In vielen Schweizer Klassenzimmern sitzen Kinder mit Migrationshintergrund – viele Schulen sehen dies als Chance.

So gelingt die Integration in den Schulen

07.10.2022
10 | 2022

In der Schweiz gibt es Schulklassen mit einem Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund von 80 bis sogar 100 Prozent . Ist Schule so überhaupt noch möglich? Verschiedene Gemeinden berichten von ihren Erfahrungen.

Der Sport, speziell Fussball, wird oft als Spiegel der Gesellschaft betrachtet. Wenn es im Fussball klappt, müsste es folglich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen klappen. In der Politik etwa oder in den Schulen. Zum Beispiel bei der Integration von Spielern mit Migrationshintergrund in ein Team. Dies hat im Fussball unzweifelhaft geklappt. Die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft war noch nie so erfolgreich wie in den letzten Jahren. Und noch nie waren im Team so viele Spieler mit Migrationshintergrund vertreten wie heute: Von der 24-köpfigen Truppe und dem Trainer haben nur zehn keinen sogenannten Migrationshintergrund.

Noch nie hat sich Trainer Murat Yakin darüber beklagt, dass es in seinem Team zu viele Spieler mit Migrationshintergrund gebe und dass zu viele Sprachen gesprochen würden: «Wir verstehen uns problemlos. Bei allfälligen Verständigungsproblemen gibt es immer einen Spieler, der aushelfen kann. Und jeder versteht Fussball.»

Das hiesse also, es kann eigentlich nicht genug Vielfältigkeit geben: Je diverser, desto besser. Ein Modell auch für die Schulen? Rechte Politiker möchten da lieber Grenzen ziehen. Die Kinder von in der Schweiz geborenen Eltern seien in den Schulen bereits in der Minderheit, klagt die SVP. In Europa verzeichne die Schweiz, abgesehen von Luxemburg, den höchsten Anteil von Schulkindern mit ausländischen Wurzeln. Da stosse die Integrationsarbeit an ihre Grenzen.

Probleme haben nichts mit der Herkunft zu tun

Gerade die Schulen mit der grössten Diversität sehen diese Probleme allerdings nicht. Schon vor vier Jahren wehrte sich die aargauische Schule Neuenhof vehement gegen Vorurteile bezüglich der Integration: «Die schulischen und sozialen Probleme der Jugendlichen haben nichts mit der Herkunft zu tun», sagte Schulleiter Simon Wullschleger. «Entscheidend für den Erfolg ist eher die Frage, ob die Kinder durch Sprachförderung oder ein interessiertes Elternhaus unterstützt werden.»

«Das Zusammensein der verschiedenen Kulturen führt automatisch zur Integration», betonte er: «Wir haben aufgrund des höheren Migrationsanteils nicht mehr Probleme als andere Schulen.» Wullschleger weiss, wovon der spricht: Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in der Schule Neuenhof beträgt seit Jahren rund 80 Prozent. Gesprochen werden um die 40 Sprachen.

«Multikulti ist eine Qualität, keine Last»

«Diese vor vier Jahren gemachten Aussagen gelten auch heute noch», sagt die Neuenhofer Gesamtschulleiterin Renate Baschek. In Bezug auf die grundlegende Situation habe sich bis heute nichts Wesentliches verändert. Das «Multikulti» an der Schule Neuenhof sei weiterhin eine Qualität und keine Last. Doch die Anzahl an Schülerinnen und Schülern mit sozialen Schwierigkeiten und Problemen, sich anzupassen, habe zugenommen. Dies unabhängig von der Herkunft.  

Um die Integration zusätzlich zu fördern, hat die Schule die interne Fachstelle Integration geschaffen, die unter anderem ein Dolmetschernetz aufgebaut hat. Dies ist besonders wertvoll, weil Fragen etwa zum Schulsystem früh geklärt werden können. Des Weiteren werden Deutschkurse angeboten. Das «Café International» bietet allen Eltern aus fremden Kulturen zusätzlich die Möglichkeit, sich unkompliziert zu treffen und sich offen zu verschiedenen Themen auszutauschen. «Die Sprachkenntnisse spielen dabei keine Rolle, es geht vielmehr um den emotionalen Wert des Zusammenseins und darum, Vertrauen in die Schweizer Schule zu gewinnen», betont Renate Baschek.

