In allen Gemeinden gilt: Digitalisierung geht nicht ohne Kulturwandel.

Knacknuss Digitalisierung: Fünf Gemeindebeispiele

20.06.2023
6 l 2023

Es ist nicht immer besser, als Erster ein Projekt aufzugleisen. Dies gilt auch bei der Digitalisierung in den Gemeinden, wie unsere Beispiele zeigen. Unabdingbar ist vorerst ein Kulturwandel.

Mal ganz oben auf der Woge, mal ziemlich überrollt. Die Schweizer Gemeinden haben die Digitalisierungswelle bisher sehr unterschiedlich gemeistert. Laut der jüngsten Umfrage von Myni Gmeind sieht sich ein Drittel der Gliedstaaten vorne dabei, zwei Drittel kämpfen um den Anschluss. Einige Gemeinden haben uns einen Einblick in ihre Digitalisierungsstrategien gegeben.

Oberwil: Ein grosser Schritt vorwärts

In der Basellandschäfter Gemeinde Oberwil hat Michèle Schlienger, Leiterin Finanzen und Mitglied der Geschäftsleitung, die Fäden in der Hand. Nach ihren Angaben hat die Gemeinde Oberwil gerade einen grossen Schritt in der Digitalisierung vorgenommen: «Die gesamte IT-Infrastruktur ist erneuert worden, und wir arbeiten jetzt mit modernen Arbeitsgeräten. Alle Mitarbeiter haben einen Laptop als Arbeitsgerät, und die Telefonie läuft mit Headset über VoIP.»

Schon vor vier Jahren hat die Gemeinde Oberwil die elektronische Geschäftsverwaltungssoftware eingeführt, in der alle Daten elektronisch aufbewahrt, bewirtschaftet sowie archiviert werden können. «Im Bereich der Einwohnerdienste arbeiten wir kontinuierlich am Ausbau der Dienstleistungen, die wir elektronisch anbieten können», sagt Michèle Schlienger.

Biberist: Ohne Kulturwandel geht es nicht

Laut Experten ebenfalls eine Vorreitergemeinde in der Digitalisierung ist Biberist (SO). Urban Müller Freiburghaus, Verwaltungsleiter der Einwohnergemeinde, ist zurückhaltender: «Wir stehen mittendrin. Vieles ist getan, einiges gehen wir noch an, und im Bereich Business Intelligence (BI) müssen wir noch eine Menge dazulernen und investieren.»

Doch Biberist arbeite seit Jahren daran, so viele Prozesse wie möglich digital abzuwickeln, und nutze die Angebote, die Kanton und Bund sowie Private zur Verfügung stellten: «Digitalisierung ist aber nicht damit getan, von der Schreibmaschine und dem Notizblock zum PC, Laptop oder Tablet zu wechseln; Digitalisierung benötigt zunächst einen Kulturwechsel», betont der Verwaltungsleiter. Dabei stünden die Optimierung der Abläufe und Prozesse sowie die Vermeidung von Doppelspurigkeiten im Vordergrund.

Die Finanzierung bei gemeinsamen Projekten von Kanton und Gemeinden ist in Biberist wie folgt geregelt: Der Kanton verrechnet die Leistungen oft nach Schlüsselprinzip (etwa gemäss Anzahl Einwohner/Steuerobjekten usw.). Leider diktiere der Kanton auch oft, welche Software genutzt werden müsse. Die Gemeinden müssten dann für die Schnittstellenbereinigungen selbst aufkommen. 

Zug: Klare Regeln

In der Stadt Zug werden laut Dieter Müller, Leiter Kommunikation, grundsätzlich alle Digitalisierungsprojekte von der Informatikabteilung geführt und auch dort budgetiert. Über das Budget befinden die Geschäftsprüfungskommission und letztlich das Stadtparlament, der Grosse Gemeinderat.

Klar geregelt ist auch die Finanzierung: Bei gemeinsamen Projekten der Gemeinden, die zusammen mit dem Kanton Zug in Angriff genommen werden, gilt die Finanzierungsregel 60 Prozent Kanton und 40 Prozent Gemeinden. Dabei richten sich die Anteile der Gemeinden auch noch nach der Einwohnerzahl.

 Le Locle: Noch ohne Digitalisierungsstrategie

In der Gemeinde Le Locle (NE) werde der Bedarf von Fall zu Fall analysiert, da leider keine langfristige Digitalisierungsstrategie bestehe, klagt Eldin Turkanovic, Finanzverantwortlicher der Gemeinde. «Deshalb haben wir uns entsprechend den branchenspezifischen Anforderungen weiterentwickelt.»

Über das kantonale Portal «Sicherer One-Stop-Shop» biete der Kanton Neuenburg bereits Dienstleistungen für alle Bürger des Kantons in den verschiedenen Bereichen an, etwa Steuerdossiers, Autoservice, Strafverfolgung usw.

Zur Digitalisierung der allgemeinen Verwaltung hat Le Locle erst eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, Lösungen wurden noch keine umgesetzt.

Kundenspezifisch sind in den letzten Jahren mehrere Lösungen eingeführt worden, etwa die Lieferantenrechnungen, E-Rechnungen, Sozialhilfeakte und Einwohnerregister. Weitere Projekte werden laufend umgesetzt, beispielsweise die Debitorenrechnungen und Patientendossiers.

Die Finanzierung gemeinsamer kantonaler und kommunaler Projekte ist wie folgt geregelt:

Wenn es sich um ein kommunales Projekt handelt, geht die gesamte Investition zulasten der Gemeinde.

Bei einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Kanton trägt dieser die Investition gegen eine jährliche Gebühr pro Dossier oder Einwohner, die die Gemeinde zu berappen hat.

Solothurn: Grosser Nachholbedarf

Die Stadtpräsidentin von Solothurn, Stefanie Ingold, gibt es offen zu: «Auch wir stehen vor einem grossen Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung». Es brauche jedoch viel mehr Verständnis für die Thematik, vor allem von den Entscheidungsträgern, da auch bestehende Prozesse und Organisationen überdacht werden müssen. Dieses Verständnis zu vermitteln, sei eine sehr wichtige Aufgabe. Um diese Sensibilisierung zu erreichen, wurden Verwaltungsleitende und weitere Kaderleute zum Digitalisierung-Seminar «Digital-Pionier» aufgeboten, das durch den Kanton Solothurn angeboten wird und bei dem auch der Schweizerische Gemeindeverband beteiligt ist.

Ein weiterer Impuls kommt vom im März 2022 ins Leben gerufenen IKT-Ausschuss. Dieser besteht aus Vertretern aller Verwaltungsabteilungen und hat die Aufgabe, Vorschläge zu erarbeiten und Potenziale aufzuzeigen. In die Diskussion fliessen so Informationen aus dem täglichen Betrieb ein. Dieser breit gefächerte Input ermöglicht die Ermittlung des echten Bedarfs. Die Finanzierung wird dann im ordentlichen Budgetverfahren geprüft.

Und wo liegen nach Ansicht der Stadtpräsidentin die grössten Knacknüsse? «Die Gemeinden unterliegen in vielen Bereichen Vorgaben von Bund und Kanton. Ohne diese Informationen bleiben die Rahmenbedingungen unklar (zum Beispiel digitale Unterschriften). Eine bessere Koordination und Information zuhanden der Gemeinden ist unabdingbar.»

Fredy Gilgen
Freier Mitarbeiter