Räumliches Leitbild für die Gemeinde: steuern statt sich treiben lassen
Weshalb sollen Dörfer in ländlichen Gebieten oder Berggemeinden ein räumliches Leitbild oder eine Entwicklungsstrategie erarbeiten? Und wie sorgen sie vor, dass ihr sorgfältig erarbeitetes Leitbild auch tatsächlich umgesetzt wird und nicht in einer Schublade verschwindet? Ein Plädoyer für die kluge räumliche Strategie!
Sowohl in städtischen als auch in ländlichen und peripheren Gebieten wird die räumliche Entwicklung weitgehend durch Investoren und Bauwillige geprägt. Die Gemeinden nehmen unterschiedlich stark Einfluss. In kleineren Gemeinden lässt man sich mancherorts eher treiben. Darum: Es wird Zeit, das Steuer in die Hand zu nehmen. So sagt eine Gemeinderätin einer kleinen bernischen Gemeinde: «Wir als Gemeinde haben in der Vergangenheit alles unternommen, um Bauwilligen ihre Absichten zu ermöglichen. Aber eigentlich sollte es doch umgekehrt sein: Wir als Gemeinde sollten eine Vorstellung davon haben, in welche Richtung wir uns entwickeln möchten. Und wenn die Bauherrschaft mit ihren Ideen kommt, schauen wir, wie diese mit unserem räumlichen Zielbild übereinstimmen.»
Diese Aussage veranschaulicht, dass Ortsentwicklung nicht die Summe vieler zufälliger Einzelentscheide und Einzelprojekte sein darf. Die Botschaft einer abgestimmten Gesamtsicht und einer aktiven Steuerung der zukünftigen Entwicklung ist auch für ländliche Gemeinden gültig. Zudem zeichnen sich viele Dörfer durch traditionelle Baukultur und weitgehend intakte Ortsbilder aus. Diese sind auch für den Tourismus wertvoll. Eine vorausschauende räumliche Strategie hilft, unwiderrufliche Eingriffe zu verhindern, die aus einem aktuellen, vermeintlichen Sachzwang heraus vorgenommen werden könnten.
Innenentwicklung richtet sich nicht einzig an Agglomerationen
Die kontinuierliche Ausdehnung der Siedlungsfläche in die Landschaft ist seit der letzten Revision des Raumplanungsgesetzes – 2014 in Kraft getreten – nicht mehr möglich. Heute verlangen die kantonalen Richtpläne von allen Gemeinden eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihren Siedlungsreserven und eine hochwertige Innenentwicklung am richtigen Ort. Gemeinden sollen Siedlungsqualitäten schaffen, also beispielsweise begrünte Frei- und Begegnungsräume oder eine hohe Baukultur einfordern, sichere Fuss- und Velowege bereitstellen sowie Identitäten bewahren.
Der Leitbildprozess verlangt eine vertiefte Auseinandersetzung der ganzen Gemeindebehörde mit der aktuellen Situation in der Gemeinde – den Stärken und Schwächen aber auch den Risiken und Chancen. Er verschafft gleichzeitig auch die Gelegenheit, sich ausserhalb der Hektik der Tagesgeschäfte mit wichtigen strategischen Fragen zu befassen und die Abhängigkeiten räumlicher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder ökologischer Entscheidungen abzuwägen.
Ein weiteres Argument, das für ein räumliches Leitbild spricht: In den letzten Jahren haben zahlreiche ländliche Dörfer, ja teils ganze Talschaften fusioniert. Diese für die einzelnen Dörfer einschneidende Massnahme erfordert eine Diskussion über die zukünftige Funktion der einzelnen Fraktionen oder Dorfteile. Ein räumliches Leitbild ermöglicht diese Diskussionen. Es schafft Transparenz, erleichtert einen gewissen räumlichen Ausgleich und dient der Gemeinde später als Grundlage für raumbezogene Entscheidungen.
