Die dreigliedrige Organisation von Mobilität und Verkehr stellt die Gemeinden vor eine Reihe von Herausforderungen, insbesondere bei der Koordinierung von Programmen zwischen den staatlichen Ebenen. Der Wille zur Zusammenarbeit ist da: Im Bild begrüsst Hannes Germann, Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbandes, Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 9. September 2021 im Rahmen einer Veranstaltung in Wohlen (AG) und Emmenbrücke (LU) mit dem Ziel, attraktive Verkehrsschnittstellen gemeinsam zu fördern. 

Verkehr und Mobilität: Vor diesen Herausforderungen stehen die Gemeinden

21.10.2021
10 | 2021

Die Veränderungen im Bereich Verkehr und Mobilität haben Folgen für die Gemeinden. Der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) hat bei seinen Mitgliedern nachgefragt, welche politischen Fragen in diesem Zusammenhang auf Gemeindeebene diskutiert werden.

In der Verkehrs- und Mobilitätspolitik zeichnet sich ein Wandel ab. Es gibt zahlreiche Anreize für eine Verlagerung von der Fortbewegung auf der Strasse zu einer sanften Mobilität. Dazu gehören ehrgeizige Projekte wie Cargo sous terrain (unterirdischer Gütertransport) und Pilotprojekte für Mobility Pricing, die auf Bundesebene diskutiert werden. Die Veränderungen finden sich auf allen föderalen Ebenen und beeinflussen bereichsübergreifend Raumplanung sowie Energie- und Umweltpolitik. Einige Städte und Gemeinden haben bereits innovative Mobilitätsprogramme umgesetzt, so etwa das Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor im Stadtzentrum bis 2030 oder Wohnquartiere mit Car-sharing. Diese Entwicklungen werfen auf Gemeindeebene zahlreiche Fragen auf. So muss beispielsweise im Zusammenhang mit dem Mobility Pricing bei der Stadteinfahrt geklärt werden, wie die Bevölkerung in den Randregionen in die Stadtzentren gelangt. Der unterirdische Gütertransport, eine Lösung für die Logistik und zur Entlastung der Strassen, wirft Fragen betreffend Eigentumsverhältnisse und Nutzungsrechte auf.

Mobilitätsmanagement in verdichteten Gebieten

Der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) zieht angesichts dieser Entwicklungen Bilanz über den Stand der Arbeiten auf kommunaler Ebene. Im Rahmen einer Umfrage haben wir die Meinungen unserer Mitglieder zu den zurzeit in Bern diskutierten politischen Dossiers eingeholt. 2021 sind die Gemeinden betreffend Mobilität und Verkehr mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, die aber alle eng mit der Raumentwicklung verbunden sind. Die grösste Schwierigkeit für die Gemeinden besteht heute im Mobilitätsmanagement in verdichteten Gebieten. Dazu gehören unterschiedliche Aufgaben wie Massnahmen zur Reduzierung des Transitverkehrs, die Reorganisation des Stadtverkehrs mit Massnahmen zur Geschwindigkeitsbegrenzung (Umsetzung von Tempo-30-Zonen) oder die Suche nach Lösungen im Umgang mit Verkehrsüberlastungen an Knotenpunkten. Die Verstärkung der Rechtsvorschriften zur Lärmbekämpfung bringt im Rahmen der Umsetzung gewisse Herausforderungen mit sich. Die zwecks Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften erforderlichen Massnahmen zur Sanierung gewisser Abschnitte müssen von den Gemeinden getragen werden, sofern die Strassen die Gemeinden durchqueren. Die entsprechenden Kosten sind in der Regel sehr hoch. In Bezug auf Mobilität und Verkehr sind die Gemeinden für die Gemeindestrassen zuständig. Die Kantonsstrassen werden von den Kantonen (kantonale Gesetzgebung) und die Nationalstrassen vom Bund (Bundesgesetz über die Nationalstrassen, NSG) verwaltet. Diese dreigliedrige Aufteilung erweist sich insbesondere bei der Koordination der Programme unter den staatlichen Ebenen als schwierig. Daher sind für viele Gemeinden, die auf die Umfrage reagiert haben, die Anbindung ans Strassennetz und die Koordination der Bedürfnisse problematisch.

Seitens sanfter Mobilität befassen sich die Gemeinden mit der Erstellung eines Velowegnetzes, das für die Benutzer Sicherheit und Komfort bietet. Dies geht einher mit Fahrradabstellplätzen und Überlegungen zur infrastrukturellen Komplementarität zwischen der sanften Mobilität und dem ÖV-Angebot (Planung von Verkehrsschnittstellen). Das einvernehmliche Miteinander von Velos, E-Bikes, E-Scootern, Fussgängern und Automobilisten ist manchmal sehr kompliziert.

