Kultur – ein Schlüssel zur Entwicklung der Gesellschaft
Wer sich mit Christine Bouvard Marty über Kultur austauscht, benötigt schon etwas Zeit. Denn für die Gemeindepräsidentin aus dem luzernischen Schüpfheim verdichtet sich in diesem Begriff vielleicht nicht weniger als das, was die Gesellschaft zusammenhält.
Von zu Hause aus hat Christine Bouvard Marty einen barrierefreien Zugang zu Kultur mitbekommen, wie sie sagt. Durch Begegnungen mit Bekannten ihrer Eltern, auf Reisen oder bei Museumsbesuchen hat sie schon in jungen Jahren vielfältige Formen kultureller Ausdrucksweisen kennengelernt. Und ein weiteres wesentliches Element in ihrem heutigen Gesamtbild von Kultur hat für die klinische Heilpädagogin ihre frühere Arbeit mit schwerst- und mehrfachbehinderten Menschen gebracht.
Einblick hinter die Budgetzahlen
Als Christine Bouvard Marty vor über 30 Jahren ins Entlebuch zog, fand sie über ihr Mitwirken im Kirchenchor und in der Entlebucher Kantorei rasch den Anschluss zur Bevölkerung. Eher per Zufall hat sie später einen Sitz in der gemeindlichen Musikschulkommission übernommen, der zuvor von einem Mitglied des Jodlerklubs gehalten wurde. «Die Musikvereine stellen bei uns die Kommissionsmitglieder. Als ich merkte, dass ich auf dem <Stuhl der Jodler>sitze, empfand ich das als Auftrag, mich mit dem reichen musikalischen und kulturellen Geschehen unserer Region über meine eigenen Vorlieben hinaus zu beschäftigen», sagt die passionierte Sängerin.
Kulturelle Bildung und Teilhabe
So hat sie im Rahmen dieser Kommissionsarbeit die musikalische, kulturelle und künstlerische Vielfalt im «klingenden Tal»* kennengelernt. Und daraus hat sie als Politikerin umgekehrt einen weiten Zugang zum Thema Kultur erhalten. Als Gemeindepräsidentin ist Christine Bouvard Marty gefordert, dabei die Finanzen im Auge zu haben. Aber: «Es geht nicht nur darum, hin-, sondern auch dahinterzuschauen», sagt sie. Wie meint sie das? «Ob Musikschule oder regionales Kulturhaus, die Frage lautet, warum wir uns engagieren.» Da ist er, der ganzheitliche Ansatz: «Ich bin der festen Überzeugung, dass kulturelle Bildung und Teilhabe wesentliche Schlüssel zur Entwicklung unserer Gesellschaft sind.»
Das sind grosse Worte. Doch Christine Bouvard Marty kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie auf vielfältige Weise entsprechende Erfahrungen gemacht hat. Für sie steht fest, dass Kultur den Zusammenhalt der Gesellschaft fördert. Über verschiedene Kulturformen – auch vermehrt dank dem Austausch über Nationalitäten hinaus – gelingt es ihrer Meinung nach, Aufmerksamkeit und Verständnis zwischen Generationen, zwischen Stadt und Land, zwischen professioneller und Amateurkultur zu wecken. Ein Schwarz-Weiss-, Elite-Laien- oder Hotspot-Provinz-Denken sind ihr fremd.
Die Sprache der Kultur verstehen
Ein solch breiter Zugang zu Kultur aber muss erlernt werden, Menschen müssen den Zugang dazu finden können. Dazu braucht es Vermittlung. «Wir müssen die Sprache der Kultur verstehen lernen.» Nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit der Studie des Bundesamts für Kultur über den Einfluss der Urbanisierung auf die Kulturförderung (siehe Kasten ) wurde für die Gemeindepolitikerin klar: «Wir haben es in der Hand, die Gesellschaft über den Zugang zu Kultur zu gestalten. Und ja, es ist die öffentliche Hand, die diesen Zugang für alle gewährleisten muss. Und das kostet Geld.» Denn, davon ist Christine Bouvard Marty überzeugt, der Zugang zu Kultur und Kulturvermittlung dürfe nicht vom Einkommen der Familien oder vom Wohnort abhängen.
Der Frage des Berner Ständerats Hans Stöckli (SP), welche Unterschiede zwischen den Kulturräumen der Stadt, Agglomeration und Landschaft bestehen und ob sich daraus Anforderungen für die Kulturförderung ergeben, hält Christine Bouvard Marty nicht zuletzt aus ihrer breiten Erfahrung mit Kulturschaffen im ländlichen Raum eine differenzierte Antwort entgegen. Eine hohe Mobilität ermöglicht es der ländlichen Bevölkerung problemlos, professionelle Kultur in Städten zu besuchen. Auf dem Land umgekehrt würden regionale Kultureinrichtungen ebenso bedeutende Aufgaben übernehmen.