«Im ‹Café International› spielen die Sprachkenntnisse der Eltern keine Rolle, es geht vielmehr darum, Vertrauen in die Schweizer Schule zu gewinnen.»

Renate Baschek, Gesamtschulleiterin Schule Neuenhof

Die Schulleiterin würde es begrüssen, wenn noch zusätzliche Mittel in die Frühförderung fliessen würden. So wie beispielsweise in Basel, wo gewisse Kurse vor Schulantritt obligatorisch sind.

Keine Probleme auch in Baselland

Die basellandschaftliche Schule Bottmingen führt keine Statistiken bezüglich der Integration. «Auch wir kennen an unserer Schule aber ebenfalls keine Probleme mit dieser Thematik», sagt Colette Knecht von der Schulleitung der Schule Bottmingen.

Der Vorteil: Im Kanton Basel-Landschaft werden viele Integrationsfragen auf Kantonsebene angepackt. So ist die interkulturelle Pädagogik ein integrativer Bestandteil der Volksschule. Ziel dieser Pädagogik ist es, die in der Schweiz lebenden Mehr- und Minderheiten zu berücksichtigen und ein respektvolles Zusammenleben zu fördern. 

Diese Pädagogik leiste einen Beitrag dazu, dass Anderssein anerkannt, Diskriminierung abgebaut, der respektvolle Umgang miteinander und Gleichberechtigung ermöglicht würden, heisst es auf der Homepage des Kantons. Konkret geschieht dies mittels Fremdsprachenintegrationsklassen oder Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur. Schülerinnen und Schüler mit ungenügenden oder fehlenden Deutschkenntnissen haben Anspruch auf den Besuch eines Förderangebotes für Fremdsprachige. 

Auch viele andere Kantone leisten einen beachtlichen Aufwand, die in der Schweiz lebenden Mehr- und Minderheiten zu integrieren und ein respektvolles Zusammenleben zu fördern. Der bevölkerungsreichste Kanton Zürich kennt spezielle Subventionen für Schulen, die einen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund von mehr als 40 Prozent aufweisen. Im Behördenjargon spricht man hier von Quims-Schulen (Qualität in multikulturellen Schulen). Deren Anteil ist in den vergangenen zehn Jahren zunächst stark gestiegen, in den letzten Jahren aber wieder leicht zurückgegangen. Laut Marion Völger, Leiterin des kantonalen Volksschulamts, bedeutet das nicht, dass in Zürich und der übrigen Schweiz Parallelgesellschaften entstehen. Im Gegenteil: «Die Aufteilung der Gesellschaft hat in den letzten Jahren abgenommen.» 

Nach dem neuen Zürcher  Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) sind die Gemeinden aufgefordert, Strukturen zu schaffen, die die Teilnahme von neuzuziehenden Ausländerinnen und Ausländern am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und fördern.

In einem Interview mit der Zeitschrift «Wir Eltern» bestätigt auch die Winterthurer Primar- und Religionslehrerin Magdalena Denzler, dass trotz der Tatsache, dass sie in Klassen mit bis zu 70 Prozent Ausländeranteil unterrichte, nur selten Integrationsprobleme aufgetreten seien: «Wenn wir uns offen und mit Respekt gegenüber der Kultur und der Religion der anderen zeigen, öffnen sich auch die Eltern von Schülern anderer Herkunft unserem Kulturerbe gegenüber.» Man müsse Respekt zeigen, ohne die eigene Kultur zu verleugnen.

Genf: Kinder aus 164 Nationen

Besonders grosse und schon jahrzehntelange Erfahrung mit der Integration von fremdsprachigen Kindern hat der Kanton Genf. Jahr für Jahr kommen 1500 neue Schulkinder in die Calvinstadt, die nicht französisch sprechen. Insgesamt gehen Kinder aus nicht weniger als 164 Nationen in Genf zur Schule. Jede grössere Schule des Kantons hat deshalb eine Empfangsklasse für fremdsprachige Kinder. In dieser Klasse werden die Schülerinnen und Schüler unterrichtet, bis sie die Sprache einigermassen beherrschen.  Was in der Regel bereits nach einem Jahr der Fall sei, sagt Roxane Loser, Lehrerin an der Empfangsklasse Genf.