Die modulare Lernwelt im Einsatz im Durchgangszentrum Biberhof in Biberbrugg (SZ).

Lernwelten für geflüchtete Kinder

05.08.2022
7-8 | 2022

Asyl- und Durchgangszentren bieten für geflüchtete Kinder oftmals kaum geeignete Räume. Forschende der Hochschule Luzern (HSLU) haben darum modulare Lernwelten für geflüchtete Kinder entwickelt. Das Konzept stellen sie Gemeinden zur Verfügung.

In Zentren für Asylsuchende treffen begleitete und unbegleitete Kinder verschiedener Altersstufen und Muttersprachen aufeinander. Sie haben in der Schweiz nicht nur ein Recht darauf zu lernen, sondern sind im Hinblick auf ihre persönliche Entwicklung auch für ihren späteren beruflichen Werdegang darauf angewiesen. Die Verantwortung dafür, dass der Schulbesuch möglich ist, liegt bei den Kantonen, die die Durchgangszentren betreiben.

Die Kinder und Jugendlichen in bestehenden Schulklassen der Standortgemeinden unterzubringen, ist oft nicht möglich, und die meist beengten Wohn- und Lebensverhältnisse von Asyl- und Durchgangszentren erlauben kaum konzentriertes Lernen. Das Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP) der Hochschule Luzern (HSLU) hat sich zusammen mit Partnerinnen und Partnern aus Regierung und Wirtschaft mit dem Thema Flucht auseinandergesetzt, insbesondere mit den Herausforderungen für Kinder. Das Resultat waren modulare Lern- und Spielwelten für geflüchtete Kinder. «Motirõ» heisst das Projekt, das bedeutet in der Tupí-Guarani-Sprachgruppe indigener Völker Lateinamerikas «gemeinsam etwas Gutes schaffen».

Es handelt sich um modulare Lern- und Spielwelten, die Rückzugsmöglichkeiten bieten und kindergerecht gestaltet sind. Mit wenigen Handgriffen lassen sich Kisten und Tische verschieben; Motirõ kann als Schulzimmer dienen und wenige Minuten später Raum zum Tanzen und Herumtollen bieten. Ein Prototyp konnte 2019 zusammen mit dem Amt für Migration des Kantons Schwyz im Durchgangszentrum Biberhof in Biberbrugg realisiert werden. Eine zweite Umsetzung wurde ein Jahr später im Durchgangszentrum Degenbalm in Moorschach realisiert.

Im Kontext der Geflüchteten aus der Ukraine rückt die besonders betroffene Gruppe der Kinder akut ins Zentrum. Darum stellt das CCTP dieses Planungskonzept allen in Verantwortung stehenden Akteurinnen und Akteuren von Bund, Kantonen und Gemeinden kostenlos zur Verfügung. Motirõ kann in die Planung bestehender und zukünftiger Zentren für Asylsuchende integriert werden. Das Team des Kompetenzzentrums Typologie & Planung in Architektur der Hochschule Luzern kann im Rahmen weiterer Umsetzungen eine Coachingfunktion übernehmen und sein Engagement und Know-how einbringen.

Holz im Container

Hauptbestandteile der Lernwelt sind die hölzernen Innenausbauten mit Stauraum auf allen Raumseiten. Sie bieten Platz für unterschiedliches Mobiliar, das je nach Bedarf zusammengestellt werden kann – ein paar Sitzbänke und ein Brett lassen sich zur Rampe umfunktionieren, oder auch zum Pult. Tische, Bänke, Hocker, Sitzkissen, Toolboxen sind flexibel, fest eingebaute Elemente wie Sitznischen geben den Kindern die Möglichkeit zum Rückzug. Die natürliche Oberfläche des Holzes, vielfältige textile Elemente sowie dimmbares Licht geben dem Raum Wärme und lassen unterschiedliche Atmosphären generieren. Da Anzahl und Alter der Kinder in Asyl- und Durchgangszentren häufig wechseln, ist die Anpassungsfähigkeit des Raumes zentral.

Konzipiert für weltweiten Einsatz

«Von konzentrierten Einzelarbeiten über Gruppenunterricht bis hin zu ruhigen Beschäftigungen oder aktiven Bewegungsspielen ist alles möglich», sagt Projektleiterin Selina Lutz. In den Wänden lässt sich versorgen, was gerade nicht gebraucht wird. Untergebracht sind die Lernwelten in einem Container. Selina Lutz erklärt, weshalb: «Container gibt es überall, sie sind verhältnismässig günstig, weltweit leicht zu beschaffen und lassen sich im Vollausbau transportieren. Dies ist wichtig, denn die Lernwelten sind für die Anwendung in Europa und – mit Anpassungen – auf der ganzen Welt konzipiert.»

Das Konzept sieht jeweils eine Herstellung der Innenausstattung durch lokale Betriebe vor, mit Holz aus der Region und wenn möglich unter Mitwirkung der Kinder aus den Zentren. Die standardisierte Grösse des Containers macht das Konzept leicht adaptierbar. Alles ist darauf ausgerichtet, dass es nach der Baubewilligung zügig vorwärtsgehen kann und die Lernwelt innerhalb eines Monats zur Verfügung steht.

Durch die flexible Gestaltung ist die Nutzung der Räumlichkeiten auch über ihren primären Zweck hinaus möglich. So können sie beispielsweise zu bestimmten Zeiten öffentlich zugänglich sein, von ortsansässigen KITAS genutzt werden oder ausserhalb der Unterrichtszeiten für andere interne und externe Veranstaltungen Raum bieten. Dies fördert den nachbarschaftlichen Kontakt und festigt die Vernetzung der Kinder in der Umgebung.

Der Innenausbau besteht aus Holz.

Die verschiedenen Elemente lassen sich je nach Bedarf unterschiedlich anordnen.

Motirõ – modulare Lernwelten im Container des Zentrums für Asylsuchende in Bennau.

Kontaktinformationen

Die Forschenden des CCTP unterstützen verantwortliche Personen von Bund, Kantonen und Gemeinden, um das Planungskonzept an alle Orte zu bringen, wo es eingesetzt und genutzt werden kann. Für weitere Auskünfte steht Selina Lutz, T +41 41 349 37 72, selina.lutz@hslu.ch, als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Bei Interesse kann der realisierte Prototyp im Durchgangszentrum Biberhof in Absprache besichtigt werden. Unter sites.hslu.ch/architektur/motiro finden sich weitere Informationen zu Motirõ.

Senta van de Weetering
Hochschule Luzern