Heute besteht in den Gemeinden eine breite Palette von familienergänzenden Angeboten im Vorschulbereich wie Spielgruppen, Tagesfamilien, Mütter- und Väterberatung, Kindertagesstätten (Kitas), aber auch Angebote der Nachbarschaftshilfe.

Politik der frühen Kindheit muss in kommunaler Hand bleiben

18.06.2021
6 | 2021

Damit familienergänzende Angebote bedarfsgerecht und wirksam sind, müssen sie auf die lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten ausgerichtet sein. Die Gemeinden nehmen in der frühen Kindheit daher eine Schlüsselrolle ein.

In den Gemeinden ist die Bedeutung der frühen Förderung von Kindern im Vorschulbereich sowohl aus sozial- als auch aus bildungspolitischer Sicht weitgehend anerkannt. Mit «früher Förderung» ist dabei nicht gemeint, dass Kinder möglichst früh eine Fremdsprache erlernen oder ihr spezielles musikalisches Talent entfalten können. Vielmehr geht es darum, die Entwicklungschancen der Kinder zu verbessern und die Eltern in ihrer wichtigen Erziehungsaufgabe zu stärken. Die Kinderbetreuung soll in erster Linie Sache der Eltern bleiben. Der Staat kann die Eltern mit entsprechenden familienergänzenden Angeboten unterstützen, beraten und begleiten. Gemeinsam schaffen Eltern und Anbieter der familienergänzenden Kinderbetreuung gute Startbedingungen für eine erfolgreiche Entwicklung der Kinder.

Primär Sache der Gemeinden

Nicht zuletzt auch dank der befristeten Finanzhilfen, die der Bund seit 2003 für die familienergänzende Kinderbetreuung ausrichtet (BSV 2021), besteht heute in den Gemeinden eine breite Palette von familienergänzenden Angeboten im Vorschulbereich wie Spielgruppen, Tagesfamilien, Mütter- und Väterberatung, Kindertagesstätten (Kitas), aber auch Angebote der Nachbarschaftshilfe. Immer mehr Gemeinden werden in der frühen Förderung aktiv und setzen das Thema auf die politische Agenda. Als Anlaufstellen für Familien unterstützen sie die Vernetzung der relevanten Akteure vor Ort, beteiligen sich an der Finanzierung der Infrastrukturen wie auch an der Subventionierung von Betreuungsplätzen, um mittels Betreuungsgutscheinen die Kosten der Eltern zu senken.

Zunehmend wichtig sind auch Investitionen in die frühe Sprachförderung. Gemeinden und ihre Schulen sind vermehrt mit dem Problem konfrontiert, dass sich Kinder beim Kindergarten- oder Schuleintritt in der Ortssprache nur schlecht ausdrücken können. Entsprechend lancieren Gemeinden spezifische Förderprogramme, damit solche sprachlichen Defizite bereits vor der Einschulung erkannt und angegangen werden.

Angebote der frühen Förderung machen eine Gemeinde für Familien attraktiv, weil sie zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen. Familien, die nicht auf ein Netz von Verwandten und Bekannten zurückgreifen können, sind auf solche Betreuungsangebote angewiesen. Für Alleinerziehende sind sie eine wichtige Voraussetzung, um erwerbstätig zu sein.

Planung der Angebote lokal oder regional

Die Zuständigkeiten für die einzelnen Angebote der frühen Förderung sind in den Gemeinden auf unterschiedliche Abteilungen und Ressorts verteilt. So sind Kitas in der Regel im Sozialbereich, die Mütter- und Väterberatung im Gesundheitsbereich und die frühkindliche Sprachförderung bei der Bildung oder der Integrationsförderung angesiedelt. Zahlreiche Angebote sind auch aus rein privater Initiative entstanden. Oft fehlt der Überblick, und der Informationsaustausch unter den Beteiligten ist nicht gegeben. Es ist daher zielführend, sich innerhalb der Verwaltung zu vernetzen und gemeinsam eine kommunale Strategie der frühen Kindheit zu entwickeln. Die vom Schweizerischen Gemeindeverband (SGV) in Zusammenarbeit mit dem BSV entwickelte Orientierungshilfe für kleinere und mittlere Gemeinden (BSV/SGV 2018) sowie Programme, wie Primokiz2 (RADIX 2021), und das Label Kinderfreundliche Gemeinde (UNICEF 2021) unterstützen Gemeinden in diesen strategischen Entwicklungsprozessen. Die kantonalen Fachstellen im Bereich der Familienpolitik sind wichtige Anlaufstellen und bieten verschiedene Instrumente und Dienstleistungen, die den Gemeinden die Umsetzung von Programmen und Projekten im Vorschulbereich erleichtern.

