Dient der Sicherheit: die neue Überführung bei Avegno.

Talgemeinden entdecken den Langsamverkehr

14.09.2022
9 | 2022

Im Tessiner Maggiatal wird der Veloweg 31 vollendet. Die Gemeinden profitieren von dem Projekt und sorgen lokal für die Vereinbarkeit unterschiedlicher Nutzungsgruppen.

«Ticino, terra di ciclismo» lautet ein Werbespruch von Ticino Turismo. Das Tessin als Veloland. Doch bei diesem Motto ist auch der Wunsch Vater des Gedankens. Denn für Velotouristinnen und -touristen ist der Südkanton nicht unbedingt immer ein Eldorado. Häufig muss auf befahrenen Strassen geradelt werden. Velowege sind eine Ausnahme, was auch an den beengten Platzverhältnissen und dicht besiedelten Agglomerationen im Talgrund liegt. Doch die Situation verbessert sich, wenn auch nur langsam und mit grosser Verspätung im Vergleich zur Deutschschweiz.

In der Regel werden die Radwege innerhalb der Gemeinden auf bereits existierenden Strassen verwirklicht. Ausserhalb der Gemeinden müssen gesonderte Velowege oder Kunstbauten verwirklicht werden. Die Finanzierung dieser Kunstbauten wiederum erfolgt über die Agglomerationsprogramme. Der Kanton ist zuständig für die Planung der Velowege von nationaler, kantonaler und regionaler Bedeutung, während die Gemeinden lokale Velowege in ihren jeweiligen Zonenplänen definieren.

Auf dem Trassee der ehemaligen Maggiatalbahn

Beispielhaft lässt sich diese Politik im Tessiner Maggiatal veranschaulichen, durch das die letzten 30 Kilometer des Velowegs 31 (Bellinzona–Locarno–Cavergno) führen. Die Route verläuft auf der alten Kantonsstrasse durch Avegno, Maggia, Giumaglio, Someo und Cevio. Auf den Streckenabschnitten zwischen den Orten wurde zum Teil auf das Trassee der ehemaligen Maggiatalbahn zurückgegriffen, das so zu einem Veloweg geworden ist. Diese Talbahn war – wie viele weitere Schmalspurbahnen ihrer Art im Tessin – in den 1960er-Jahren eingestellt worden, weil man in Bussen die Zukunft des öffentlichen Verkehrs sah.

Noch ist der Veloweg durch das Maggiatal nicht vollendet. Er wird in Etappen fertiggestellt. Es fehlt insbesondere das Stück zwischen Someo und Riveo. «In zwei bis drei Jahren wird die gesamte Veloroute durchs Tal fertiggestellt sein», sagt Danilo Tormen, Gemeinderat in der Exekutive von Maggia, das seit der Fusion 2004 mit Aurigeno, Coglio, Giumaglio, Lodano, Moghegno und Someo aus sieben Ortsteilen besteht. Tormen ist für Verkehrsfragen zuständig und zieht grundsätzlich eine positive Bilanz zum Veloweg. Viele Touristen, aber auch Einheimische würden die neue Infrastruktur nutzen. «Alle haben davon profitiert», bilanziert er.

Tempo 30 in Ortskernen geplant

Er weist aber auch auf kritische Situationen hin. Konflikt- und Gefahrenpotenzial ist vor allem mit dem Boom von E-Bikes entstanden. Denn diese flitzen häufig mit hoher Geschwindigkeit und fast lautlos durch die alten Ortskerne, die keine Trottoirs haben. Manche Einwohnerinnen und Einwohner erschrecken, wenn die Bikes an ihnen vorbeirasen. «Das Thema hat schon zu Diskussionen im Gemeinderat geführt», so Tormen. Die Gemeinde Maggia will reagieren, indem in allen Ortskernen Tempo-30-Zonen verwirklicht werden. Die Hoffnung ist, dass durch diese Zonen ein friedliches Miteinander der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer – Fussgängerinnen und Fussgänger, Velofahrende, Autofahrende – gefördert wird. Rund 500’000 Franken beträgt das Budget für die Massnahmen. Die Legislative muss die Gelder noch bewilligen.

