«Ich mache Politik, um mein Fachwissen einzubringen»
Barbara Schaffner, Gemeinderätin von Otelfingen (ZH), möchte im Oktober als Nationalrätin wiedergewählt werden. Für die GLP-Politikerin sind die beiden Ämter eine gute Ergänzung, um sich für Energie- und Umweltthemen einzusetzen.
Otelfingen (ZH) an einem warmen Sommertag: Die weissen Mauern der Riegelhäuser strahlen in der Mittagssonne, und der Dorfbach gurgelt in seinem Kanal. Eine ländliche Idylle mitten im Ballungsgebiet zwischen Aarau und Zürich. Im grosszügigen Gemeindehaus empfängt Gemeindepräsidentin Barbara Schaffner. Die Grünliberale hat viel los diesen Sommer: Der Wahlkampf zur Nationalratswahl im Oktober ist in vollem Gang. 2019 wurde Schaffner erstmals in den Rat gewählt, nun tritt sie erneut an. «In vier Jahren kann man noch nicht so viel bewirken, und die Covid-Pandemie hat zusätzlich gebremst. Ich möchte in einigen Dossiers weiterkommen, zum Beispiel bei einem Systemwechsel bei der Strassenfinanzierung, im Bereich nachhaltiges Bauen oder bei einer zukunftsgerichteten Energieversorgung», sagt sie.
Strukturiertes Denken
Die doktorierte Physikerin mit einem zusätzlichen Master in Energiewissenschaften engagiert sich vor allem für Energie- und Umweltthemen. «Ich möchte mein Fachwissen in der Politik einbringen. Ich mache nicht Politik um der Politik willen», stellt sie klar. Der naturwissenschaftliche Hintergrund helfe ihr, in ihren Fachbereichen einschätzen zu können, welche Vorschläge realistisch sind und welche nicht.
Das strukturierte Denken, das sie im Physikstudium gelernt hat, vermisst sie manchmal in der Politik. «Man kümmert sich um Details, hat aber keinen Blick fürs grosse Ganze.» Ein Beispiel: «Die Strassenfinanzierung. E-Autos zahlen keine Mineralölsteuer – das wird mit der zunehmenden E-Mobilität zum Problem. Jetzt entwirft man eine Speziallösung für E-Autos, statt sich grundsätzlich zu fragen, wie die Strassen in Zukunft finanziert werden sollen.» Ist das nicht frustrierend für sie? Barbara Schaffner lacht und sagt: «Manchmal schon. In der Politik braucht es eine gewisse Frustrationstoleranz.»
Gute Stimmung im Gemeinderat
Erlebt sie die Politik auf Gemeindeebene ähnlich? Barbara Schaffner überlegt kurz und meint dann: «Auf Gemeindeebene haben wir es mit spezifischen Problemen und Ideen zu tun, die wir sehr praktisch umsetzen können.» Aufgabe des Gemeinderats sei es, diese spezifischen Probleme und Ideen in einem grossen Ganzen zu sehen. Genau dieses Praktische bereitet Barbara Schaffner aber auch Freude. Sie zeigt der «Schweizer Gemeinde» ein kleines Häuschen neben dem Gemeindehaus, das lange leer stand. «Eine Frau kam auf uns zu und suchte einen Ort, um auf Gemeindeboden einen Ort zum Büchertauschen zu schaffen. Wir hatten die Idee, im ungenutzten Häuschen den Büchertausch einzurichten – und konnten dies rasch umsetzen.» Solche Aktionen gelingen auch, weil im Gemeinderat und in der Verwaltung eine gute Stimmung herrsche, wie Barbara Schaffner betont.
Die Gemeindepolitik war nicht ihre erste Station, wie das bei vielen Laufbahnen in der Politik üblich ist. «An der Politik interessiert war ich schon immer. Es geht schliesslich um unser Zusammenleben, unsere Zukunft», erzählt sie. Lange habe ihr aber eine Partei gefehlt. «Umweltthemen sind mir wichtig, ich stehe in der politischen Mitte, bin nicht religiös – bis zur Gründung der GLP gab es da einfach nichts», erinnert sie sich. Bei der Gründung der Zürcher GLP 2004 wurde sie Mitglied, 2011 wurde sie in den Zürcher Kantonsrat gewählt, und ab da ging es los mit der politischen Karriere. 2018 klappte es nicht nur mit der Wahl in den Gemeinderat, Barbara Schaffner wurde auch gleich Gemeindepräsidentin. 2019 folgte der Sprung ins nationale Parlament.
