Eine Besonderheit der Stadt und des Kantons Solothurn: Die Regierungssitzungen auf Kantons- und Gemeindeebene sind öffentlich.

Solothurn: Verhandlungen der Regierungen sind öffentlich!

30.10.2024
10 | 2024

Eine schweizweite Einmaligkeit im Kanton Solothurn: Die Regierungssitzungen sind kantonal und auf Gemeindeebene öffentlich. Doch seit wann und warum gibt es diese Bestimmung? Und werden die Sitzungen auch von den Bürgerinnen und Bürgern besucht? Eine Spurensuche.

Blicken wir zunächst auf den Kanton und auf die Verfassung des Jahres 1887. In Bezug auf die Regierung wurde festgelegt:

§ Die Sitzungen sind in der Regel öffentlich.  

Solothurn war allerdings nicht immer der einzige Kanton mit einer solchen Bestimmung. Beispielsweise fand in die Verfassung des Kantons Basel-Landschaft von 1892 die Bestimmung öffentlicher Regierungssitzungen ebenfalls Eingang.

Im Jahr 1949 trat das Solothurnische Gemeindegesetz in Kraft. In der Botschaft zum Gesetz wies der Regierungsrat auf die kommunalen Exekutivsitzungen hin: «Die nicht öffentlichen Verhandlungen dürften eine ruhige Atmosphäre eher garantieren. Die Öffentlichkeit würde auch in vielen Gemeinden gar nicht durchführbar sein.» Sprich, wenn (zu) viele Personen kommen würden, wäre der Sitzungsraum zu klein.

Verzicht in Basel-Landschaft, Beibehaltung in Solothurn 

In Basel-Landschaft wurde 1984 die Verfassung totalrevidiert. Auf die Bestimmung öffentlicher Regierungssitzungen wurde verzichtet, im Gegensatz zur neuen Verfassung des Kantons Solothurn von 1986:

§ Die Beratungen des Regierungsrates sind öffentlich, soweit schützenswerte private oder öffentliche Interessen nicht entgegenstehen.  

1984 ging zudem der Entwurf eines neuen Gemeindegesetzes in die Vernehmlassung. Nun schlug die Regierung eine neue Bestimmung vor:

§ Die Verhandlungen der Gemeindeversammlung und der Behörden sind in der Regel öffentlich. Aus wichtigen Gründen kann das jeweilige Organ beschliessen, die Öffentlichkeit auszuschliessen. Das Gesetz, die Gemeindeordnung oder andere rechtsetzende Gemeindereglemente können bestimmen, dass die Sitzungen einzelner Kommissionen und Ausschüsse nicht öffentlich sind.  

Für die Regierung ergab sich der «Anspruch», als Zuhörer teilzunehmen, aus dem «Wahl- und Stimmrecht». «Wenn der Gemeindeversammlung (…) zugestanden wird, das Oberaufsichtsrecht über die Gemeindetätigkeit auszuüben, sollen die Stimmberechtigten auch kontrollieren können, wie die Mitglieder der Behörde tätig sind.» Allerdings, so die Regierung, gehe mit der Öffentlichkeit kein Anspruch auf Akteneinsicht einher. Zudem ständen der Öffentlichkeit im Einzelfall Geheimhaltungsinteressen «des Privaten und des Gemeinwesens» entgegen.

Vernehmlassung Gemeindegesetz: nur wenig Opposition gegen die neue Bestimmung

Die Möglichkeit, sich zum Gemeindegesetz vernehmen zu lassen, wurde rege genutzt; die obige neue Bestimmung provozierte jedoch nur wenige Rückmeldungen. Lediglich zwei Parteien sowie ein Interessenverband haben die Öffentlichkeit als falsch beurteilt. Die Regierung hielt an der Bestimmung fest, spezifizierte aber, welche Organe öffentlich sind, stellte die Reihenfolge der Bestimmungen um und beantragte dem Kantonsrat Folgendes:

§ Die Verhandlungen der Gemeindeversammlung, des Gemeindeparlaments und des Gemeinderates sind in der Regel öffentlich. Das Gesetz, die Gemeindeordnung oder andere rechtsetzende Gemeindereglemente können bestimmen, dass die Sitzungen einzelner Kommissionen und Ausschüsse nicht öffentlich sind.Aus wichtigen Gründen kann das jeweilige Organ beschliessen, die Öffentlichkeit auszuschliessen.  

Der nächste Schritt war die Vorberatung durch die Spezialkommission. In der ersten Lesung wurde der zweite Punkt intensiv diskutiert: Auf Kritik stiess, dass Kommissionen öffentlich tagen sollten. Beinahe einstimmig wurde die Streichung beschlossen.

