Münchenstein: Erstes kommunales Reglement für Behindertenrechte
Münchenstein (BL) ist die erste Gemeinde der Schweiz, die sich ein Reglement im Bereich der Behindertenrechte gegeben hat. Dieses regelt die Umsetzung des kantonalen Behindertenrechtegesetzes, das im Kanton Basel-Landschaft kürzlich verabschiedet wurde. Kernstück des kommunalen Reglements ist eine Kommission, welche die Gemeinde in Inklusionsfragen berät und auf Missstände aufmerksam macht.
Wie kann eine Gemeinde Menschen mit Behinderungen aktiv einbeziehen und Barrieren abbauen? Mit dieser Frage hat sich die Gemeinde Münchenstein (BL) in den letzten Monaten intensiv beschäftigt. Sie ist die erste Gemeinde, die ein Reglement zur Umsetzung des Behindertenrechtegesetzes des Kantons Basel-Landschaft erarbeitet hat; dies mit Unterstützung des Kantons und Experten der Universität Basel. Das kantonale Gesetz, das im Januar 2024 in Kraft getreten ist, fordert ein solches Reglement von den Gemeinden.
Doch warum gerade Münchenstein? Das Thema Inklusion ist der Gemeinde nahe, nicht zuletzt weil sich in Münchenstein eine heilpädagogische Schule befindet. Die Gemeinde ist zudem ziemlicher Durchschnitt, nicht sehr gross, aber auch nicht klein, nicht reich, aber auch nicht arm. Und: Bei der Verwaltung und den Behörden ist eine gewisse Offenheit vorhanden. Das sagt Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Basel und Mitglied des UNO-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der sowohl an der Ausarbeitung des kantonalen Gesetzes als auch des kommunalen Reglements beteiligt war. So hat Münchenstein seit Längerem eine Hörschlaufe für Menschen mit Hörbehinderungen im Gemeindeversammlungssaal installiert, die Website der Gemeinde ist möglichst barrierefrei gestaltet und ein Grossteil der öV-Haltestellen der Gemeinde sind behindertenfreundlich.
Kommission mit viel Gewicht
Kernstück des neuen Reglements ist eine Behindertenkommission, die sich demnächst konstituieren und die am 1. Juli ihre Arbeit aufnehmen wird. Neben Gemeindevertretern werden darin Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen und Institutionen Einsitz nehmen sowie Personen mit Behinderungen. Die Kommission berät den Gemeinderat, macht auf Missstände aufmerksam und gibt Verbesserungsvorschläge ab. Sie kann sich grundsätzlich zu allen Lebensbereichen und zum gesamten Autonomiebereich der Gemeinde einbringen: von der Raumplanung über die Kommunikation bis hin zu öffentlichen Infrastrukturen und weiteren Themen.
«Menschen mit Behinderungen sollen sich einbringen können und eine Stimme erhalten.»
«Die Kommission erhält ein grosses Gewicht, denn der Gemeinderat muss dokumentieren, welche Eingaben gemacht wurden, und der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen, welche Massnahmen umgesetzt wurden oder eben nicht», sagt der Münchensteiner Geschäftsleiter Stefan Friedli. Dazu gehört auch, andere Gemeinwesen wie den Kanton oder Private auf deren Verantwortung aufmerksam zu machen, wenn die Gemeinde nicht zuständig ist. «Menschen mit Behinderungen sollen sich einbringen können und eine Stimme erhalten», fasst Stefan Friedli zusammen. Jennifer Bohler, Projektmitarbeiterin beim Kanton, fügt an: «Gemeinden und Kanton sind verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen sicherzustellen. Durch die Kommission werden Prioritäten für die etappierte Umsetzung auf Gemeindeebene geschaffen.»
Die Zusammenarbeit am Reglement erlebten die Beteiligten von Gemeinde, Kanton und Uni Basel als sehr bereichernd. «Die Lernkurve war für uns sehr steil. Wir mussten lernen, sehr konkret zu werden», erinnert sich Stefan Friedli. Markus Schefer lobt die Beteiligten: «Zentral ist die Offenheit gegenüber Anliegen von Menschen mit Behinderungen. Hier war ein starkes Engagement zu spüren.» Die Zusammenarbeit sei eine grosse Chance für die Gemeinde gewesen, ergänzt Gemeindepräsidentin Jeanne Locher.
«Gemeinden und Kanton sind verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen sicherzustellen.»
Musterreglement für andere Gemeinden
Mitte März hat der Gemeinderat das Reglement der Gemeindeversammlung vorgelegt, die es mit grosser Mehrheit angenommen hat. Eines der Dokumente zum Geschäft war in Leichter Sprache verfasst. «Wir hatten im Vorfeld mit Reaktionen darauf gerechnet, aber tatsächlich wurde die Kommunikation in Leichter Sprache sehr gut aufgenommen», sagt Stefan Friedli.
Auf Basis des Münchensteiner Reglements erarbeiten Kanton und Universität Basel nun ein Musterreglement, das allen anderen Baselbieter Gemeinden als Vorlage für ihr eigenes Reglement dienen kann. «Natürlich können auch ausserkantonale Gemeinden die Grundidee des Musterreglements übernehmen», sagt Markus Schefer. «Allerdings müssen sie die konkrete Ausgestaltung anpassen, da sich diese am Kanton Basel-Landschaft orientiert.»
Münchenstein ist stolz auf das Reglement. Gemeindepräsidentin Jeanne Locher: «Für mich gehört es einfach zum Leben in Münchenstein, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ernst zu nehmen. Das gehört schliesslich zu den Menschenrechten.»
«Für mich gehört es einfach zum Leben in Münchenstein, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ernst zu nehmen.»
Die Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung des Reglements
An der Ausarbeitung des Reglements zur Umsetzung des Behindertenrechtegesetzes in Münchenstein waren Gemeinde, Kanton sowie Experten der Universität Basel beteiligt: Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel und Mitglied des UNO-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen; Philip Glass, Lehrbeauftragter der Juristischen Fakultät der Uni Basel; die Münchensteiner Gemeindepräsidentin Jeanne Locher, der Münchensteiner Geschäftsleiter Stefan Friedli; Andreas Iten, Leiter der Bevölkerungsdienste der Gemeinde; Stefan Hütten, Projektleiter Behindertenrechte und Dienststellenleiter Amt für Kind, Jugend und Behindertenangebote des Kantons Basel-Landschaft; Miriam Bucher, Generalsekretärin der kantonalen Finanz- und Kirchendirektion und frühere Leiterin der Stabsstelle Gemeinden; Christa Sonderegger, Leiterin Abteilung Recht der kantonalen Bildungs-, Kultur und Sportdirektion, sowie Jennifer Bohler, Projektmitarbeitende Behindertenrechte.