Ittigen und Muri-Gümligen: Gut beraten mit Kreislaufwirtschaft
Vermeiden, teilen, wiederverwenden oder reparieren – Kreislaufwirtschaft hat viele Gesichter. Wo soll eine Gemeinde beginnen, welche Massnahmen bieten sich an? Zwei Gemeinden berichten von ihren Erfahrungen.
Um netto null Emissionen zu erreichen, führt kein Weg an ihr vorbei: der Kreislaufwirtschaft. Denn einen grossen Teil unseres Fussabdrucks verursacht der Konsum. Ob der Bürotisch in der Gemeindeverwaltung, der Asphalt in den Strassen oder das Essen im Pflegeheim – wir kaufen Güter, Materialien und Lebensmittel ein, deren Herstellung, Transport und Entsorgung viele Treibhausgase verursacht. Je nach Schätzung und Betrieb machen diese indirekten Emissionen zwischen 40 und 50 Prozent unserer CO2-Emissionen aus. In der heutigen Klimapolitik stehen deshalb nicht mehr nur die Energieversorgung oder die Mobilität im Fokus. Unser Handeln muss bei allen Produkten ansetzen: Ihre Herstellung muss ressourceneffizient sein, sie sollten so lange wie möglich im Lebenszyklus bleiben, und die Materialkreisläufe müssen geschlossen werden.
Genau das hat sich Reffnet, das Schweizer Netzwerk für Ressourceneffizienz, auf die Fahne geschrieben. Mit Unterstützung des Bundesamts für Umwelt (Bafu) bietet Reffnet seit 2014 kostenlose Beratungen zur Ressourceneffizienz für Unternehmen an, und nun sollen vermehrt auch Gemeinden von diesem Angebot profitieren. In einer Beratung erhalten Gemeinden eine Potenzialanalyse und einen Massnahmenplan mit ausgewiesener Umweltwirkung.
Erfolgreiches Pilotprojekt
Auf Initiative des Direktors des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV), Christoph Niederberger, hat der Reffnet-Experte Philipp Rufer von der Nachhaltigkeitsberatungsfirma Punkt Rufer AG ein Pilotprojekt durchgeführt. Gemeinsam mit den beiden Berner Gemeinden Ittigen und Muri-Gümligen erarbeitete er je eine Potenzialanalyse und identifizierte Massnahmen zur Stärkung der Ressourceneffizienz und der Kreislaufwirtschaft. Heidi Schlosser, Fachbereichsverantwortliche Umwelt in Ittigen, erinnert sich: «Unsere Gemeinde besitzt ein Umweltzertifikat nach ISO 14001. Wir hatten uns bereits mit Themen wie der nachhaltigen Beschaffung befasst und waren der Meinung, dass sich die Kreislaufwirtschaft gut in unser Umweltmanagement integrieren liesse.»
Enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde
Den Auftakt der Potenzialanalyse machten Workshops, bei denen die Gemeindevertreterinnen und -vertreter ihre Ideen zur Kreislaufwirtschaft einbrachten. Resultat war eine Vielzahl von möglichen Massnahmen in Bereichen wie Strassenbau, Hochbau oder Baumaterialien.
Im Anschluss wurden für die beiden Gemeinden drei Massnahmen ausgewählt und als Projektskizzen ausgearbeitet, mit entsprechender Bewertung der Umweltwirkung. Nachdem Rufer von den Gemeinden die dazu relevanten Eckdaten – zum Beispiel die Anzahl Kandelaber oder die Menge an entsorgten Haushaltsgegenständen – erhalten hatte, schätzte er die Ressourcenmenge ab und berechnete die Umweltwirkung in Form einer Ökobilanzierung. Reffnet verwendet zu diesem Zweck die vom Bafu entwickelte Methode der ökologischen Knappheit, bei der die Wirkung von Nachhaltigkeitsmassnahmen in Umweltbelastungspunkten und CO2-Äquivalenten ausgewiesen wird. Somit kann zum Beispiel ein Gemeinderat im Entscheidungsprozess die Wirkung von verschiedenen Massnahmen vergleichen.