Ämter lassen sich gut vereinbaren
Wird sie im Oktober wiedergewählt, will sie Gemeindepräsidentin bleiben. Das Amt lasse sich gut mit der Arbeit im Nationalrat vereinbaren, sagt Barbara Schaffner. Während der Session ist sie in Bern, Internet sei Dank, kann sie auch ihre Aufgaben als Gemeindepräsidentin gut wahrnehmen. Der zeitliche Aufwand aber ist gross. Ihre berufliche Tätigkeit als Beraterin in Energiefragen hat sie derzeit auf Eis gelegt.
«Auf Gemeindeebene haben wir es mit spezifischen Problemen und Ideen zu tun, die wir sehr praktisch umsetzen können.»
Als Gemeindepräsidentin ist Barbara Schaffner nicht mit einem fixen Pensum angestellt, wie dies in einigen grösseren Gemeinden üblich geworden ist – auch um die Behördenämter attraktiver zu gestalten. Die Gemeinde Otelfingen hatte bisher allerdings keine Probleme, engagierte Leute zu finden: In den letzten Jahren gab es jeweils Kampfwahlen. «Ich denke, wir haben mit rund 3000 Einwohnerinnen und Einwohnern eine gute Grösse. Otelfingen ist klein genug, dass man sich kennt, aber gross genug, dass es genügend Leute gibt, die sich engagieren wollen.» Klar sei aber: Man müsse aktiv auf die Leute zugehen.
Um den Austausch und das Engagement zu fördern, hat die Gemeinde die «AustauschBar» angestossen: Einmal im Monat organisiert ein Verein aus der Gemeinde einen Apéro, zu dem alle Otelfingerinnen und Otelfinger eingeladen werden. «Die AustauschBar ist ein niederschwelliger Anlass, der es ermöglicht, neue Leute kennenzulernen», fasst Barbara Schaffner zusammen. Der Gemeinderat sei jeweils präsent und nutze die Möglichkeit, um mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen.
Der Anlass findet in der historischen Mühle von Otelfingen statt, einem Bijou im Herzen des Dorfes, das Barbara Schaffner der «Schweizer Gemeinde» zum Abschluss des Besuchs zeigt. Das jahrhundertealte Ensemble wurde Mitte des 20. Jahrhunderts sorgfältig renoviert und gehört einer Stiftung, die dort regelmässig kulturelle Anlässe organisiert.
Alter Charme, neue Ideen
Alte Gebäude wie die Mühle machen den Charme von Otelfingen aus. Die Gemeinde ist aber mehr als schöne alte Riegelhäuser. «Wir verbinden hier die Tradition mit Neuem, haben Neubausiedlungen, ein Industriegebiet und sind gerade dabei, ein Gebiet nahe beim Bahnhof zu entwickeln. Wir sind keine klassische Agglomerationsgemeinde, aber sehr nahe an Zürich, der Einfluss der Stadt prägt die Leute hier: Sie sind offen für Neues», beschreibt Barbara Schaffner ihr Dorf, in dem sie seit bald 20 Jahren lebt und dessen Politik sie seit fünf Jahren massgeblich prägt. «Politik zu machen, ist für mich immer noch sehr bereichernd. Es braucht Durchsetzungsvermögen, Flexibilität und eine gute Portion Humor.»
Eidgenössische Wahlen 2023
Am 22. Oktober 2023 wählt die Schweiz ein neues Parlament. Die «Schweizer Gemeinde» begleitet die Nationalrats- und Ständeratswahlen im Vorfeld mit den Porträts von zwei Gemeindepolitikern und einer Gemeindepolitikerin aus allen Landesteilen, die für die nationalen Wahlen kandidieren: Barbara Schaffner aus Otelfingen (ZH) und Alex Farinelli aus Comano (TI, Artikel auf Italienisch), die sich zur Wiederwahl stellen, sowie Vincent Guyon aus Rances (VD, Artikel auf Französisch), der das erste Mal kandidiert. In der Dezemberausgabe wird die «Schweizer Gemeinde» die Ergebnisse der Wahlen dann aus Gemeindesicht analysieren.