Wasserschleier auf der Vorstadtbrücke in Dietikon, Kirchstrasse. Eine Klanginstallation nach der Idee von Andres Bosshard, realisiert im Mai 2022.

Im Einklang mit dem Limmattal?

02.08.2023
7-8 l 2023

Ein Wasserschleier als temporäre Installation bringt neue Qualität in den suburbanen Raum. Die heutige Zeit braucht wieder solche mobilen Versatzstücke, die Identität stiften und den Geist des Ortes zum Ausdruck bringen. Nach Ideen des Künstlers Andres Bosshard wurden im Mai 2022 Klangerlebnisse der besonderen Art installiert, zum Beispiel auf der Vorstadtbrücke in Dietikon.

Das Projekt «Ruheorte.Hörorte» ist Teil der Regionalen Projektschau Limmattal (Regionale 2025) und wird mitunter als Modellvorhaben für «Nachhaltige Raumentwicklung 2020–2024» vom Bund unterstützt. Das Vorhaben soll zukunftsweisend für das Limmattal sein, denn das Tal leidet unter einem rasanten Wachstum. Ziel des Projekts ist, die Wertschätzung der landschaftlichen und akustischen Qualität des Limmattals zu fördern, mit Fokus auf den Erholungsraum entlang des Flusses. Die Erfahrungen sind ermutigend, sie könnten übertragbar sein auf andere suburbane Räume oder Agglomerationen.

Alles fliesst

Womit identifizieren sich aktuell die Bewohner im Limmattal? Wo alles fliesst, in Bewegung ist und rauscht – der Strassen- und Schienenverkehr, der Luftverkehr von und nach Zürich und selbst das Wasser der Limmat und der Reppisch. Jedenfalls noch dort hörbar, wo es nicht kanalisiert wurde. Zürich hat einen seiner Identifikationsorte beim Hafen Enge auf dem Zürichsee, das Aquaretum. Auch Genf hat seine Fontäne, bringt das Wasser sogar noch höher hinaus. Vielleicht gelingt Identifikation gerade so: das Wasser nach oben pumpen, wie derzeit ebenfalls aus der Reppisch auf die Vorstadtbrücke in Dietikon. Hier hat Bosshard in Zusammenarbeit mit dem Metallatelier ein temporäres Objekt, einen vertikalen Wasserschleier, entworfen, der ganz bewusst mitten auf einer Brücke steht, um eine überraschende Begegnung mit diesem Ort anzuregen. 

Was auf den ersten Blick absurd wirkt, hat System: Unten fliesst die Reppisch, die etwas weiter entfernt in die Limmat mündet. Doch oben auf der Fuss- und Velobrücke rauscht das Wasser in Augenhöhe. Die schlanke Konstruktion des Wasserschleierobjekts teilt die Brücke der Länge nach in zwei Hälften. Der rechteckige Rahmen aus Metall spannt auf sechs Metern Länge ein knapp drei Meter hohes Edelstahlnetz, das von oben mit dem aus der Reppisch stammenden Wasser berieselt wird. So entsteht die lebhafte und hörbare Oberfläche des Schleiers.

Klang und Spiel mit Wassergeräuschen

Laut David Fuchs, dem Hersteller des Objekts, wurde der Wasserschleier wie ein Instrument gestimmt. Das Alphamesh, eine spezielle Art von Edelstahlgeflecht, sowie die Auslassdüsen am oberen Ende des Objekts und die Wassermenge spielen dabei eine Rolle. Zur überraschenden Begegnung der Passanten mit dem Wasser kann beitragen, dass die elektronische Steuerung automatisch den Wasserfluss ändert oder stoppt. Alternativ können sowohl Bosshard wie auch Fuchs und sein Team vom Metallatelier aus der Ferne derartige Änderungen via Internetverbindung spontan auslösen, vielleicht ein Spiel mit den Passanten beginnen – ohne dass die Akteure in der Ferne und die Betrachter vor Ort sich sehen müssen.

Wird die Brücke derart überquert und der Hörort des Klangschleiers aktiv passiert, hat der Lerneffekt des bewussten Hörens und Sensibelwerdens für die akustische Qualität dieses Objekts stattgefunden. Es geht den Projektbeteiligten aber nicht nur um Achtsamkeit. Auch agieren, in Beziehung treten, sich einmischen, den Standpunkt ändern – sowohl physisch als auch von der inneren Einstellung her. So gesehen kann, wer will, in den Wasserschleier handelnd «ein-greifen». Wogegen man vor den grossen Fontänen von Genf und Zürich nur passiv «er-griffen» verharren kann. 

Schalldämmung und Klanggärtner

Fragen, die sich bei solch pathetischer Betrachtung aufdrängen: Ob die Bevölkerung im Limmattal mit einem auf diese Weise identitätsstiftenden Hör- und Ruheort allmählich in «Ein-klang» kommt? Ob Spaziergänge dorthin unternommen werden und Besuchern stolz dieser Wasserschleier gezeigt wird? Ob das Objekt über die Stadt Dietikon hinaus eine Resonanz in der öffentlichen Wahrnehmung erzeugt? In Fachkreisen auf nationaler Ebene ist das Interesse jedenfalls vorhanden. Beat Hohmann, der in der Fachgruppe Klangraumgestaltung im Cercle Bruit Schweiz mitwirkt, nennt den Wasserschleier «attraktive Verwirklichung einer transparenten Schalldämmung, deren schönes Eigengeräusch gleichzeitig Fremdlärm maskieren kann und die zum eigenen Ein-Greifen verlockt». Er hat den Wasserschleier im Spätsommer 2022 besucht und Messungen vorgenommen, veröffentlicht in der Publikation «Mit Brunnen, Bach und Fluss gegen Lärm von Auto, Tram und Bus – Wann und wie können Wassergeräusche den Verkehrslärm erträglicher und den Aufenthalt angenehmer machen?»

Andres Bosshard, der sich selbst gerne als Klanggärtner bezeichnet, ist bereit für den Fall, dass auch andernorts Wassergeräusche gebraucht werden. Denn schon seit zwei Jahrzehnten sorgt er mit seinen Vorlesungen an der Zürcher Hochschule der Künste und der Musikhochschule Luzern für die Ausbildung des Nachwuchses seiner Zunft. Und das könnte sich für die Bevölkerung auszahlen. Denn wenn das Beispiel Dietikon Schule macht, werden in der ganzen Schweiz und weit darüber hinaus solche Klanggärtner gefragt sein.