Zusammenhängende Velowege

Für die befragten Gemeinden hat die Erstellung von Velowegen zur Förderung der sanften Mobilität oberste Priorität. Dies ergibt sich direkt aus der grossen Zustimmung der Bevölkerung und der Kantone 2018 zum Veloweggesetz. Der Bundesrat hat im Mai 2021 die Botschaft zum Veloweggesetz zuhanden des Parlaments verabschiedet. Der Bau der Velowege bleibt Aufgabe der Kantone, die in Zukunft dafür verantwortlich sind, Velowege zu planen und für deren Vernetzung und Sicherheit zu sorgen. Auch die Gemeinden sind von den neuen Vorschriften betroffen. Sie müssen für die Kosten der Infrastrukturen auf Gemeindegebiet aufkommen. Die Arbeiten für die Durchführung dieser Massnahmen sind je nach bereits bestehendem Netz, aber auch im Zusammenhang mit vorhandenen Infrastrukturen beträchtlich. Sind die Gemeindestrassen beispielsweise nicht breit genug, um sichere Velowege zu integrieren, sind umfassende Arbeiten nötig.

Der heutige Gesetzesentwurf sieht in Artikel 2 vor, dass «Velowege zusammenhängende und durchgehende Verkehrsverbindungen für Velofahrerinnen und Velofahrer mit den entsprechenden Infrastrukturen sind». Diese durchgehende Verbindung erfordert von den Gemeinden eine enge Koordination mit den Nachbargemeinden und auf regionaler Ebene. Die meisten der befragten Gemeinden warten auf eine kantonale Planung, bevor sie die Velowege weiterausbauen und miteinander verbinden. Alle Gemeinden, die auf die Umfrage reagiert haben, verfügen bereits über laufende oder fertiggestellte Velowegprojekte.

Komplementäre Verkehrsangebote

Der Sachplan Verkehr 2050 gibt dem Bund den Rahmen für die langfristige Verkehrsplanung vor. Ziel dieses Strategieinstruments ist eine optimierte Koordination der Planung aller Verkehrsmittel (Strasse, Schiene, Luftfahrt und Schifffahrt) mit der Raumplanung und dem Umweltschutz. Für den SGV ist eine weiterhin gute lokale Bedienungsqualität wichtig, unabhängig von reinen Rentabilitätsberechnungen. Gemäss der Mehrheit der befragten Gemeinden braucht es für ein reibungsloses Funktionieren der öffentlichen Verkehrsmittel eine Planung. Die Rolle der Kantone als Schnittstelle zwischen dem Bund und den Gemeinden ist dabei von zentraler Bedeutung.

Um die Belastung des motorisierten Verkehrs auf die Strassen und die Umwelt zu vermindern, wird mittels einer multimodalen Herangehensweise nach einem Miteinander und einer Komplementarität der Verkehrsmittel gesucht. Den Gemeinden kommt bei der Konkretisierung dieser Herangehensweise eine wichtige Rolle zu. Die hauptsächliche Problematik der befragten Gemeinden liegt bei der Organisation der Parking-Infrastruktur sowohl in der Nähe der Ortschaften als auch in den Ortschaften in der Nähe der Infrastrukturen für sanfte Mobilität (Park&Ride, Bike&Ride, Kiss&Ride, Mobility, Bike-Sharing) und der öffentlichen Verkehrsmittel, alles in Koordination mit den Kantonen.

Der Bundesrat möchte zudem Pilotprojekte zu Mobility Pricing fördern. Dies gestützt auf eine auf 10 Jahre befristete gesetzliche Grundlage, die es den Kantonen, Städten und Gemeinden ermöglicht, örtlich und zeitlich begrenzte Pilotprojekte zu Mobility Pricing mit Abgabepflicht durchzuführen. Die Projekte decken sowohl Preissysteme im motorisierten Individualverkehr als auch im öffentlichen Verkehr. Ziel ist es, Daten zu sammeln, mit denen geeignete Lösungen für die Überlastung der Verkehrsinfrastrukturen, vor allem in urbanen Gebieten und Agglomerationen, gefunden werden können. Der SGV ist der Meinung, dass es Lösungen braucht, um die Überlastung der Verkehrsinfrastrukturen zu reduzieren. Ein Mobility-Pricing-System (Abgabepflicht) käme indessen neuen Hindernissen bei der Einfahrt in die Stadt gleich. Diese würden die Randregionen zu stark belasten, falls kein Kompensationssystem vorgesehen ist. Die meisten befragten Gemeinden sind daher im Prinzip für das Projekt, aber nur, wenn es von spezifischen Massnahmen für eine modale Verlagerung der Verkehrsteilnehmer begleitet wird.

