Der 27-jährige Tobias Schär ist Gründer des Vereins «Wir lernen weiter». Seine Idee: gebrauchte Laptops sammeln, sie neu aufrüsten und an Bedürftige weitergeben. Damit die Digitalisierung niemanden aussen vor lässt.

Laptops für Bedürftige schaffen Digitalisierungschancen für alle

18.06.2021
6 | 2021

Wichtig ist es, mit der Digitalisierung mitzuhalten. Doch was, wenn das Geld der Familie nicht für einen Laptop reicht? Der Aargauer Verein «Wir lernen weiter» wehrt sich mit gespendeten Laptops gegen die «digitale Kluft» in der Gesellschaft.

Hinter der Eingangstür des Pfarrhauses von Merenschwand (AG) stapeln sich Pakete. Sie enthalten Laptops und sind bereit für den Versand. Das erklärt Tobias Schär, 27-jähriger Unternehmensberater, studierter Wirtschaftsinformatiker und  Gründer des Vereins «Wir lernen weiter». Normalerweise organisiert der Verein Verteiltage, um die Laptops an Bedürftige weiterzugeben, doch als Folge der Corona-Massnahmen hat er auf Postversand umgestellt.

Gebrauchte Laptops aufrüsten, neu aufsetzen und sie an Bedürftige abgeben: Die Idee ist einleuchtend, und doch ist der Aargauer Verein bisher der einzige, der ein solch unkompliziertes und unbürokratisches Angebot anbietet. Benjamin, zuständig für die IT-Infrastruktur, führt die Besucherin in den Dachstock des Pfarrhauses. Dieser ist vollgestapelt mit weiteren Paketen, nicht mehr brauchbarem Elektroschrott und gebrauchten gespendeten Laptops. Unter der Laube befindet sich das Wiederherstellungszimmer. Dort werden die gespendeten Geräte an einen Server angeschlossen, und die Daten werden zerstört. Ein wichtige Massnahme. Anschliessend werden das Betriebssystem Zorin OS und weitere Software auf den Geräten installiert. Funktionen wie Kamera und Mikrofon werden überprüft, bei Bedarf werden Ersatzteile ausgetauscht, und der Laptop ist fertig für den weiteren Gebrauch.

«Es sind Geräte, die einwandfrei funktionieren und den neuen Besitzern Freude bereiten werden», sagt Tobias Schär. Benjamin erklärt, wie die Technik immer weiter optimiert werde, um gleichzeitig so viele Geräte wie möglich zu bearbeiten. Optimieren und innovieren ist das Credo des Vereins. So gelang es, das Projekt innert kürzester Zeit auf die Beine zu stellen und bekannt zu machen.

Gegen die digitale Kluft

Weitergegeben werden die Geräte zum Beispiel an Familien, die ihren Kindern keinen eigenen Laptop kaufen können, sodass die Kinder die Hausaufgaben auf dem Handy ihrer Eltern erledigen müssen, wie Schär erklärt. Dem jungen Unternehmensberater liegt es am Herzen, dass die Jungen in der Schweiz den Anschluss an die Digitalisierung nicht verlieren. Denn je särker die Digitalisierung zunimmt, desto mehr Menschen sind auf Computer angewiesen. Mit seinen restaurierten Laptops ermöglicht es der Verein, den «digital gap» zu verringern und einen Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten.

Gerade Sozialhilfebeziehende haben oft keinen Zugang zu IT-Geräten, was die Teilnahme an Online-Sprachkursen, Weiterbildungen und Beratungsgesprächen kompliziert bis unmöglich macht. Sie seien die Verlierer der Digitalisierung, sagt Tobias Schär. Der Umgang mit elektronischen Geräten gehöre heute neben Lesen und Schreiben zu den Grundkompetenzen. «Spätestens beim ersten Lockdown sollte klar geworden sein, dass ein Laptop zur Grundausrüstung gehört», sagt Schär. Doch noch immer wenden sich viele Schulkinder, Jugendliche auf Lehrstellensuche oder Menschen mit Migrationshintergrund an ihn, weil sie keinen Zugang zu einem Laptop haben und darum nicht mit der Digitalisierung mithalten können. Durch die Akquisition von über 250 Partnergemeinden und -organisationen, die die Gesuche von Armutsbetroffenen professionell prüfen, gelangen die Laptops dorthin, wo sie gebraucht werden. Die Partnerorganisationen bezahlen 150 Franken als Unkostenbeitrag für jedes ausgelieferte Gerät. Dadurch will Schär den Verein kostenunabhängig machen.  

Einsparungen für Sozialdienste, Gemeinden als Partner

Tobias Schärs Augen funkeln, wenn er von der Bekämpfung des «Systemproblems» spricht und von dem Projekt als «Service public», der von der öffentlichen Hand getragen werden darf. Neben der sozialen Motivation führt er auch ökonomische Argumente an: Es geht ihm um die nachhaltige Eingliederung von Armutsbetroffenen in den Arbeitsmarkt. Dafür seien Zugang und Mitgestaltung in der digitalen Welt zentral. Schär sagt, durch die schnellere, effizientere und nachhaltigere Integration in den Arbeitsmarkt könnten die Sozialdienste viel Geld einsparen. Darum sind ihm auch Partnerschaften mit Gemeinden so wichtig.

Doch schon muss er los, bei einer Schule dürfen ganze 270 Geräte abgeholt werden. Für Tobias Schär und Benjamin eine Gelegenheit mehr, ihrem Ziel der digitalen Chancengleichheit etwas näherzukommen.

Bestimmungen der Sozialhilfe zur IT-Ausrüstung

Im Grundbedarf für den Lebensunterhalt (GBL) ist ein Betrag in der Höhe von rund 20 Franken für «Computer, Büromaschinen und andere Peripheriegeräte» enthalten. Das reicht natürlich nicht für einen Laptop. Es kann vonseiten der Sozialhilfe aber verlangt werden, dass der Betrag über ein paar Monate angespart wird, und die fehlende Differenz kann dann als situationsbedingte Leistung (SIL) übernommen werden. Bei den SIL gibt es dann für die Sozialdienste einen Ermessensspielraum.

Julie Bernet
Quelle: Zeso 01/21 das Magazin der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS)

Informationen und Kontakt:

Interessierte Gemeinden, Institutionen oder Sozialdienste können sich bei Tobias Schär für eine Partnerschaft melden. Bereits bestehende Partnerschaftsverträge sind in der Karte verlinkt: wir-lernen-weiter.ch/partnergemeinden.