Jugendliche erobern die Gemeinderäte
Die Gemeinderatssäle der Schweiz verjüngen und den Jugendlichen in ihrer Gemeinde eine Stimme geben: Das ist das Ziel der «Mission takeover!», die den Jugendparlamenten die Türen zu den Gemeinderatssälen öffnet.
2019 hat als Jahr der Milizarbeit erneut aufgezeigt, dass junge Erwachsene Mangelware im Schweizer Milizsystem sind, insbesondere in den Exekutiven. Das hat verschiedene Gründe – zu wenig Zeit aufgrund von Hobbys, Arbeit oder Familie; zu grosse Belastung bzw. Verantwortung oder zu wenig Wissen über die Politik oder den Bewerbungs- und Kandidaturprozess sind nur einige davon*. Deshalb wurde das Gespräch mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen gesucht und Diskussionsrunden zur Nachwuchsproblematik im Milizsystem anlässlich der Soirée Politique 2019 des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente DSJ eröffnet. Zusammen kam dabei über ein Dutzend Reformvorschläge für das Schweizer Milizsystem von Jungpolitikerinnen und Jugendparlamentariern. Kurz, Jugendliche haben Ideen, diese müssen nur gehört werden.
Ready, set, takeover!
Aus diesem Grund starteten der Bereich youpa sowie der Bereich Grundlagen Politische Partizipation GPP des DSJ im Jahr 2020 die «Mission takeover!». Ziel ist es dabei, Jugendliche in ihren Gemeinden mit Gemeinderätinnen und Gemeinderäten zusammenzubringen und in dieser Konstellation Reformvorschläge für das Milizsystem zu diskutieren. Die Jugendlichen übernehmen dabei sinnbildlich den Gemeinderat und zeigen den Alteingesessenen, was sie sich wünschen. So findet ein direkter Generationenaustausch statt, und Nachwuchsprobleme im Milizsystem können an der Wurzel gepackt werden.
Neun Jugendparlamente meldeten sich für die Arbeitsgruppe, und acht Takeovers wurden in verschiedenen Regionen der Schweiz in Angriff genommen. Von Genf nach Luzern über den Broye-Bezirk und Bern sind Takeovers in Gemeinden vorgesehen.
Die Gemeinde aktiv mitgestalten
Ein idealtypischer Takeover ist dreigeteilt. Er startet mit einem Vortrag zu den Wünschen und Ideen der Jugendparlamentarier für das Schweizer Milizsystem. Was müsste sich ändern, damit sie als junge Menschen für den Gemeinderat kandidieren würden? Mangelt es in den Augen der Jugendlichen an der Anerkennung für das ehrenamtliche Engagement? Und müssten die Dokumente für die Ausführung eines Amtes digital zur Verfügung stehen? Diese und weitere Fragen können von den Jugendparlamenten zu Beginn des Takeovers in einer Präsentation angegangen werden. Nach dieser sollen Mitglieder der Jugendparlamente an einer Gemeinderatssitzung teilnehmen und sich zu Traktanden einbringen oder Rückfragen stellen können. Zum Schluss bietet ein informeller Austausch die Gelegenheit, weitere drängende Fragen anzusprechen. Die «Mission takeover!» schafft es so, einen generationenübergreifenden politischen Austausch auf Gemeindeebene herzustellen und den Jugendlichen aufzuzeigen, dass sie die Politik in ihrem direkten Umfeld aktiv mitgestalten können.
Jugendliche «Übernahme» des Ständerats und der Gemeinderäte in Brig-Glis und Yverdon
Der erste Takeover geht als festlicher Auftakt in die Jupa-Geschichtsbücher ein. Er fand mit 16 Jugendparlamentariern im Ständeratssaal statt und wurde von keinem Geringerem als dem damaligen Ständeratspräsidenten Hans Stöckli begleitet. Bei seiner Begrüssungsrede im Ständerat hiess Herr Stöckli die Jugendparlamentarierinnen herzlich willkommen: «Es sind junge Menschen, die sich einbringen wollen bei uns. Die nach Wegen suchen, um das Milizsystem zu verbessern und die darauf bedacht sind, die Bedürfnisse junger Menschen zu thematisieren.» Die Jugendlichen löcherten den Ständeratspräsidenten beim gemeinsamen Mittagessen mit Fragen und postulierten ihre Wünsche für ein zukunftsfähiges Schweizer Milizsystem.
Auch in Brig-Glis stellten sich Gemeindevertreter wie Vizepräsident Patrick Amoos den Ideen und Wünschen der Jugendlichen. Am Takeover entstanden Forderungen wie die Unterstützungshilfe zum Wählen auf kommunaler Ebene, das Einsetzen einer Anlaufstelle, die Jugendlichen Infos liefert über Möglichkeiten zu einem Engagement, sowie die kantonale Verankerung von 30 Minuten politischer Bildung in der Schule pro Woche.
Der Conseil des Jeunes d’Yverdon diskutierte in einer Onlinediskussion u.a. mit Jean-Claude Ruchet von der Gemeindeexekutive, wie der Jugendrat besser und frühzeitig in die politischen Geschäfte der Gemeinde einbezogen werden könnte. Es wurde die Forderung gestellt, dass der Conseil des Jeunes d’Yverdon Sitze in der Schulkommission, der Kulturkommission und der Kommission Agenda 21 erhalten soll.
Aus den drei Anlässen resultierten wichtige Anliegen, die nun von den Politiker im Ständerat und auf Gemeindeebene weiterverfolgt werden können, um das Milizsystem für Jugendliche attraktiver zu machen. Es bleibt trotz COVID-19-Pandemie zu hoffen, dass auch die weitere motivierte Jugendparlamente noch die Gelegenheit erhalten, ihren Gemeinderat für einen Tag «zu übernehmen» und die Sicht der Jugendlichen einzubringen.
*Derungs, Cudrin und Dario Wellinger. 2019. PROMO 35. Politisches Engagement von jungen Erwachsenen in der Gemeindeexekutive – Analysen und Stossrichtungen. Chur: HTW Chur Verlag.