Ausreichende Stromversorgung

Die Roadmap zur Förderung der Elektromobilität ist ein Projekt, das das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) 2018 lanciert hat. Das Ziel, den Anteil der (elektrischen und hybriden) wiederaufladbaren Elektrofahrzeuge bei den Neuzulassungen von Personenwagen bis 2022 auf 15 Prozent zu erhöhen, wurde bereits erreicht (18,8 % per Ende Mai 2021). Das Projekt wird wahrscheinlich bis 2025 verlängert. Neues Ziel sind 40 % Neuzulassungen und 20'000 öffentlich zugängliche Ladestationen. Die grösste Sorge der Gemeinde betrifft die ausreichende Bereitstellung von Ladestationen auf Gemeindegebiet, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen. Auch bei der Frage nach der Energieversorgung, vor allem im Winter und während der täglichen Spitzenzeiten, äussern die Gemeinden Bedenken. Gewisse Gemeinden schätzen daher, dass eine substanzielle Zunahme der Elektrofahrzeuge die Energieversorgung aufgrund des aktuellen Zustands der Infrastrukturen unter Druck setzt.

Das quantitative Ziel von 20000 öffentlich zugänglichen Ladestationen betrifft die Gemeinden direkt und stellt für diese eine grosse Herausforderung dar. Das ehrgeizige Ziel sollte in einem begrenzten Zeitraum (2022 - 2025) erreicht werden. Die Gemeinden verfügen über wenig Baufläche. Aus diesem Grund müssen die Ladeinfrastrukturen in bestehenden Gebäude eingerichtet werden können. Gemäss dem SGV sind es in erster Linie private Akteure, die den technologischen Wandel vorantreiben wollen und müssen.

500 Kilometer unterirdischer Gütertransport

Cargo sous terrain ist ein privatwirtschaftlich initiiertes Projekt, das die wichtigen Logistikzentren der Schweiz ab 2031 unterirdisch verbinden soll (500 km). Das Gesetz befindet sich zurzeit zur Verabschiedung im Parlament. Ein Bundesgesetz für unterirdische Gütertransportanlagen wird den Rahmen für die Ausführung dieser Arbeiten, die mit privaten Mitteln finanziert werden, setzen. In diesem Stadium ist es schwierig, Aussagen über die konkreten Folgen, die das Projekt für die Gemeinden haben wird, zu machen. Einige der befragten Gemeinden weisen jedoch darauf hin, dass die Problematik der Verkehrsüberlastung damit nicht für alle Gemeinden behoben ist. Die letzten Kilometer werden nach wie vor auf den klassischen Strassennetzen erfolgen und die Verkehrsüberlastung wird an den Ein- und Ausfahrtspunkten zunehmen. Die grosse Mehrheit der befragten Gemeinden teilt die Bedenken des SGV in Bezug auf potentielle Nutzungskonflikte des Untergrunds, beispielsweise im Zusammenhang mit Energie (Erdwärme, Wärmepumpe usw.), Anlagen (Parkhäusern) oder Biodiversität.

Der lokale und regionale Verkehr steht im aktuellen Kontext der Gesundheitskrise unter Druck. Die überwiegende Mehrheit der lokalen Transportunternehmen musste in grossem Ausmass auf die Reserven zurückgreifen, um den Nachfragerückgang von 2020 wettzumachen. Auch 2021 ist keine Besserung eingetreten. Der SGV setzt sich weiterhin dafür ein, dass alle staatlichen Ebenen, einschliesslich der kommunalen, von der Bundeshilfe profitieren können. In einem Kontext, in dem es immer mehr Programme für eine CO2-freie Mobilität gibt, nimmt auch die Bedeutung der öffentlichen Verkehrsmittel zu. Die Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr darf wegen des aufgrund der Gesundheitskrise erlittenen Ertragsrückgangs nicht gefährdet werden.

Manon Röthlisberger
Übersetzung: CoText
Projektverantwortliche SGV

Informationen:

Die Umfrage wurde von Mitte August bis Mitte September bei den kantonalen Gemeindeorganisationen durchgeführt. Einige Organisationen haben die Fragen an ihre Mitglieder weitergeleitet, andere haben direkt geantwortet. Insgesamt erhielt der SGV zwölf Antworten aus der Deutschschweiz und sieben aus der Romandie.