Über Speeddating zur Gebäudesanierung
Ein Forschungsteam hat einen Beratungsprozess entwickelt, bei dem auf Initiative der öffentlichen Hand Eigentümerinnen und Eigentümer erneuerungsbedürftiger Liegenschaften mit Sanierungsfachleuten in Kontakt gebracht werden.
Kann die Sanierungsrate erhöht werden, wenn Gemeinden auf die Unterstützung von Fachleuten für energetische Sanierung zurückgreifen? Dieser Frage ging ein Forschungsprojekt der Beratungsunternehmen Intep – Integrale Planung GmbH (Zürich) und Weinmann Energies S. A. (Echallens) nach. «In unserem Projekt ging es insbesondere um die Frage, mit welchen Formen von Kommunikation und Partizipation sich Eigentümerinnen und Eigentümer von Einfamilienhäusern zu einer Sanierung bewegen lassen», sagt Projektleiter Christian Schmid. «Diese weichen Faktoren sind zentral, denn erst wenn diese Bereitschaft zu einer Sanierung besteht, kann die technische Aufgabe, ein Sanierungskonzept zu erstellen, überhaupt angepackt werden.»
In fünf Schritten zur Sanierung
Ziel des Projekts war die Entwicklung und praktische Erprobung eines Prozesses, mit dem Gemeinden Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer zu einer Sanierung bewegen können. Der sogenannte SAN-CH-Prozess basiert auf einem Vorgehen, das die Energieforschung Stadt Zürich entwickelt hat und im vorliegenden Projekt zu einer Mustervorlage für alle Schweizer Gemeinden weiterentwickelt werden sollte. Die Arbeiten wurden unter anderem vom Bundesamt für Energie unterstützt.
Der SAN-CH-Prozess umfasst fünf Schritte: Erstens ermittelt die Gemeinde durch Auswertung von Registern und weiteren Informationsquellen Gebäude mit grossem Sanierungsbedarf. Zweitens sucht die Gemeinde Sanierungssachverständige (Energieberaterinnen und Energieberater, Architektinnen und Architekten, Fachpersonen von Energieversorgern, Bauunternehmen oder Heizungs-/Lüftungs-/Klimafirmen) und motiviert sie für eine unentgeltliche Mitarbeit bei einer Sanierungsberatung.
Im dritten Schritt fragt die Gemeinde Eigentümerinnen und Eigentümer besonders sanierungsbedürftiger Liegenschaften schriftlich wegen der Teilnahme an einem Vermittlungsanlass zur Sanierungsberatung an. Der Vermittlungsanlass – Schritt vier – besteht aus einem fünfminütigen Speeddating-Kennenlerngespräch zwischen der Gebäudeeigentümerin oder dem Gebäudeeigentümer und einer Sanierungsberaterin oder einem Sanierungsberater, gegebenenfalls unterstützt durch sachkundige Gemeindevertreterinnen oder Gemeindevertreter. Wenn sich der Eigentümer oder die Eigentümerin und die Sanierungsberaterin oder der Sanierungsberater inhaltlich und persönlich verstehen, erarbeiten sie im fünften Schritt ein energetisches Sanierungsgrobkonzept, das anschliessend umgesetzt wird.
Eine Sanierung auf 100 Gebäude
Der SAN-CH-Prozess wurde in fünf Schweizer Gemeinden von Januar 2021 bis Juni 2023 testweise umgesetzt. Mit dabei waren die Städte Baden (AG) und Winterthur (ZH), die Gemeinde Glarus sowie die beiden Genfer Vorortsgemeinden Bernex und Confignon – finanziell unterstützt durch die Stadt Baden, die Gemeinde Glarus, den Kanton Genf und die Stadtwerke Winterthur. Das Vorgehen bei der Umsetzung des Prozesses wurde jeweils den lokalen Besonderheiten angepasst. Ziel war, Erfahrungen zu gewinnen, die auf andere Gemeinden und Städte übertragbar sind.
Die Projektteams in den fünf beteiligten Gemeinden identifizierten insgesamt rund 3000 stark sanierungsbedürftige Gebäude und luden deren Eigentümerinnen bzw. Eigentümer zu einem Vermittlungsanlass ein. 242 Hauseigentümer (acht Prozent) folgten der Einladung. Als diese einige Monate nach dem Vermittlungsanlass befragt wurden, hatte gut jeder Zehnte ein Sanierungsprojekt in Angriff genommen. Unter dem Strich entschied sich somit rund ein Prozent der kontaktierten Personen für eine energetische Sanierung. Vor diesem Hintergrund bescheinigen die Studienautorinnen und -autoren dem SAN-CH-Prozess im Projektschlussbericht eine positive Wirkung: «Eigentümerinnen und Eigentümer, die mit Fachleuten vernetzt waren, haben deutlich häufiger ein Sanierungsanliegen vorangetrieben als solche ohne diese Vernetzung.»
Leitfaden für Gemeinden
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben verschiedene Hemmnisse identifiziert, die der Umsetzung von Sanierungen bisher entgegenstehen und die künftig mit geeigneten Massnahmen überwunden werden könnten:
• Da die Sanierungsbereitschaft bei den Eigentümerinnen und Eigentümern unterschiedlich stark ausgeprägt ist, sollte darauf geachtet werden, dass Informationsangebote und die ausgewählten Sanierungsfachleute auf den jeweiligen Stand der Sanierungsbereitschaft zugeschnitten sind.
• Um Enttäuschung und Frustration bei Eigentümerinnen und Eigentümern zu vermeiden, sollte in der Projektkommunikation «eine gute Balance zwischen Aktivierung und Anerkennung der Schwierigkeiten» gefunden werden, wie das SAN-CH-Team festhält.
• Städte und Gemeinden, die einen SAN-CH-Prozess durchführen, müssen sich mit dem Umstand auseinandersetzen, dass Eigentümerinnen und Eigentümer Behörden wie Bewilligungsbehörden oder die Denkmalpflege mitunter als Verhinderer wahrnehmen.
• Die bestehenden Energieberatungen decken die Bedürfnisse der Eigentümerinnen und Eigentümer bei Abklärung und Vorplanung von Sanierungen noch nicht wie gewünscht ab. Neue Fördermodelle unter Einbezug bezahlter Sanierungsfachleute könnten weiterhelfen.
• Wenn die Adressdaten von Gebäuden mit hohem Sanierungsbedarf nicht verfügbar sind, müssen gegebenenfalls alternative Wege gefunden werden, um Personen mit sanierungsbedürftigen Gebäuden anzusprechen.
Für Gemeinden, die den SAN-CH-Prozess durchführen wollen, hat das Projektteam einen Leitfaden unter dem Titel «Sanieren beschleunigen – Leitfaden für eine höhere Sanierungsrate» erarbeitet. «Wir möchten die Gemeinden ermutigen, solche Prozesse durchzuführen und sich damit als Akteure für nachhaltige Entwicklung zu profilieren», sagt Christian Schmid. Dieser Ansatz habe gegenüber allgemeinen Infoveranstaltungen den Vorteil, dass sich Eigentümerinnen und Eigentümer mit einer grundsätzlichen Sanierungsbereitschaft bei ihren individuellen Bedürfnissen abholen liessen und Sanierungsfachleute frühzeitig miteinbezogen werden könnten, hält Schmid fest.