Soziale Innovationen: Wie wichtig sind sie für Gemeinden?
Soziale Innovationen gewinnen an Bedeutung. Ein Forschungsprojekt der Universität Bern und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft zeigt auf, weshalb soziale Innovationen für Gemeinden relevant sind.
Das Interesse an sozialen Innovationen hat in den letzten Jahren zugenommen. So wurden zum Beispiel Studiengänge für soziale Innovation geschaffen, oder Förderagenturen wie Innosuisse öffneten ihre Programme für soziale Innovationen. Dennoch steckt die Debatte rund um soziale Innovationen in der Schweiz noch in den Kinderschuhen, und es besteht kaum Wissen darüber, wer an sozialen Innovationen beteiligt ist, welche Auswirkungen sie haben können und wie wichtig sie auf Gemeindeebene sind.
Ein Forschungsprojekt der Universität Bern und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft ging diesen Fragen nach. Das Projekt richtete den Fokus auf das Berner Oberland und untersuchte die Akteurinnen und Akteure auf soziale Innovationen, das Wissen, das sie anwenden, sowie die Auswirkungen von sozialen Innovationen auf lokale Entwicklungen.
In der Wissenschaft gibt es unterschiedliche Verständnisse von sozialen Innovationen. Deshalb wurde eine Definition verwendet, die Eigenschaften aus den meisten Verständnissen vereint. Demnach sind soziale Innovationen neuartige Zusammenarbeiten, die zu neuen Ideen führen, welche die Lebensqualität erhöhen und/oder die sozialen Beziehungen und Machtstrukturen verändern. Soziale Innovationen können sehr divers sein. Das vom Projektteam entwickelte Inventar von sozialen Innovationen enthält zum Beispiel ein Solarschiff, ein Generationenhaus oder ein Holznetzwerk.
Ungewöhnliche Zusammenarbeiten
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Akteurinnen und Akteure in der Entwicklung und Umsetzung von sozialen Innovationen sehr divers sind. Privatpersonen, Unternehmen, Vereine, Genossenschaften sowie Kantons- und Gemeindevertretende waren beteiligt. Soziale Innovationen zeichnen sich durch neuartige, das heisst ungewöhnliche, Zusammenarbeiten aus.
Für die Entwicklung des Gesundheitsnetzwerkes Simmental-Saanenland rund um das Spital Zweisimmen waren beispielsweise nicht nur Gesundheitsdienstleistende und Gemeindevertretende involviert, sondern auch die Zivilbevölkerung. Der Einbezug der Zivilbevölkerung hat gemäss Toni von Grünigen, Gemeindepräsident von Saanen, «vor allem die Bestätigung gebracht, dass das Spital hier für die Region ganz wichtig ist».
Die Zusammenarbeit mit Gemeindevertretenden spielt eine besonders wichtige Rolle, da viele soziale Innovationen gemeindespezifische Probleme angehen. Dabei sind Gemeinden wichtige Unterstützungshilfen. So wurde die Idee für ein Generationenhaus in der Gemeinde Hasliberg in einem Zukunftsworkshop der Gemeinde ins Leben gerufen.
Lokale Akzeptanz ist wichtig
Die Ergebnisse zeigen weiter, dass die Akteurinnen und Akteure eine grosse Palette an Wissen und Fähigkeiten mitbringen, die sie für die Entwicklung und Umsetzung von sozialen Innovationen anwenden und teilen. Das Wissen und die Fähigkeiten stammen sowohl aus der Gemeinde beziehungsweise der Region als auch von ausserhalb. Lokales, gemeindeinternes Wissen war besonders wichtig, um die sozialen Innovationen in die lokalen Gegebenheiten einbetten zu können. Zudem muss lokale Akzeptanz für die soziale Innovation vorhanden sein, damit sie länger bestehen bleiben und somit erfolgreich sein kann.
Eines der wichtigsten Ergebnisse ist, dass soziale Innovationen Potenzial haben, alternative Entwicklungsansätze in den Gemeinden anzustossen, vor allem Entwicklungen, in denen Gemeinden eine gut funktionierende Wirtschaft und Gesellschaft haben können und dabei weniger abhängig von Wachstum an Produktionsgütern und Profit sind. Dies, weil die Akteurinnen und Akteure in den sozialen Innovationen Aktivitäten ausüben, die die soziale Innovation weniger abhängig von solchem Wachstum machen.
Allen voran sind dies das Schaffen und Pflegen von engen Kooperationen und Vertrauen zwischen (wirtschaftlichen) Akteurinnen und Akteuren. Herrscht mehr Vertrauen, können beispielsweise Zinsen für ein Darlehen eines lokalen Geschäftspartners reduziert werden (da Vertrauen in die Rückzahlung besteht). So muss weniger Profit erwirtschaftet werden, um die Zinsen bezahlen zu können. Dadurch sinkt der Druck der sozialen Innovation zu wachsen. Akteurinnen und Akteure, die diese Art Aktivitäten ausüben, können demnach in ihren Gemeinden bewusst oder unbewusst Entwicklungen in Richtung Wachstumsunabhängigkeit anstossen.
Soziale Innovationen sind vor allem in solchen Gemeinden wichtig, die mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind und deshalb Lösungen brauchen, um sie mit neuen Kooperationen und Wissensaustausch anzugehen. Aber sie können auch neue Ideen hervorbringen, die der Gemeindebevölkerung unabhängig von Herausforderungen einen Nutzen geben. In jedem Fall können soziale Innovationen neue Entwicklungen innerhalb von Gemeinden anstossen – Entwicklungen hin zu lebenswerten Gemeinden, ohne dem Paradigma des stetigen Wachstums an Produktion, Profit und Arbeitsplätzen folgen zu müssen.
Was Gemeinden tun können
Auf Basis der Forschungsergebnisse können Gemeinden soziale Innovationen wie folgt fördern und unterstützen:
unterschiedliche lokale und externe Akteurinnen und Akteure zusammenbringen (zum Beispiel durch Workshops)
Wissensaustausch zwischen lokalen und externen Initiativen fördern
Unterstützung (finanziell usw.) von sozialen Innovationen, vor allem in deren Umsetzungsphase
Das Forschungsprojekt
Das vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Forschungsprojekt lief 2018 an und endete Anfang 2023. Die Arbeiten werden am Geographischen Institut und an der Forschungsstelle Tourismus der Universität Bern sowie an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft durchgeführt. Das Team besteht aus Pascal Tschumi, Andrea Winiger und Samuel Wirth sowie den Projektleiterinnen Heike Mayer, Irmi Seidl und Monika Bandi Tanner.