Eine 800 m² grosse Solarthermieanlage im Genfer Vorortquartier Le Lignon speist seit Dezember 2020 Warmwasser in das Genfer Fernwärmenetz ein.

Solarwärme XXL für Fernwärmenetze

14.02.2023
1-2 l 2023

Solarthermie kann einen wesentlichen Beitrag zur Fernwärmeversorgung leisten. Erforderlich sind dafür grossflächige Anlagen mit gut abgestimmten Speicherkapazitäten, wie eine Studie festhält.

Das 112 Kilometer lange Fernwärmenetz der Genfer Stadtwerke (Services industriels de Genève/SIG) versorgt rund 62 000 Haushalte mit Heizwärme und Warmwasser. Die Wärme stammt aus der Verbrennung von Kehricht, Holz – und seit Dezember 2020 auch von der Sonne. Damals ging die Solarthermieanlage SolarCAD II mit 800 m² Kollektorfläche in Betrieb. Die Grossanlage wurde auf Stützen über einem Gewerbegebiet errichtet, die bereits in den 1980er-Jahren für die Produktion von Solarwärme erbaut worden waren. Die Kollektoren sammeln jährlich rund 540 MWh Solarwärme und tragen circa 0,1 Prozent zur Liefermenge des Genfer Wärmeverbunds bei.

Die Bereitstellung von solarer Fernwärme hat in den über 1000 Schweizer Wärmeverbünden noch nicht viele Nachahmer gefunden. Hierzulande existiert bisher nur eine Handvoll, meist kleine Anlagen. Fernwärme und Solarthermie würden schlecht zueinander passen, wird oft als Begründung angeführt. Solarwärme leiste nicht die erforderlichen Temperaturen von 80 und mehr Grad, um schwach gedämmte Bestandsbauten versorgen zu können. Solarwärme würde nicht zum Winterbedarf passen, heisst es, und sie sei schlicht zu teuer.

Mehr «grüne» Fernwärme

Eine Studie unter Beteiligung mehrerer Hochschulen und Firmen aus der Westschweiz mit dem Akronym SolCAD hat nun das Potenzial der Solarthermie in Schweizer Fernwärmenetzen untersucht. Der gemeinnützige Verein CREM (Centre de recherches énergétiques et municipales) in Martigny (VS) hat die Studie koordiniert. Beteiligt waren darüber hinaus die Westschweizer Fachhochschule HEIG-VD (Yverdon-les-Bains [VD]), die Softwarefirma kaemco LLC (Corcelles-Concise [VD]) und das Ingenieurbüro Planair (La Sagne [NE]). Das Forschungsprojekt wurde hauptsächlich durch das Bundesamt für Energie (BFE) finanziert.

Für die Studie gebe es gute Gründe, sagt Projektleiter und CREM-Direktor Dr. Jakob Rager: «Die Fernwärme ist in der Schweiz auf dem Vormarsch, doch noch immer stammen rund 25 Prozent der gelieferten Energie aus fossilen Quellen. Mit der Nutzung von Solarthermie, gekoppelt mit leistungsfähigen Speichern, könnte die Schweiz den Anteil ‹grüner› Fernwärme weiter erhöhen.» Gemäss den Analysen, die in der SolCAD-Studie ausgewertet wurden, könnte solare Fernwärme im Jahr 2050 schätzungsweise vier bis zwölf Prozent der Fernwärme beziehungsweise ein bis drei Prozent des gesamten Schweizer Wärmebedarfs decken.

Simulation in Fallstudien

Für grosse Solarthermieanlagen zur Alimentierung von Fernwärmenetzen sind verglaste Flachkollektoren heute die bevorzugte Technologie. Sie setzen die solare Einstrahlung effizient in Wassertemperaturen von 50 bis 100 °C um, sind günstig und langlebig. Ebenfalls geeignet, aber leicht teurer sind Vakuumkollektoren, die Temperaturen über 100 °C ermöglichen. Zu dieser Kategorie gehören auch die innovativen Vakuumflachkollektoren, die in der neuen SIG-Anlage in Genf im Einsatz sind. Diese nützen auch die solare Strahlung im Winter gut aus, allerdings können sie noch keine Langzeiterfahrungen im Zusammenspiel mit Fernwärmenetzen vorweisen.