Nach der Diskussion war vor der zweiten Lesung. In dieser beantragte der Regierungsrat: «In die entsprechenden Protokolle kann jeder Stimmberechtigte Einsicht nehmen.» Aus der Mitte der Kommission wurde die Frage gestellt, ob nicht Stimmberechtigte Einsicht nehmen dürften. Der zuständige Regierungsrat gab zur Antwort, im Gemeindegesetz solle die Einsichtnahme der Stimmberechtigten gesichert werden, allerdings könne die Gemeinde für sich regeln, ob der Kreis ausgeweitet werden solle.

Nach reger Diskussion beantragte die Kommission folgenden Antrag an den Kantonsrat, der seinerseits ohne Diskussion so beschloss: 

§ Die Verhandlungen der Gemeindeversammlung, des Gemeindeparlaments und des Gemeinderates sind in der Regel öffentlich. Die Stimmberechtigten können die entsprechenden Unterlagen und Protokolle einsehen. Aus wichtigen Gründen kann das jeweilige Organ beschliessen, die Öffentlichkeit auszuschliessen.

Werden die Exekutivsitzungen besucht?

Das Gemeindegesetz ist seit Juli 1992 in Kraft. So weit die Entstehungsgeschichte und der Stand der Gesetzgebung. Die Frage, die Sie sich jetzt vermutlich stellen: Besuchen die Bürgerinnen und Bürger die Exekutivsitzungen?

Um diese Frage zu beantworten, wurden die Gemeindeschreiber und -schreiberinnen respektive die dieser Funktion entsprechenden Personen in den 106 Gemeinden kontaktiert. Sie wurden einerseits gefragt, wie viele Sitzungen ihrer Exekutive zwischen Januar 2022 und Juni 2024 stattgefunden hatten, andererseits, wie viele Besucher ungefähr in dieser Zeit bei den Sitzungen zuhörten. Insgesamt 90 Gemeinden beantworteten die erste Frage, 89 die zweite.

Zuerst zur Anzahl der Sitzungen: Die Gemeinde mit der geringsten Anzahl an Exekutivsitzungen zählte 12 (vier bis fünf Sitzungen pro Jahr). Der Mittelwert liegt bei 42 Sitzungen über den Zeitraum von 30 Monaten, ein Viertel der Gemeinden zählte 50 Sitzungen oder mehr. Die Gemeinde mit der grössten Anzahl an Sitzungen kam auf 125.

Etwa ein Drittel der Gemeinden verzeichnete keine Besucherinnen und Besucher bei den Regierungssitzungen, weitere 39 meinten, dass höchsten 5 Personen diese Möglichkeit nutzten. In 10 Gemeinden waren es schätzungsweise 6 bis 10 Personen, in vier Gemeinden sogar mehr als 30 Besucherinnen und Besucher.

Vier von sechs Gemeinden mit weniger als 25 Sitzungen verzeichneten auch keine Besucherinnen und Besucher. Im Übrigen lässt sich aber kaum ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Besucher und der Zahl der Sitzungen feststellen. Die Regierungen jener 25 Prozent der Solothurner Gemeinden mit mehr als 3400 Einwohnern durften sich alle bis auf eine bei ihren Sitzungen von Bürgerinnen und Bürgern über die Schulter blicken lassen. Die kleinen Gemeinen geben in der Tendenz eher keine besuchenden Personen an.

Verhandlungen der Regierungen sind öffentlich! Die Nachfrage ist indes überschaubar.

Detaillierte Auswertung: Besucherinnen und Besucher von Exekutivsitzungen im Zeitraum von Januar 2022 bis Juni 2024

Im Kanton Solothurn gibt es 106 Gemeinden. Die Rücklaufquote der Umfrage betrug 85 Prozent (90 Gemeinden, eine teilte nur die Anzahl der Sitzungen mit). Nachkommend die detaillierte Auswertung zur Anzahl der Besucherinnen und Besucher (auf die Darstellung der Anzahl der Sitzungen – wie im Text erwähnt – wird verzichtet):

Zahlenangaben ohne spezifisch eingeladene Gäste und Pressevertreter. Teilweise kam die Rückmeldung, dass es immer die gleiche bzw. die gleichen Personen seien, die die Sitzungen besuchen. Es gingen noch weitere Rückmeldungen ein, die für eine weitere Publikation ausgewertet werden. 

Der Blick auf den Kanton: Für den Zeitraum von Januar 2022 bis Juni 2024 führte die Solothurner Regierung 177 Regierungsratssitzungen durch und 53 Personen besuchten den öffentlichen Teil der Sitzung. Beim Kanton wird über die Anzahl Besucherinnen und Besucher «Buch» geführt.

Michael Strebel
Politikwissenschafter