Was genau ist ein räumliches Leitbild?
Das räumliche Leitbild, die kommunale Entwicklungsstrategie oder wie auch immer das Instrument genannt wird, ist ein informelles Planungsinstrument. Es ist eine wertvolle, heute gar unverzichtbare Grundlage für die Revision der Nutzungsplanung. Im räumlichen Leitbild werden – ähnlich wie in einem kommunalen Gesamtrichtplan – alle raumrelevanten Themen wie Wohnen, Arbeiten, Verkehr, Frei- und Grünraum, Landschaft oder Tourismus behandelt. In diesem Sinne sind Leitbilder auch Koordinationsinstrumente. Sie erlauben es, räumliche Konflikte frühzeitig zu erkennen, und helfen, vor lauter tagesaktuellen Aufgaben das Gesamtziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Für einen Grossteil der Bevölkerung ist Raumplanung eine abstrakte Materie. Ein räumliches Leitbild mit einem verständlichen, durchaus vereinfachten Zielbild oder einer visuellen Vision kann als Kommunikationsmittel helfen, längerfristige Entwicklungen zu veranschaulichen. Damit kann eine Gemeinde auch notwendige Änderungen in der Nutzungsplanung erklären und in einen grösseren Zusammenhang stellen. Wenn das Leitbild partizipativ erarbeitet, offen kommuniziert und breit abgestützt ist, dient es den Gemeinden als längerfristiges, strategisches Führungsinstrument.
Die Schritte zum räumlichen Leitbild
1. Ortsbezogene Analyse durchführen
2. Leitsätze, Ziele und Massnahmen formulieren, Schwerpunkte setzen
3. Räumlicher Gesamtplan unterstützt die Kommunikation
Breite Abstützung fördert die Umsetzung
Das räumliche Leitbild ist nicht das «Leitbild des Gemeinderats». Der Gemeinderat übernimmt die Führung, beauftragt ein kompetentes Planungsbüro, berät sich regelmässig mit einem Thinktank aus Wirtschaft, Politik, Vereinen usw. und zieht die Bevölkerung frühzeitig in den Leitbildprozess ein. Dies erhöht die Transparenz und Akzeptanz späterer Entscheidungen.
Die Revision des Zonenplans interessiert oft nur jenen kleinen Teil der Bevölkerung, der davon direkt betroffen ist. Soll jedoch über die zukünftige Entwicklung des Dorfes gesprochen werden und sind noch nicht alle Entscheidungen gefällt, lässt sich durchaus eine Turnhalle mit engagierten, kreativen und dem Dorf verbundenen Bürgerinnen und Bürgern füllen. Dies bietet auch die Chance für die Vernetzung verschiedener Akteure untereinander, aus denen neue lokale Initiativen entstehen können. Damit ist die Behörde auch verpflichtet, Ideen aufzunehmen sowie die gemeinsam diskutierten Massnahmen nach Möglichkeit umzusetzen.
Und was ist der Nutzen?
Die Erarbeitung eines räumlichen Leitbilds kann einen Beitrag dazu leisten, dass die Gemeinde ihr Profil schärft, Chancen und Risiken rechtzeitig erkennt und eine Grundlage schafft, damit zu späterer Zeit Investitionen am richtigen Ort erfolgen. Darüber hinaus kann durch einen guten Prozess lokales Engagement ausgelöst werden. Jede Gemeinde kann mit einem klugen räumlichen Leitbild nur gewinnen.
Tagung für Gemeinden im ländlichen Raum
Gemeinden, die das Steuer in die Hand nehmen möchten, können an der Tagung «Räumliche Entwicklungsstrategien» vom 4. November in Bern gute Beispiele aus der Praxis kennenlernen. Diese Tagung wird gemeinsam von EspaceSuisse, der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete (SAB) und dem Schweizerischen Gemeindeverband durchgeführt.
Informationen: