Ortsplanung Vitznau: die Kultur des Miteinander
Raumplanung ist viel mehr als die Planung des Raums – sie bestimmt die Zukunft einer Gemeinde wesentlich mit. Vitznau hat deshalb die Bevölkerung von Beginn an intensiv in die Ortsplanungsrevision einbezogen.
Am 13. Februar 2022 haben die Stimmberechtigten von Vitznau (LU) die Gesamtrevision der Nutzungsplanung mit einem deutlichen Mehr von über 72 Prozent beschlossen. Das ist bemerkenswert, denn umstrittene Themen wie Rückzonungen und die Weiterentwicklung der Tourismuszone standen an. Ausserdem hatten die Stimmberechtigten 2017 die Ortsplanungsrevision mit 59 Prozent Neinstimmen abgelehnt.
2018 gleisten die Verantwortlichen den Prozess komplett neu auf und wählten einen beispielhaften Weg: Die Bevölkerung war von Anfang an zur Mitwirkung eingeladen. Gemeindepräsident Herbert Imbach sagt rückblickend: «Transparenz, Partizipation und Gleichbehandlung waren unumstössliche Prinzipien – auch während der Pandemie. Diese Philosophie hat sich bewährt und eine neue Kultur des Miteinander begründet.»
Der Prozess
Die Verantwortlichen der Gemeinde und das Team des Planungsbüros Metron konzipierten gemeinsam einen komplexen und effektiven Prozess, dessen roten Faden der intensive Einbezug der Bevölkerung bildete. Die 13-köpfige Ortsplanungskommission (OPK), in der unterschiedliche Vertreterinnen und Vertreter aus der Bevölkerung sowie Interessengruppen vertreten waren, erarbeitete die Instrumente der Ortsplanung. Der OPK-Ausschuss und das Planungsbüro unterstützten die OPK in fachlicher und koordinativer Hinsicht.
In einer ersten Phase entstand das Siedlungsleitbild 2050 (SLB). In zwei öffentlichen Workshops und im Rahmen der öffentlichen Mitwirkung beteiligten sich Interessierte engagiert an seiner Erarbeitung. Die zentralen Themen zur Zukunft der Gemeinde wurden angesprochen und Varianten diskutiert. Jugendliche wurden niederschwellig über ein Feierabendgespräch einbezogen. Die Inputs der Mitwirkenden flossen nach sorgfältiger Prüfung in das SLB ein. Entwürfe wurden überarbeitet und wieder vorgelegt, sodass die Bevölkerung Schritt für Schritt überprüfen konnte, ob ihre Anliegen eingeflossen waren. Das SLB ist «nur» ein behördenverbindliches Instrument; trotzdem wurde es der Bevölkerung zur Genehmigung vorgelegt.
Vom Siedlungsleitbild zur Richt- und Nutzungsplanung
Mit dem SLB legte die Gemeinde ihre mittel- bis langfristigen Entwicklungsvorstellungen und -strategien verbindlich fest. Es bildete die zentrale Grundlage für die anschliessend erarbeitete Richt- und Nutzungsplanung (Zonenplan, Bau- und Zonenreglement, Erschliessungs- und Verkehrsrichtplan). Zwei Orientierungsversammlungen begleiteten die Überführung der Grundsätze des SLB in die Richt- und Nutzungsplanung. Darüber hinaus hatten die Bevölkerung, Interessengruppen und Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer die Gelegenheit, ihre Anliegen in der öffentlichen Mitwirkung und in der öffentlichen Auflage einzubringen. Mit dem Angebot von Sprechstunden während der öffentlichen Auflage konnten auch Einsprachen abgewendet werden.
«Transparenz, Partizipation und Gleichbehandlung waren unumstössliche Prinzipien – auch während der Pandemie. Diese Philosophie hat sich bewährt und eine neue Kultur des Miteinander begründet.»
Persönlich und digital – Öffentlichkeit entsteht
Regelmässig erscheinende Medienberichte, Beiträge auf der eigens eingerichteten Website www.ortsplanung-vitznau.ch und an alle Haushalte zugestellte Flyer ermöglichten den Interessierten, sich jederzeit über Meilensteine und das Fortschreiten der Planung zu informieren. Die Mitwirkung war auch auf digitalem Weg möglich. Kurze Videos vermittelten einer breiten Zielgruppe wichtige Inhalte. Die Filme transportieren die Botschaften aus der Sicht von Verantwortlichen und Beteiligten. Allein in den letzten 30 Tagen vor der Abstimmung wurden sie von über 400 Personen gesehen.
Moderates, qualitätsbewusstes Wachstum
Zukünftig steht der Gemeinde Vitznau ein beschränktes Angebot an Bauzonen zur Verfügung. Auf Aufzonungen wurde verzichtet, da bereits grössere Nutzungsreserven vorhanden sind, die es zu mobilisieren gilt. Der Schwerpunkt liegt im Dorfkern und entlang der Hauptstrasse, wobei mit neuen Bestimmungen zur Sicherung baulicher und freiräumlicher Qualitäten der ländliche Charakter Vitznaus erhalten bleiben soll.
Überdimensionierte Bauzonen reduzieren
Ein heikles Thema waren die Rückzonungen. Gemäss eidgenössischem Raumplanungsgesetz sind die Bauzonen auf 15 Jahre zu dimensionieren und überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren. Der Kanton Luzern identifizierte in der Folge 21 Gemeinden, die – auch bei einem hohen Bevölkerungswachstumsszenario bis 2035 – noch immer zu grosse Baulandreserven aufweisen und deshalb als «Rückzonungsgemeinden» gelten. Vitznau ist eine der ersten Gemeinden, die die vom Kanton verlangten Rückzonungen umgesetzt hat – und zwar in der namhaften Grösse von 12,6 Hektaren beziehungsweise knapp 18 Fussballfeldern.
Nachhaltiger Tourismus
Nicht zuletzt sind es historische Hotelbauten, die das Ortsbild von Vitznau prägen. Viele lagen in der Dorfkernzone. Um diese Grundstücke auch den nachfolgenden Generationen mit öffentlich zugänglichen Nutzungen zu erhalten, wurden sie in die Tourismuszone umgezont. Spezifische und flexible Vorschriften stellen die zukunftsgerichtete Weiterentwicklung der Hotelbetriebe und touristisch genutzten Anlagen sicher.
ARGUS – nicht alles kann warten!
Bereits bei der gemeinsamen Entwicklung des SLB haben engagierte Vitznauerinnen und Vitznauer die «Arbeitsgruppe Umsetzung Siedlungsleitbild» gebildet − kurz ARGUS. Sie konzentriert sich auf kurz- bis mittelfristig umsetzbare Anliegen und nutzt die Vorteile einer kleinen Gemeinde geschickt aus: Betroffene werden direkt einbezogen, die Verwaltungswege kurz und niederschwellig gehalten. Kernthemen sind Tourismuskonzept, Verbesserung der Seezugänge und Aufwertung des Dorfzentrums.
Raumplanerin Barbara Gloor ist überzeugt, dass die kurzfristige Umsetzung der Inhalte aus dem SLB das Vertrauen in die Ortsplanungsrevision zusätzlich gestärkt hat: «ARGUS steht für eine neue Gemeindepolitik: Planung bewegt alle − top down ist nicht mehr angesagt. Die Bevölkerung einzubeziehen heisst, dem inneren Kompass Vitznaus zu folgen.»