Nicht alle Gemeinden setzen auf «online only»
Im Zeitalter von Facebook, Twitter und Co. haben gedruckte Medien ein schweres Los. Doch verschiedene Schweizer Gemeinden beweisen, dass Print in der öffentlichen Kommunikation sehr wohl auch heute noch funktionieren kann.
Immer mehr etablierte Medienunternehmen ziehen sich aus der lokalen Berichterstattung zurück, kleinere Druckformate werden auf digitale Wege umgeleitet, und News-Apps für Smartphones ersetzen Tageszeitungen. Beobachtet man den Wandel in der Medienlandschaft, zeigt sich ein weitläufiges Aussterben von gedruckten Publikationen und analoger Berichterstattung. Auch in Gossau (SG) spüre man den Wandel durch die Digitalisierung bereits seit Jahrzehnten, berichtet Urs Salzmann, Informationsbeauftragter der Stadt Gossau. So schrumpfte das ursprünglich aus mehreren regionalen Tageszeitungen und diversen lokalen Magazinen bestehende Angebot auf nur noch zwei übergreifende Medien für die gesamte Region Gossau-St.Gallen zusammen. Im Rahmen einer Neuausrichtung des Kommunikationskonzepts vor zwei Jahren habe man aber das anhaltende Interesse an gedruckten Lokalzeitschriften festgestellt. So zeigte eine entsprechende Umfrage: «Online only» reicht der Bevölkerung nicht. «Vereine und politische Parteien haben sich bei uns darüber beschwert, bei Tageszeitungen kaum mehr Gehör zu finden», so Salzmann. Das «St.Galler Tagblatt» und die «Gossauer Nachrichten» vernachlässigten im Lokaljournalismus die kleinen Geschichten.
Falscher Zeitpunkt für gute Idee
«Für uns war klar: Gossau braucht eine eigene Publikation, die Vereinen, Kulturschaffenden und politischen Parteien wieder eine Bühne zur Verfügung stellt», sagt Salzmann. So plante man die Produktion des «Stadtmagazins» für Gemeindeinformationen und lokale Ereignisse. Parallel zu diesen Überlegungen preschte die Gossauer Druckerei Cavelti AG mit einem befristeten Gratis-Monatsmagazin vor. Nach einem emotionalen Wirbel auf politischer Ebene scheiterte das angedachte «Stadtmagazin» mit einem Jahresbudget von 250000 Franken schliesslich im letzten November in der Volksabstimmung. «Wichtig ist sicher, dass die Redaktion nicht einfach in der Stadtverwaltung angesiedelt ist. Sie muss unabhängig agieren können und finanziell breiter abgestützt sein», stellt Salzmann klar. In der Ostschweizer Kleinstadt hat man das Projekt einer aus Steuergeldern mitfinanzierten Forumspublikation vorderhand begraben. Mit dem neuen Kommunikationskonzept setzt man stärker auf die eigenen digitalen Kanäle und auf die bestehenden privaten Print- und Onlineprodukte.
Madiswiler «Linksmähder» für Identität und Bodenständigkeit
Dass Printprodukte auf Gemeindeebene heute aber durchaus noch gefragt sind, zeigt etwa das Beispiel von Madiswil (BE): Seit 16 Jahren geht das Gemeindeblatt mit dem aussergewöhnlichen Namen «Linksmähder» – der Protagonist aus einer alten Madiswiler Sage – zweimonatlich in alle 1800 Haushalte. «Dazu kommen knapp 100 Abos im In- und Ausland», ergänzt Patrick Bachmann stolz. Als Redaktor der Dorfzeitung betreut er den «Linksmähder» mit einem kleinen Team im Hintergrund seit sechs Jahren und ist erstaunt über das beständige Interesse von Bevölkerung und Gewerbe. Dank der Unterstützung der Dorfvereine und des Engagements der früheren Redaktorin sei der «Linksmähder» von Beginn an ein Erfolg gewesen, sagt Bachmann. Initiiert wurde das Blatt 2005 von Landwirt und Biopionier Werner Scheidegger. Seine Überzeugungsarbeit führte zur Fusionierung des ehemaligen «Gemeindeblatts», der «Madis-Info» und der Publikation der örtlichen FDP zum Lokalmatador «Linksmähder». So entstand in Madiswil eine parteipolitisch unabhängige Plattform für aktive Dorfvereine und für den Meinungsaustausch.