Auch in der Gemeinde Cevio, zu der Bignasco, Cavergno und das Bavonatal gehören, wird eine positive Bilanz des neuen Velowegs gezogen. «Gerade auf dem Abschnitt zwischen Cevio und Bignasco wird diese Route auch viel von Einheimischen genutzt und ist zu einem beliebten Spazierweg geworden, etwa für Eltern mit Kinderwagen», meint Cevios Gemeindepräsidentin Moira Medici. Sie merkt an, dass sich eine Gemeinde wie Cevio ein so teures Projekt nicht leisten könnte. Der Aufwand der Gemeinde beschränke sich auf einige rote Sicherheitsmarkierungen auf Gemeindegebiet.

«Gerade auf dem Abschnitt zwischen Cevio und Bignasco wird diese Route auch viel von Einheimischen genutzt und ist zu einem beliebten Spazierweg geworden, etwa für Eltern mit Kinderwagen.»

Moira Medici, Gemeindepräsidentin von Cevio

Sicher ist: Der Veloweg 31 hat viele Velofahrer und Touristen ins Maggiatal gebracht, gerade in den Covid-Jahren 2020 und 2021. «Früher habe ich vielleicht zehn Velofahrer am Tag gesehen, heute sind es vielleicht zehn pro Stunde», meint eine Anwohnerin, die in Avegno gleich neben der Velopiste wohnt, die eigentlich ein Radwanderweg ist, weil sie nicht asphaltierte Streckenabschnitte umfasst.    

Trumpf für den Tourismus

Tatsächlich ist der Radwanderweg für ein Tal wie das Maggiatal ein wichtiger Trumpf für den Tourismus. «Velofahren liegt voll im Trend», sagt Fabio Bonetti, Direktor des Verkehrsvereins Locarno-Ascona. Die Veloroute ins Maggiatal habe eine strategische Funktion und sei wegen des geringen Höhenunterschieds auch für Familien mit Kindern geeignet. «Diese wollen heute abseits des Verkehrs radeln», hält Bonetti fest. In Restaurants oder Grottos entlang der Route könne eingekehrt werden, wodurch auch das lokale Gewerbe im Tal profitiere. Cevio und Bignasco im Maggiatal seien schliesslich auch Ausgangspunkte für anspruchsvollere Touren in höher gelegene Gegenden (Bosco Gurin, San Carlo, Fusio, Naret). Im Moment werde ein Plan erarbeitet, das gesamte Gebiet mit E-Bike-Ladestationen zu versehen.

Gambarogno als Schwerpunkt im Agglomerationsprogramm des Locarnese der vierten Generation

Für die vierte Generation der Agglomerationsprogramme liegt ein Schwerpunkt der mitzufinanzierenden Projekte beim Ausbau des Fuss- und Veloverkehrs sowie des öV. Für das Agglomerationsprogramm im Locarnese (Paloc4) sind Massnahmen zugunsten des Langsamverkehrs insbesondere für das Gambarogno (linkes Ufer des Lago Maggiore) vorgesehen. So gibt es Investitionen in den Velo- und Fussweg in den Abschnitten Magadino–Vira, Vira–Alabardia, Alabardia–San Nazzaro. Die Arbeiten sind dort aufgrund der engen Platzverhältnisse kompliziert und aufwendig.

Seilbahn Lavizzara–Leventina

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit wird im oberen Maggiatal (Lavizzaratal) an einer Aussenverbindung gen Norden gearbeitet. Ziel ist es, der abgelegenen Berggegend den Sackgassencharakter zu nehmen. Eine entsprechende Studie steht vor dem Abschluss. Untersucht werden zwei Varianten, darunter neben einem einspurigen Tunnel (zwischen dem Sambuccosee und Airolo) eine Seilbahn über den Bergkamm zwischen den Gemeinden Fusio (Lavizzara) und Quinto-Ambrì in der Leventina (mit Anschluss an die Gotthardbahnlinie). Das kantonale Verkehrs- und Umweltdepartement unterstützt die Seilbahnverbindung, weil dadurch kein Mehrverkehr generiert wird. Die Verbindung wäre nur für Personen geeignet, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen. Es würde sich um eine der längsten Seilbahnen Europas handeln. Das Projekt wird von der Vereinigung der Talgemeinden im Maggiatal (Ascovam) unterstützt.