Ein Milizamt und Beruf unter einen Hut zu bringen, kann stressig sein. Unternehmen können dazu beitragen, dies zu vereinfachen.

Vereinbarung von Milizamt und Beruf: Die Rolle der Wirtschaft

19.04.2022
4 | 2022

Die Besetzung der politischen Behördenämter ist für viele der rund 2200 Gemeinden in der Schweiz eine Herausforderung. Das Forschungsprojekt «PoliWork» der FH Graubünden untersucht erstmals die Vereinbarkeit von Beruf und Milizengagement. Daraus entstanden Massnahmen mit über 50 Praxisbeispielen, die in einem Online-Tool aufbereitet sind.

Studien zeigen, dass die berufliche Tätigkeit einen grossen Einfluss auf die Entscheidung zur Übernahme eines politischen Milizamts hat – jedoch wurde die Rolle der Unternehmen diesbezüglich kaum untersucht. Mit dem Forschungsprojekt «PoliWork», das vom Schweizerischen Gemeindeverband unterstützt wurde, werden erstmals schweizweit Unternehmensdaten zur Vereinbarkeit von Beruf und politischem Milizamt ausgewertet und darauf basierend betriebliche Massnahmen vorgeschlagen. So könnten die Unternehmen vermehrt einen Beitrag zur Förderung des Schweizer Milizsystems leisten.

Vereinbarkeit bleibt herausfordernd

Im Rahmen des Projekts wurde unter anderem eine schweizweite Befragung von fast 1900 politisch Miliztätigen sowie eine national repräsentative Erhebung bei 500 Unternehmen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen eine ungebrochen hohe Herausforderung, das politische Engagement in Ämtern mit dem Beruf zu vereinbaren. Besonders Gemeindeexekutiv- und Kantonslegislativmitglieder bringen dies deutlich zum Ausdruck.

Generell ist die Zufriedenheit der Miliztätigen mit den Rahmenbedingungen in ihrem Unternehmen für das politische Engagement jedoch hoch. Sie sehen in ihrer Tätigkeit den Grundgedanken des Milizwesens erfüllt und erkennen hohen Nutzen in ihrem Engagement – auch zugunsten der Unternehmen. Die Wirtschaft wiederum teilt diese Einschätzung, aber in vermindertem Masse. Gleichzeitig sind Milizpolitiker und Milizpolitikerinnen mit der Unterstützung der Arbeitgeber auffallend zufrieden. Trotzdem fordern sie generell ein stärkeres Engagement der Wirtschaft beziehungsweise der Arbeitgeber in der Förderung des politischen Milizsystems. Hingegen sehen lediglich 30 Prozent der befragten Unternehmen einen Bedarf, das politische Milizsystem spezifisch zu fördern. Davon nehmen knapp 9 Prozent eine aktive Förderrolle ein – weitere 21 Prozent eine passive.

Politisches Milizsystem unbestritten, Wirtschaft zweigeteilt

Das heutige Milizsystem ist stark in der Gesellschaft verankert und wird auch von den Unternehmen getragen. In erster Linie liegt es in der einzelbetrieblichen Verantwortung, die Vereinbarkeit von Beruf und Milizpolitik zu gewährleisten. Darin besteht ein breiter Konsens. Staatliche «Zwangsmassnahmen», welche die Wirtschaft verpflichten, einen obligatorischen Beitrag zur Förderung des politischen Milizsystems zu leisten, stossen in weiten Teilen der Unternehmen auf Skepsis. Einzig eine staatliche Unterstützung via Erwerbsersatzordnung (analog Militärdienst) wird von den befragten Unternehmen überraschend positiv aufgenommen.

Allerdings: Der grösste Teil der befragten Unternehmen, 46 Prozent nämlich, hat keine Mitarbeitenden, die ein politisches Milizamt ausüben. Dies offenbart ein Bild eines weniger breit abgestützten Milizsystems mit einer zweigeteilten Wirtschaft: Die eine Hälfte der Unternehmen mit Mitarbeitenden, die in der kommunalen oder kantonalen Milizpolitik aktiv sind, die andere Hälfte ohne. Insgesamt sind die politisch Miliztätigen sehr ungleich über alle Unternehmen verteilt und konzentrieren sich auf einige wenige.

Zudem fällt auf, dass lediglich gut 20 Prozent der Unternehmen ihre Mitarbeitenden zu einer Kandidatur für ein politisches Amt ermuntern. Das Rekrutierungspotenzial hingegen wäre vorhanden: Analysen zeigen, dass von den rund 4,7 Millionen Erwerbstätigen in der Schweiz rund 33 Prozent oder 1,4 Millionen Personen über flexible Arbeitszeiten und damit über die erforderliche Arbeitszeitautonomie verfügen.

Was können die Gemeinden tun?

Bei der Einschätzung von möglichen Massnahmen stechen vor allem die Förderung einer flexiblen Zeitgestaltung und die Verbesserung der Wertschätzung der Miliztätigkeit durch die Unternehmensleitung hervor. Auch die Gemeinden können auf die Herausforderung der Vereinbarkeit reagieren und die Ämter so ausgestalten, dass Sitzungen nicht während der Arbeitszeit stattfinden. Zunehmend Bedeutung gewinnen auch Gemeindestrukturen, die helfen, die Gemeindeexekutive zeitlich zu entlasten. Weiter haben einzelne Gemeinden auch ihre Geschäftsordnung dahingehend angepasst, dass eine virtuelle Teilnahme an politischen Sitzungen ermöglicht wird.

Insgesamt zeigt sich: Die Vereinbarkeit von Beruf und politischem Milizengagement ist eine Herausforderung, und es braucht Anstrengungen sowohl seitens der Wirtschaft als auch der Gemeinden und Miliztätigen. Letztlich lässt sich nur so ein politisches Milizamt für alle Seiten gewinnbringend ausüben.

Online-Tool

Das Projekt «PoliWork» wurde von 18 Unternehmen, Stiftungen und öffentlichen Organisationen unterstützt, darunter dem Schweizerischen Gemeindeverband. Die Forschenden der FH Graubünden haben in Zusammenarbeit mit Andreas Müller (politconsulting) neben der Studie ein innovatives Online-Tool entwickelt, das Unternehmen in einem Check aufzeigt, wo sie in der Förderung des politischen Engagements ihrer Mitarbeitenden im Schweizer Vergleich stehen. Zudem werden verschiedene Massnahmen mit konkreten Beispielen aus der Praxis illustriert. Unternehmen und ihre Miliztätigen sollen direkt angesprochen werden, aber auch der breiten Öffentlichkeit sollen Impulse und neue Ideen geliefert werden.

Studie und Online-Tool sind verfügbar unter: www.poliwork.ch

Curdin Derungs
Zentrum für Verwaltungsmanagement der Fachhochschule Graubünden
Professor für Public Management
Dario Wellinger
Zentrum für Verwaltungsmanagement der Fachhochschule Graubünden
Wissenschaftlicher Projektleiter