgerichtet anzugehen. Die Gemeinde wird während eines Jahrs durch das engage-Team eng begleitet. Auf dem Onlinekanal engage.ch können Jugendliche ihre Anliegen einbringen, die dann an Politikerinnen und Politiker herangetragen werden. Ergänzt wird der Prozess durch unterschiedliche Events, Unterstützung bei der Umsetzung von Projekten, Beratung in Bezug auf nachhaltige Partizipationsstrukturen und weitere Angebote.
«Jugendpartizipation hört sich oft so an, als gäbe es ein Wundermittel, um alle Jugendlichen abzuholen, doch die Jugend ist vielfältig, und genauso müssen Strukturen und Instrumente für Jugendpartizipation gedacht werden», sagt Ira Differding, Bereichsleiterin engage.ch. Der Aufbau eines Instagram-Kanals für die Gemeinde als jugendgerechtes Kommunikationsmittel könne beispielsweise ein erster Schritt sein, um Jugendliche für die lokale Jugendkommission zu gewinnen oder auf die Möglichkeit einer Jugendmotion hinzuweisen.
«Jugendpartizipation hört sich oft so an, als gäbe es ein Wundermittel, um alle Jugendlichen abzuholen, doch die Jugend ist vielfältig, und genauso müssen Strukturen und Instrumente für Jugendpartizipation gedacht werden.»
Die Studie hat hilfreiche und hinderliche Faktoren identifiziert für den Aufbau von kommunalen Partizipationsstrukturen und -instrumenten für junge Menschen. Insbesondere das Engagement der involvierten Personen kann den erfolgreichen Aufbau von Partizipationsstrukturen stark beeinflussen. Als besonders hilfreich wurden die Beratung durch engage.ch und der Austausch mit anderen Gemeinden oder Organisationen genannt. Der Mangel an finanziellen und personellen Ressourcen, der Aufbau der Gemeinde sowie eine fehlende oder schwierige Zusammenarbeit mit Politik, Verwaltung, Jugendarbeit und Schule erschweren den Aufbau.
Wie kann die Gemeinde mit diesen hilfreichen und hinderlichen Faktoren bestmöglich umgehen? Die Studie empfiehlt vier Handlungsmassnahmen.
1. Offene und unverbindliche Gemeindestrukturen für umfassende und faire Mitwirkung
Um Jugendliche in Prozesse auf Gemeindeebene zu integrieren, braucht es möglichst niederschwellige Strukturen. Die Verantwortung für die Errichtung dieser Strukturen obliegt der Gemeinde. Es ist wichtig, dass die junge Bevölkerung von Beginn an bis zum Ende eines Projekts miteinbezogen wird und auch selbst zur Umsetzung ihrer Ideen beiträgt. Dabei ist eine enge Begleitung durch Erwachsene notwendig, um die eher komplexen Strukturen einer Gemeinde zu überwinden. Austausch-Cafés oder -Abende sind gute Beispiele für unverbindliche Kommunikationsgefässe zwischen Jugendlichen und Erwachsenen.
2. Mehr Vernetzung für effiziente Zusammenarbeit
Da die finanziellen und personellen Ressourcen seitens Erwachsener knapp sind, braucht es innerhalb und ausserhalb der Gemeinde eine stärkere Vernetzung. Bereits ein paar Treffen pro Jahr führen dazu, dass Partizipationsprojekte breiter gestreut und die Ressourcen der Beteiligten verteilt werden. Ausserdem kann die Gemeinde noch mehr in Partizipationsprozesse involviert werden, indem erwachsenen Beteiligten auf Gemeindeebene eine eingebundene Rolle zugewiesen wird (beispielsweise Führung von Miniprojekten). Idealerweise gibt es mehrere Teilziele in Partizipationsprozessen, die alle Beteiligten berücksichtigen und ihnen klare Anforderungen stellen.
3. Übersetzungsarbeit für das richtige Partizipationsverständnis
Jugendliche und Erwachsene haben oft eine andere Vorstellung von ihrer Partizipation (zum Beispiel von der Form oder Dauer). Es braucht Übersetzungsarbeit beider Lebenswelten: Erwachsene müssen oftmals lernen, dass junge Menschen ernsthaft mitwirken können, wollen und müssen; junge Menschen müssen oftmals lernen, dass Prozesse eine gewisse Zeit brauchen, bis Resultate sichtbar sind. Diese «übersetzende» Rolle nehmen Fachpersonen (etwa der Jugendarbeit oder von engage.ch) wahr. Beispiele sind Workshops, die über die Möglichkeiten und Grenzen der Mitwirkung in der Gemeinde aufklären. Auch Treffen mit Politikerinnen und Politikern, die den Jugendlichen von ihrer Arbeit erzählen, tragen zum gegenseitigen Verständnis bei.
4. Verankerte Gefässe für langfristige Partizipationsstrukturen
Nach dem Abschluss eines Projekts sollte die Gemeinde sich dafür einsetzen, dass die aufgebauten Strukturen verankert werden, sei es durch Konzepte in der Gemeinde, Leitbilder oder im Gesetz. Partizipationsstrukturen können verankert werden, indem sie wiederkehrend, verpflichtend und alters- sowie raumübergreifend ausgerichtet sind. Austauschgefässe sollten auch nach Beendigung von Partizipationsprozessen weiterlaufen. Das Bewusstsein für die Nachhaltigkeit von Partizipationsstrukturen ist für deren Aus- und Aufbau zentral und sollte während des gesamten Aufbaus einer Struktur immer wieder vermittelt werden.