Vielfältige Massnahmen, die sich lohnen
Ob Agglomeration, Land oder Stadt: Die Massnahmen werden jeweils für jede Gemeinde individuell zusammengestellt. Es gibt aber gewisse Stellschrauben in Gemeinden mit überproportionalem Potenzial – so griffen beide Pilotgemeinden Infrastrukturthemen auf, die grosse Mengen an Ressourcen betreffen. Gute Beispiele sind der Strassenbau, wo in Zukunft im Tiefbau auf Recyclingasphalt gesetzt werden soll, oder die Wiederverwendung von Bauteilen wie Randsteinen oder Fenstern. «In Muri-Gümligen werden wir im Rahmen des Sanierungsprojektes der öffentlichen Beleuchtung von über 1000 Kandelabern 78 Prozent wiederverwenden, 19 Prozent wiederaufbereiten oder erhöhen und nur 10 Prozent ganz ersetzen», erklärt Benedict Wyss-Käppeli, Fachbereichsleiter Energie. «Diese Wiederverwendung beziehungsweise Wiederaufbereitung reduziert gegenüber einer Neubeschaffung die Umweltbelastung markant.» Um gleichzeitig Energie zu sparen, wird die Gemeinde bis 2028 über 1000 Leuchtpunkte auf den Kandelabern durch LED-Leuchten ersetzen und Bewegungssensoren installieren.
Bei beiden Gemeinden ist die Wiederverwendung von Mobiliar ein Thema – in Muri-Gümligen bei der Sanierung des Gemeindehauses oder in Ittigen im Kindergarten. Beide Gemeinden sensibilisieren zudem die Bevölkerung: In Ittigen soll sie in einem Repair-Café ihre Besitztümer flicken lassen können und sie somit länger nutzen. Schlosser erklärt: «Unsere Nachbargemeinde Stettlen betreibt bereits eine solche Einrichtung, der wir uns möglicherweise anschliessen können. So liessen sich die bereits vorhandenen Geräte und Maschinen teilen – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit.» In Muri-Gümligen bietet die reformierte Kirchgemeinde bereits heute viermal jährlich ein Repair-Café an.
«In Muri-Gümligen werden wir von über 1000 Kandelabern 78 Prozent wiederverwenden, 19 Prozent wiederaufbereiten oder erhöhen und nur 10 Prozent ganz ersetzen.»
Konkrete Möglichkeiten
Muri-Gümligen hat bereits 2021 die Reffnet-Beratung in Anspruch genommen, in Ittigen war es Ende 2022 so weit. Schlosser erinnert sich: «Es war sehr interessant und zeigte uns vielfältige, konkrete Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft auf. Bewusst wollten wir kein jahrelanges Projekt anreissen, das dann vielleicht versandet.» Auch Wyss-Käppeli zieht eine positive Bilanz: «Das Reffnet-Pilotprojekt war sehr kompakt und motivierend und gab einen Anstoss, Kreislaufaspekte in den Projekten und Beschaffungsprozessen mitzudenken.» Eine Reffnet-Beratung würden beide Gemeinden jederzeit anderen Gemeinden weiterempfehlen.
Und wie sieht es mit den Kosten aus? Der finanzielle Aspekt einer Massnahme ist ebenso wichtig wie der ökologische. Hier habe die Kreislaufwirtschaft gute Karten, sagt Experte Philipp Rufer. Sprich: Zirkuläre Lösungen sind meist kostengünstiger. Ein vergleichbares Pilotprojekt der SBB mit aufbereiteten, neu feuerverzinkten Fahrleitungsmasten kam 23 Prozent günstiger zu stehen als ein Komplettersatz mit Neukauf – bei 80 Prozent geringerer Umweltwirkung.