Regionale Kulturzentren haben grossen Wert
Nebst den grossen Traditionen bieten regionale Kulturzentren Zugang zu bildender oder darstellender Kunst, die für das Publikum vor Ort ein reichhaltiges Angebot schafft – was wiederum den Zusammenhalt der Gemeinschaft im ländlichen Raum stärke. Dafür müsse in einer Gemeinde oder Region entsprechend Infrastruktur zur Verfügung gestellt und Geld in die Hand genommen werden, sagt Christine Bouvard Marty. Man kann sich leicht vorstellen, mit welchem Engagement sie sich in einer Gemeinderats- oder Kommissionssitzung dafür stark macht.
Früh hat Christine Bouvard Marty Interesse daran bekommen, wie andere Menschen ihre Umgebung wahrnehmen und das Geschehen verarbeiten. So ist sie in Kontakt mit Kunst- und Kulturschaffenden gekommen und hat dabei viel mehr über «den Menschen» gelernt als durch lange Abhandlungen. Darum ist es für sie wichtig, während und sicher auch wieder nach den politischen Jahren, hinzugehen und zu schauen, wenn Kultur einen Beitrag dazu leistet, die Gesellschaft zusammenzuhalten.
Zur Person
Christine Bouvard Marty, 62 Jahre, zwei erwachsene Kinder. Während 20 Jahren führte sie eine eigene Praxis als klinische Heilpädagogin für Lern- und Erziehungsberatung.
Seit 2015 ist sie Gemeindepräsidentin von Schüpfheim (Kanton Luzern), in der CVP und amtet als Vizepräsidentin der UNESC- Biosphäre Entlebuch sowie als Präsidentin der Trägerschaft Entlebucherhaus – Haus der Kultur, Schüpfheim. Seit 2011 ist sie zudem Präsidentin des Verbands Musikschulen Schweiz, und von 2018 bis 2021 war sie Vizepräsidentin der Europäischen Musikschulunion.
Sie ist zudem Mitglied der Arbeitsgruppe für die Studie des Bundesamts für Kultur über den Einfluss der Urbanisierung auf die Kulturförderung (Motion SR Hans Stöckli, Bern).
Informationen:
* «Das klingende Tal», Geschichte der Musik, des Musizierens und der musikalischen Institutionen im Entlebuch, ISBN 978-3-907821-59-6
Aktuelle Studien zu Gemeinden und Kultur
Das Bundesamt für Kultur hat im Juli 2021 eine Studie über den Einfluss der Urbanisierung auf die kantonale und kommunale Kulturförderung publiziert. Die Studie beschreibt die unterschiedlichen Ausrichtungen der Kulturförderung auf kommunaler und kantonaler Ebene und zeigt auf, wie der Austausch zwischen den Funktionalräumen verbessert werden kann. Dazu hat die Schweizer Gemeinde ein ausführliches Interview mit Christine Bouvard Marty geführt.
Mitte September 2021 ist zudem der Leitfaden «Förderung kultureller Teilhabe» des Nationalen Kulturdiaglos (NKD) veröffentlicht worden. Er richtet sich an private und öffentliche Kulturförderstellen und bietet konkrete Empfehlungen und Instrumente für eine effektive und nachhaltige Förderung der kulturellen Teilhabe. Der Leitfaden ergänzt das 2019 vom Nationalen Kulturdialog herausgegebene Handbuch Kulturelle Teilhabe. Der Nationale Kulturdialog wurde 2011 ins Leben gerufen und vereinigt Vertreter und Vertreterinnen der politischen Instanzen und der Kulturförderung der Kantone, Städte, Gemeinden und des Bundes. Seine Arbeit basiert auf einer Vereinbarung aus dem Jahr 2011 und dem für die jeweilige Periode verabschiedeten Arbeitsprogramm. Die politischen Instanzen bilden das strategische Steuerungsorgan des Nationalen Kulturdialogs mit dem Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI), Vertretern und Vertreterinnen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), des Schweizerischen Städteverbands (SSV) und des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV).
Die Publikation ist auf Deutsch, Französisch und Italienisch erhältlich und kann beim Bundesamt für Kultur (BAK) bestellt werden. Zudem ist der Leitfaden kostenlos als PDF auf der Website des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV) abrufbar.