Von 2021 bis 2024 wurde das fünfzigjährige Oberstufenschulhaus Pfaffechappe in Baden (AG) totalsaniert. Die Tragstruktur wurde erhalten, Armaturen und Lavabos wurden vor Ort wiederverwendet.

Neu bauen mit alten Teilen

11.04.2025
4 l 2025

Die Wiederverwendung von Einzelteilen funktioniert nicht nur bei Batteriezellen und Elektronikkomponenten, sondern auch bei ganzen Gebäuden: Aus Abrissobjekten lassen sich Fenster, Dachsparren oder Holzböden, vor allem aber auch Wände, Decken und andere konstruktive mineralische Bauteile für Neubauten nutzen. Ein Forschungsprojekt hat das Potenzial am Beispiel des Gebäudebestands der Stadt Baden (AG) ermittelt.

Wer dem Klimawandel entgegenwirken will, muss bei den Baumaterialien ansetzen. Denn bei deren Herstellung entstehen erhebliche Mengen an grauen Treibhausgasen. «Nachdem wir uns früher stark auf den Ersatz fossiler Heizungen konzentriert haben, sehen wir beim nachhaltigen Umgang mit der Bausubstanz einen neuen Hebel zum Klimaschutz», sagt Christian Vogler, Koordinator Energie der Stadt Baden (AG). Zu dem Zweck soll bis 2026 in der Bau- und Nutzungsordnung ein Grenzwert festgeschrieben werden, wie viel Treibhausgase ein Gebäude während seiner Lebenszeit pro Quadratmeter maximal ausstossen darf.

Die Aargauer Stadt will bei ihren eigenen Gebäuden mit dem guten Beispiel vorangehen. So wurde bei der Umwidmung und Sanierung des alten Schulhauses Pfaffechappe in eine Primarschule nicht neu gebaut, sondern die Tragstruktur des Gebäudes (Tragwerk, Geschossdecken) erhalten, wodurch 3000 Tonnen CO2 eingespart wurden. Bei der Planung von Bauprojekten wird konsequent auf die Systemtrennung geachtet. Ziel ist, so zu bauen, dass die spätere Rückbaubarkeit ganzer Bauteilgruppen zur Wiederverwendung im Folgeprojekt oder an anderer Stelle möglich ist. 

Forschungsprojekt

Das Beispiel Baden steht stellvertretend für die landesweiten Bemühungen, klimaschädliche Emissionen bei der Gebäudeerstellung zu senken und damit die Schweiz bis 2050 dem Netto-Null-Ziel näher zu bringen. Doch welchen Beitrag kann die Wiederverwendung von Bauteilen aus Abrissobjekten zum Klimaschutz leisten? Dieser Frage widmete sich das Forschungsprojekt «Re-Use auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel bei Gebäuden», das von der Stadt Baden und den Bundesämtern für Energie (BFE) und Umwelt (Bafu) finanziell unterstützt wurde.

In dem Projekt untersuchte das Forschungs- und Beratungsunternehmen Intep gemeinsam mit der Gruppe für ökologisches Systemdesign der ETH Zürich das Potenzial der Wiederverwendung (englisch Re-Use) von Bauteilen zur Einsparung von grauen Treibhausgasemissionen. Am Beispiel der Stadt Baden wurde ermittelt, in welchem Umfang der Bedarf an Baumaterial für Neubauten durch wiederverwendete Bauteile gedeckt werden könnte.

Ein Viertel weniger Treibhausgasemissionen 

«Die Modellierung hat ergeben, dass bei Wohn- und Bürogebäuden der Stadt Baden bis 2050 3,2 Prozent der grauen Treibhausgasemissionen und 2,3 Prozent der grauen Energie für Neubauaktivitäten durch Re-Use eingespart werden können», fasst der Schlussbericht ein Hauptergebnis der Studie zusammen. Dass dieser Anteil «eher niedrig» ist, wie das Projektteam festhält, liegt nicht zuletzt daran, dass der Gebäudebestand von Baden in den nächsten 25 Jahren merklich wachsen dürfte. «Folglich findet ein grosser Nettozubau statt, für den keine Re-Use-Bauteile zur Verfügung stehen und eine substanzielle Menge an Primärmaterial benötigt wird», so der Schlussbericht. 

Das grösste Potenzial zur Einsparung von Umweltbelastung liegt bei der Wiederverwendung von konstruktiven Bauteilen (Decken, Wände, Dächern) aus Stahlbeton, Kalksand- und Backstein sowie von Metallbauteilen aus dem Innenausbau (Abhangdecken, Stützen, Doppelböden). Nicht alle Gebäudeteile lassen sich indes wiederverwenden; das schmälert den Anteil der grauen Treibhausgasemissionen, der sich durch Re-Use einsparen lässt. Der Anteil liegt gemäss Studie bei Bürogebäuden bei 25 Prozent und bei Wohngebäuden bei 19 Prozent.

Ungenutztes Potenzial

Die Wiederverwendung von Bauteilen in neuen Gebäuden ist bisher noch selten, sieht man einmal von kostbaren Einzelstücken wie Holztüren oder Parkettböden ab. Claudine Karlen vom Re-Use-Projektteam sieht denn auch ein grosses ungenutztes Potenzial: «Die Machbarkeit der Wiederverwendung von konstruktiven Bauteilen wird von konventionellen Planenden und Bauunternehmen oft als schwierig eingestuft. Aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass es international eine Vielzahl von Anwendungen dieser Praxis gibt und technische Möglichkeiten vorhanden sind.»

Das Projektteam um Claudine Karlen hat mit Experteninterviews und einem Workshop Handlungsansätze für die Förderung von Re-Use erarbeitet. Wünschbar sind beispielsweise Pilotprojekte der öffentlichen Hand, von deren Erfahrung und Know-how dann auch private Bauherren profitieren können. «Mit Re-Use allein lässt sich ein klimaneutraler Gebäudepark nicht erreichen», sagt Karlen, «aber der Ansatz kann einen wichtigen Beitrag zur Erreichung des Netto-Null-Ziels leisten.»

Bauteile inventarisieren

«Damit Re-Use an Bedeutung gewinnt, müssen künftige Gebäude mit einem Fokus auf Design for Disassembly gebaut werden», sagt Claudine Karlen vom Re-Use-Projektteam. Gebäude müssen so gebaut werden, dass sie später leicht in wiederverwendbare Einzelteile zerlegt werden können. Sinnvoll ist überdies, die aus einem Abbruchobjekt gewonnenen Bauteile zu inventarisieren.

Benedikt Vogel
Im Auftrag des Bundesamts für Energie