In einigen Kantonen sind die Zuständigkeiten im Vorschulbereich zwischen Kanton und Gemeinden gesetzlich geregelt. Ein Rahmengesetz mit einer einheitlichen Regelung ist allenfalls sinnvoll, ein identisches Versorgungsmodell für urbane und ländliche Gebiete, für kleinere und grosse Gemeinden aber nicht gleichermassen notwendig. Auch mit Vorliegen einer kantonalen Gesetzgebung über die familienergänzende Kinderbetreuung bleibt es wichtig, dass die Gemeinden die Angebotsgestaltung an der lokalen bzw. regionalen Nachfrage ausrichten und unterschiedliche Schwerpunkte setzen können. Die Weiterentwicklung des kommunalen Angebots sollte sich primär an den Bedürfnissen der Familien orientieren und nicht verordnet werden. Gerade für kleinere und mittlere Gemeinden bietet auch die interkommunale Zusammenarbeit im Bereich der frühen Förderung grosses Potenzial.

Es braucht keinen Verfassungsartikel

Mit dem im Februar 2021 veröffentlichten Bericht (Bundesrat 2021) zur Politik der frühen Kindheit nimmt der Bundesrat aus Sicht des SGV eine gute Auslegeordnung der rechtlichen Grundlagen und der föderalen Aufgabenteilung im Bereich der frühen Kindheit vor. U.a. hält er darin fest, dass «bereits eine Vielzahl von Massnahmen getroffen werden, um schweizweit qualitativ hochstehende und für alle Bevölkerungsgruppen zugängliche Angebote im Bereich der Politik der frühen Kindheit zu fördern». Gleichzeitig nennt der Bericht auch Lücken und Verbesserungspotenziale und zeigt verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten auf Bundesebene auf.

Aus Sicht des SGV ist es grundsätzlich richtig, dass der Bundesrat sich mit den vorgeschlagenen Massnahmen im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Grundlagen bewegt. Dabei teilt der SGV seine Auffassung, dass insbesondere die Verbesserung der statistischen Datengrundlagen ein erhebliches Entwicklungspotenzial aufweist. Verlässliche datengestützte Entscheidungsgrundlagen vorliegen zu haben, kann wesentlich dazu beitragen, die Planung und Steuerung eines bedarfsgerechten Angebots in den Kantonen und Gemeinden zu vereinfachen. Ebenso ist zu begrüssen, dass der Bundesrat den regelmässigen fachlichen Austausch und die Koordination der Bundesämter verstärken möchte, die in die Politik der frühen Kindheit involviert sind. Für weitere spezifische Bundeskompetenzen bzw. neue Bundesaufgaben in der frühen Kindheit sieht der SGV aktuell hingegen keinen Handlungsbedarf.

Entscheidend ist insbesondere ein gutes Zusammenspiel zwischen Kanton und Gemeinden. Die Mehrheit der Kantone verfügt heute über eine Strategie der frühen Kindheit und stellt die Vernetzung und den Erfahrungsaustausch mit den Gemeinden sicher. Auch die mit dem Thema befassten kantonalen Direktorenkonferenzen SODK, EDK und GDK setzen sich gemeinsam für eine kohärente und koordinierte interkantonal abgestimmte Politik der frühen Kindheit ein. Diesen Weg gilt es weiter auszubauen, um in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden und der Wirtschaft gemeinsam Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Eine schweizweite Verpflichtung und allfällige neue Bundesnormen, wie Kantone und Gemeinden den Vorschulbereich regeln müssen, lehnt der SGV ab. Der Bund kann die familienergänzende Kinderbetreuung auf Basis der bestehenden rechtlichen Grundlagen unterstützen, dafür braucht es weder eine neue Verfassungsnorm noch weitreichende neue Bundeskompetenzen.

Claudia Hametner
Stv. Direktorin und Leiterin Politik des Schweizerischen Gemeindeverbands

Quelle: «Soziale Sicherheit» CHSS, das Magazin des Bundesamts für Sozialversicherungen

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