Gemeinde unterstützt Dorfzeitung finanziell
Der redaktionelle Teil umfasst eine breite Themenvielfalt: Ob Bauprojekte, Personenporträts, kulturelle Veranstaltungen, Berichte über geschichtliche Ereignisse oder ein unbekanntes Handwerk – die Dorfzeitung möchte den Alltag und das Dorfleben möglichst authentisch abbilden. Trotz langjähriger Tätigkeit bei verschiedenen Verlagen hat Bachmann bisher noch nie eine solch positive Resonanz erlebt wie beim «Linksmähder». Digitale Kanäle schätzt er nicht als echte Konkurrenz ein, im Gegenteil: «Viele Leserinnen und Leser freuen sich ausdrücklich darüber, die Dorfzeitung in den Händen zu halten», meint der erfahrene Journalist und Grafiker. Vom Bedarf nach einer lokalen Publikation ist Bachmann fest überzeugt. Denn in Gemeinden mit maximal einigen Tausend Einwohnerinnen und Einwohnern stifte eine Dorfzeitung Identität und wirke verbindend. Voraussetzung sei aber ein funktionierendes Dorfleben – also aktive Vereine, ein gesundes Gewerbe und eine engagierte Bevölkerung. Die jährlichen Kosten in der Höhe von 60000 Franken für das durchschnittlich 44 Seiten starke Heft werden zu 65 Prozent aus Inseraten und zu über 10 Prozent aus Spenden und Abos finanziert. Die Gemeinde übernimmt einen fixen Beitrag von 14500 Franken.
Freitag ist «Flade»-Tag
Mit einem nicht minder originellen Namen punktet das Kooperationsprodukt der St.Galler Gemeinden Flawil und Degersheim: das «Flade-Blatt», einem Wortkonstrukt aus «FLA» für Flawil und «DE» für Degersheim – und einer Anlehnung an die Ostschweizer Bezeichnung für Obst- und Käsewähen, die traditionellerweise freitags aufgetischt werden. Neben Informationen des Gemeinderats und Abstimmungsvorlagen erscheinen jeden Freitag auf knapp 20 Seiten Beiträge von Vereinen und dem lokalen Gewerbe. «Sie schätzen die Plattform vor allem für den Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern und als Kommunikationsmittel, um von ihren Veranstaltungen zu berichten», erzählt Markus Scherrer von der Medienstelle Flawil. Gemeinde, Vereine und Kirche können ihre Texte über das Online-Redaktionssystem der Druckerei Cavelti AG in Gossau einspeisen. Dort werden sie auf Inhalt und Zeichenanzahl geprüft und zur Veröffentlichung freigegeben. Andernfalls werden sie an die Gemeinde oder den jeweiligen Verein zur Korrektur zurückgesandt. Inserate sind kostenpflichtig – je mehr Inserate, desto weniger Produktionskosten für die Gemeinden. Seit Oktober 2015 ersetzt das «Flade-Blatt» den ehemaligen «Anzeiger» von Flawil und Degersheim, der auch dazumal schon eine Koproduktion der beiden Nachbarsgemeinden war. Damals ergab eine Umfrage zur Informationstätigkeit der Gemeindeverwaltung, dass das amtliche Publikationsorgan das wichtigste Informationsmittel für die Flawiler Bevölkerung ist. «Daran hat sich bis heute nichts geändert», so Scherrer. Neben dem nach wie vor hoch geschätzten Druckformat wird das «Flade-Blatt» mittlerweile auch als PDF-Datei auf der Website der Gemeinde publiziert.
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