Eine Flagge des Kantons Jura auf einem Gebäude in Moutier.

Moutier: Mitten im Kantonswechsel

10.11.2022
11 | 2022

Wenn eine Gemeinde von 7400 Seelen den Kanton wechselt, ist das nicht einfach. Diese Erfahrung machen Behörden und Bevölkerung von Moutier zurzeit – die Gemeinde ist noch bis 2025 bernisch und soll ab 2026 jurassisch werden.

«Die Gemeinden des Kantons Bern und des Kantons Jura erfüllen mehr oder weniger die gleichen Aufgaben», sagt Valentin Zuber, Gemeinderat von Moutier, gelassen. Er ist Präsident der Delegation des Gemeinderats von Moutier zu den jurassischen Angelegenheiten und damit stark involviert in die Arbeiten für den Kantonswechsel der Gemeinde vom Kanton Bern zum Kanton Jura. Ein Wechsel, der am 1. Januar 2026 in Kraft treten wird, sofern die Parlamente der beiden Kantone und die Bundesversammlung zustimmen.

Zur Erinnerung: Ende März 2021 hat die Stimmbevölkerung von Moutier mit rund 55 Prozent Ja-Stimmen entschieden, künftig zum Kanton Jura gehören zu wollen und dem Kanton Bern den Rücken zu kehren. Obwohl böse Stimmen etwas anderes behaupten, haben seit dieser Abstimmung nur wenige Einwohnerinnen und Einwohner die Gemeinde verlassen, vielleicht ungefähr zehn, wie Valentin Zuber schätzt. «Eine Zahl, die wahrscheinlich unterschätzt wird», heisst es aus dem antiseparatistischen Lager. Natürlich könnten noch mehr Menschen gehen, «die nicht im Jura leben wollen», so Zuber. Er geht aber auch davon aus, dass Moutier neue Einwohnerinnen und Einwohner gewinnen wird: «Jurassierinnen und Jurassier, die in den grossen Städten Karriere gemacht haben und im Pensionsalter in den Jura zurückkehren wollen.»

Neue Aufgaben

Administrative Schikanen, Synchronisierung der politischen Agenden, Übernahme von Berner Immobilien, Anfragen aller Art aus der Bevölkerung: Diesen Kantonswechsel reibungslos über die Bühne zu bringen, ist keine leichte Aufgabe für die Gemeindebehörden. Auf Verwaltungsebene gibt es zwei grosse Veränderungen. Die eine hat eine direkte und negative Auswirkung auf das Personal. «Wir werden in drei Jahren keinen Sozialdienst mehr in Moutier haben», sagt Valentin Zuber. Dem betroffenen Personal – heute sind es 26 Personen, die Vollzeit oder Teilzeit angestellt sind, davon Pendler, die bereits heute im Kanton Jura wohnen – werden gleichwertige Stellen in der jurassischen Verwaltung angeboten. «Im Bereich Human Resources (HR) wurde ein gemeinsames Verfahren für den Jura und Moutier geschaffen, um solche Fälle zu begleiten.»

Die andere Veränderung bringt neue Perspektiven mit sich. Moutier wird sich nämlich in Zukunft selbst um Stadtplanung, Raumplanung und Baugenehmigungen kümmern. Unter bernischem Regime fallen diese Bereiche in die Zuständigkeit des Kantons. «Wir werden einen eigenen Dienst aufbauen können und selbst entscheiden können», sagt Valentin Zuber.

Für den Rest bleiben enorm viele Details zu regeln, und die Bevölkerung hat auch nicht wenige Fragen. Eine, mit der die Gemeindeverwaltung immer wieder konfrontiert ist, ist jene nach der Zahl der Feiertage – denn diese unterscheidet sich im reformierten Bern und im katholischen Jura.

Pragmatische Fragen

«Wir werden einen Kanton verlassen, der schweizweit die wenigsten Feiertage hat, und zu einem wechseln, der zusammen mit Solothurn schweizweit am meisten hat», fasst Valentin Zuber zusammen. Es sind zehn im Kanton Bern gegenüber ungefähr fünfzehn im Jura. «Ab wann können wir davon profitieren?», fragen sich die Einwohnerinnen und Einwohner von Moutier. Im Detailhandel sorgt man sich eher. Sogar so sehr, dass Vorschläge für Verschiebungen gemacht werden, um das Geschäft nicht zu schädigen. Eine groteske Situation, werden doch Jurassierinnen und Jurassier gewiss noch bis 2025 die Gelegenheit nutzen, in Moutier einzukaufen, wenn im Jura wegen Feiertagen die Geschäfte geschlossen sind.

«Die Bevölkerung stellt uns sehr sachliche Fragen, die Konsequenzen für ihren Alltag haben – weit weg von den grossen gesellschaftlichen Herausforderungen, die uns beschäftigen.»

Valentin Zuber, Gemeinderat Moutier

Für Bars und Clubs wird sich einiges ändern, denn das jurassische Gesetz über die Gaststätten ist weniger liberal als jenes in Bern – der Katholizismus lässt grüssen. Im Jura tanzt man an religiösen Feiertagen nicht, ebenso wie man am Sonntag sein Auto nicht wäscht. Und es gibt noch einen weiteren notorischen Unterschied: Im Jura ist der Verkauf von Alkohol an Tankstellen nicht erlaubt. «Die Bevölkerung stellt uns sehr sachliche Fragen, die Konsequenzen für ihren Alltag haben – weit weg von den grossen gesellschaftlichen Herausforderungen, die uns beschäftigen», stellt Valentin Zuber fest.

Viele Veränderungen an der Schule

Der Kantonswechsel hat auch Auswirkungen auf die Schule, ist diese doch kantonal organisiert. Viele Lehrpersonen fragen nach ihrem zukünftigen Status und Lohn, denn organisatorisch stehen ihnen grosse Veränderungen bevor. «Die Schulleitungen haben im Kanton Jura nicht die gleiche Rolle wie im Kanton Bern. Sie folgen zwar in beiden Kantonen dem Lehrplan, behalten aber auf der bernischen Seite eine grosse pädagogische Freiheit. Im Jura hingegen orientiert sich der Unterricht stärker an der Westschweiz und Frankreich. Die Organisation ist hierarchischer mit quasi unumstösslicher Macht», fasst Pierre Sauvain zusammen, der im Gemeinderat von Moutier für die Bildung zuständig ist.

«Wir müssen den betroffenen Lehrpersonen rasch Antworten geben können, denn bei Unsicherheiten besteht das Risiko, dass sie sich anderswo eine Anstellung suchen.»

Pierre Sauvain, Gemeinderat von Moutier

Auch die Lohnskala ist unterschiedlich. «Zu Beginn ihrer Laufbahn verdienen die jurassischen Lehrpersonen mehr, aber mit den Jahren kehrt sich dies um, mit Unterschieden, die teilweise grosse Konsequenzen haben können. Wir müssen den Betroffenen rasch Antworten geben können, denn bei Unsicherheiten besteht das Risiko, dass sie sich anderswo eine Anstellung suchen», sagt Pierre Sauvain. Er erinnert an die Versprechen aus dem Jura: keine Kündigungen, keine Lohnsenkungen. Eine Übergangsphase könnte eingeführt werden für Lehrpersonen, die schon lange im Beruf sind, während neue Lehrpersonen zu den jurassischen Bedingungen angestellt werden könnten. Hinzu kommt: Der Kanton Jura stellt keine Lehrpersonen ohne geeignete Ausbildung an, während Bern wegen eines akuten Personalmangels nicht davor zurückschreckt.

Alain Meyer
Übersetzung: Nadja Sutter