Der «Sitz-dich-ein-Stuhl» vor der Gemeindekanzlei von Naters (VS) animiert die Bevölkerung zu Diskussionen über die kommenden Gemeinderatswahlen, weiss Gemeindepräsidentin Charlotte Salzmann-Briand.

«Sitz dich ein!» – Walliser Gemeinden suchen angehende Gemeinderäte

07.09.2024
9 | 2024

Immer weniger Leute sind bereit, sich für ein Milizamt zur Verfügung zu stellen. Gerade kleinere Dörfer haben deshalb oft Schwierigkeiten, ihre Exekutivbehörden zu bestellen. Im Wallis, wo diesen Oktober Gemeinderatswahlen stattfinden, geht man das Problem proaktiv an. Die Kampagne «Sitz dich ein!» soll interessierten, aber noch zögernden Personen aufzeigen, was ein Amt als Gemeinderat mit sich bringt, und sie ermutigen, den Schritt auf eine Kandidatenliste zu wagen.

Vor der Gemeindekanzlei in Naters (VS) steht ein grosser, weisser Stuhl. «Sitz dich ein! Nimm Platz im Gemeinderat», fordert er Passanten auf. Ob der Appell im Hinblick auf die Gemeinderatswahlen im Oktober Wirkung zeigen wird? «Der Stuhl ist auf jeden Fall ein Blickfang. Viele setzen sich hin, machen ein Foto oder stellen auch mal ihren Hund drauf», schmunzelt Charlotte Salzmann-Briand, Gemeindepräsidentin von Naters.

Gleichwohl ist der Grund für die Präsenz des Stuhls natürlich ein ernster: Viele Walliser Gemeinden haben Mühe, genügend Kandidatinnen und Kandidaten für die Gemeinderatswahlen zu finden. Rund die Hälfte der 63 Oberwalliser Gemeinden gab in einer Umfrage sogar an, sehr grosse Schwierigkeiten zu haben. Das lässt sich auch durch Zahlen belegen: Kam es 2016 noch in 14 Oberwalliser Gemeinden zu stillen Wahlen, waren es vier Jahre später bereits 23 Gemeinden – «ein Demokratieverlust», wie Charlotte Salzmann-Briand feststellt.

Derselbe Stuhl wie in Naters steht auch im Lötschentaler Dorf Blatten. Dort werden im Herbst vier der fünf Gemeinderatsmitglieder nicht mehr antreten. Aufgrund der kleineren Bevölkerung und weil es im Dorf schon seit Langem keine aktiven Ortsparteien mehr gibt, die die Kandidatensuche übernehmen würden, wird es in Blatten nicht ganz einfach werden, vier neue Gemeinderäte zu finden. «Das ist wohl ein gesellschaftliches Problem», sagt Gemeindepräsident Jean-Christoph Lehner. Die Gründe für die Zurückhaltung sind hinlänglich bekannt: Viele sind bereits beruflich und familiär eingespannt, und wer dennoch Interesse hätte, darf sich nicht davor scheuen, sich auch mal zu exponieren.

«Das ist ein gesellschaftliches Problem. Viele sind bereits familiär und beruflich eingespannt.»

Jean-Christoph Lehner, Gemeindepräsident Blatten (VS)

Informative Website bildet das Herzstück der Kampagne

Charlotte Salzmann-Briand und Jean-Christoph Lehner sitzen als Gemeindevertreter beide in der Arbeitsgruppe des Projekts, das durch den Verein Region Oberwallis angestossen wurde. Dieser hat vor rund anderthalb Jahren beschlossen, die oft harzige Kandidatensuche in den Gemeinden für die Wahlen im kommenden Herbst aktiv zu adressieren. In Zusammenarbeit mit dem Verband der Walliser Gemeinden wurde das Regions- und Wirtschaftszentrum Oberwallis (RWO) mit der Ausarbeitung der Kampagne «Sitz dich ein!» beauftragt. Kurz darauf schloss sich mit der Antenne Région Valais romand auch ein Unterwalliser Partner dem Projekt an, das im französischsprachigen Kantonsteil unter dem Slogan «Prends ta place!» daherkommt.

Herzstück der Kampagne ist die Website www.sitzdichein.ch. Sie bietet potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten einen niederschwelligen Überblick über alle wichtigen Informationen: das Wahlverfahren, das Schweizer Milizsystem oder auch Tipps, wie sich das Amt besser mit Familie und Beruf vereinbaren lässt. Zur Kampagne gehören weiter Plakatwerbungen, Social-Media-Beiträge und Flyer, die teilweise mit Zwinkerbotschaften wie «Sitz dich ein oder bist du nur ein Wohner» daherkommen. «Sämtliches Kampagnenmaterial wurde auch den Gemeinden sowie den Parteien zur Verfügung gestellt. Einige Gemeinden organisierten daraufhin Informationsanlässe für die Bevölkerung oder verlinkten die Kampagne auf ihrer Website», sagt Projektleiter Gunter Scherhag vom RWO.

Gemeinderatswahlen zum Gesprächsthema gemacht

Mit der Kampagne «Sitz dich ein» soll insbesondere die Attraktivität eines Gemeinderatsamts hervorgehoben werden, ohne dabei die schwierigeren Seiten zu verschweigen. Denn Vorteile gibt es einige: die Möglichkeit, die eigene Gemeinde konkret mitzugestalten, (oftmals) die Arbeit in einem Teilzeitpensum, der Aufbau eines Netzwerks und natürlich die Gelegenheit, Neues zu lernen. «Es gibt ja keine Ausbildung zur Gemeinderätin», sagt Charlotte Salzmann-Briand. «Deshalb kann eigentlich jede und jeder Gemeinderat werden – man muss nur den Mut haben, es zu versuchen.»

«Eigentlich kann jede und jeder Gemeinderat werden – man muss nur den Mut haben, es zu versuchen.»

Charlotte Salzmann-Briand, Gemeindepräsidentin Naters (VS) und Vorstandsmitglied Verein Region Oberwallis

Wie viele sich die Aufforderung, sich «einzusitzen», tatsächlich zu Herzen nehmen, lässt sich heute noch nicht sagen. Zwar gibt es laut Charlotte Salzmann-Briand bereits konkrete Rückmeldungen von Personen, die sich aufgrund der Kampagne zu einer Kandidatur entschlossen hätten. Letztlich bleibt «Sitz dich ein!» aber eine Sensibilisierungskampagne, deren Erfolg sich schwierig messen lässt. «Was aber alle bestätigen, ist, dass über die Kampagne gesprochen wird. Damit haben wir die Gemeinderatswahlen schon jetzt als Gesprächsthema platzieren können.»

 

Nachtrag: Wie das RWO Mitte September informiert hat, wird es bei den anstehenden Kommunalwahlen in 19 von 63 Oberwalliser Gemeinden zu stillen Wahlen kommen. Dies sind vier Gemeinden weniger als bei den Wahlen 2020.

Text: Fabio Pacozzi
Leiter Kommunikation
Schweizerischer Gemeindeverband