Wie aus den vier Fallbeispielen hervorgeht, die die Autorinnen und Autoren der SolCAD-Studie unter Einsatz von Simulationswerkzeugen durchgerechnet haben, liegt die Herausforderung für den Einsatz der Solarthermie weniger bei der Kollektortechnologie, sondern oft an der fehlenden Verfügbarkeit geeigneter Flächen. Eine der Fallstudien bezieht sich auf das Fernwärmenetz von Les Ponts-de-Martel, einem Dorf im Neuenburger Jura. Dort sind rund 80 Gebäude an ein 3,8 Kilometer langes Netz angeschlossen. Die Wärme wird in der Regel mit Holzschnitzeln erzeugt.

Die Forschenden entwarfen mit ihren Simulationstools eine Solarthermieanlage, die so dimensioniert wurde, dass sie den Bedarf des Wärmeverbunds in den Sommermonaten Juli und August allein decken kann. Erforderlich wäre dafür eine Anlage mit 1800 m² Kollektorfläche und einem Speicher mit 500 m3 Volumen. Um eine Anlage dieser Dimension bauen zu können, schlägt die Studie eine 6000 m² grosse Agrarfläche vor, da die Dachflächen in Les Ponts-de-Martel für eine so grosse Anlage nicht ausreichen. Eine solche Solarthermieanlage würde je nach Wetter zwischen 600 und 800 MWh Wärme produzieren und könnte mindestens zehn Prozent des Jahresbedarfs decken. Herrscht ungewöhnlich schlechtes Wetter oder soll der Zeitraum ohne Holzheizung verlängert werden, kann die Versorgung der Kundschaft mit ausreichend heissem Warmwasser sichergestellt werden, indem der Speicher zuvor auf ein höheres Temperaturniveau gebracht wird.

Weiterbildungs- und Infoangebote

Gestützt auf diese und weitere Fallstudien, aber auch auf realisierte Anlagen im europäischen Ausland halten die SolCAD-Autorinnen und -Autoren eine Solarunterstützung von Fernwärmenetzen in der Grössenordnung von 10 bis 30 Prozent der Gesamtleistung für technisch machbar. Die Lebenszykluskosten pro kWh Wärme aus Solarthermie liegen laut ihren Berechnungen bei 9 bis 16 Rappen, abhängig von der Grösse des Kollektorfelds und des Speichers. «Die Solarthermie bewegt sich in der gleichen Preisspanne wie andere Ressourcen, verursacht im Betrieb aber keine Emissionen und spart wertvolle erneuerbare Ressourcen wie Holz», konstatiert der SolCAD-Schlussbericht. Klar sei aber, dass selbst grosse Solarthermieanlagen mit ihren hohen Investitionssummen ohne Subventionen oder Garantien bei den heutigen Energiepreisen nicht wirtschaftlich betrieben werden könnten. Auch fehlten oft die nötigen Fachkenntnisse für Konstruktion und Betrieb.

Die Westschweizer Studie plädiert denn auch für nationale wie kantonale Fördergelder, um der Solarwärme in Fernwärmenetzen zum Durchbruch zu verhelfen. Zu den Empfehlungen des Autorenteams gehören aber auch Weiterbildungs- und Informationsangebote, da heute «das spezifische Wissen an der Schnittstelle zwischen den Installateuren von Solarthermieanlagen und den Erbauern/Betreibern von Fernwärmenetzen fehlt», wie der SolCAD-Schlussbericht feststellt.

Benedikt Vogel
Im Auftrag des Bundesamts für Energie