«Gute Wanderwege sind ein Verkaufsargument»
In der Gemeinde Flühli hat der Tourismus eine lange Tradition. Es gibt unzählige attraktive Wanderrouten, viele führen durch eine Natur, die mit dem Biosphären-Label der Unesco geschützt ist. Ein Besuch bei den «Heinzelmännchen» der Gemeinde, die dem Gast den Boden bereiten.
«Zu Fuss über saftige Moore und scharfkantige Felsen»: Diese Einladung zum Wandern prangt auf der Website von Flühli im luzernischen Entlebuch. Aber saftig? Das ist Anfang Juni bei unserem Besuch bei den Wegmachern der Gemeinde doch eine krasse Untertreibung. Schlammig, rutschig, matschig ist der Boden nach Tagen des Dauerregens, die Raupe des kleinen gelben Baggers und die schweren Schuhe der Arbeiter sind dick mit Dreck verschmiert. «Man darf sich nicht davor scheuen, schmutzig zu werden», nickt Beat Felder, der sich im Auftrag der Gemeinde Flühli um den Unterhalt der Wanderwege kümmert. Der 62-Jährige sagt es mit einem bedächtigen Schmunzeln, und auch die fröhlichen Gesichter der beiden Gemeindemitarbeiter zeigen: Trotz schwerem körperlichem Einsatz und garstigen Wetterverhältnissen sind sie mit Elan bei der Arbeit. Markus Zihlmann und Reto Felder hieven gerade zwei lange, von ihrer Rinde befreite Baumstämme aus dem Wald und schichten sie an den Wegrand, um diesen zu stützen und zu sichern. Die Wanderin, der Wanderer werden im Sommer hinaufspazieren bis zur metallenen Hängebrücke, die sich elegant über die tiefe Chessischlucht spannt. Vielleicht zieht es sie auch hinunter ins Chessiloch, wo der wilde Bach über die Felskante rauscht und zum Wasserfall wird. Ob hinauf oder hinunter: Es denkt vermutlich kaum ein Gast auf seiner Wanderung an die Männer, die sich einige Wochen zuvor für seine Sicherheit und seinen Komfort ins Zeug gelegt haben. Und schon gar nicht an die halsbrecherische Arbeit der beiden jungen Männer, die sich im Chessiloch Stück um Stück in der steilen Felswand abseilen und mit einem Hammer systematisch alle lockeren Bruchsteine aus der Wand klopfen – alle zwei Jahre wird die Wand oberhalb des Wegs gereinigt, um die Wanderer vor Steinschlag zu schützen.
Mit Turnschuhen begehbar
In der Gemeinde Flühli mit ihren Ortsteilen Flühli und Sörenberg hat der Tourismus eine lange Tradition. Das Chessiloch war bereits ein touristischer Anziehungspunkt, als Sörenberg dank seinem «wunderlich heilsamen Wasser» im 16. Jahrhundert zum Badekurort wurde. Es gibt unzählige attraktive Wanderrouten, viele führen durch eine Natur, die mit dem Biosphären-Label der Unesco geschützt ist. Vom Chäs-Chessi-Weg über den Detektiv-Trail zum Emmenuferweg und den «Flower Walk über die grösste Moorlandschaft der Schweiz»: Auf einer Fläche von 108 Quadratkilometern erstreckt sich das Wanderwegnetz auf rund 300 Kilometern. Beat Felder ist seit 35 Jahren im Einsatz. Nachdem er wegen einer Stauballergie seinen Beruf als Schreiner aufgeben musste, hat er zunächst für den Verkehrsverein Spielplätze, Loipen und das Eisfeld unterhalten, später, als der Unterhalt der Wanderwege in die Verantwortung der Gemeinde überging, kam die Arbeit im Auftrag der Gemeinde hinzu.
Rund 500 Stunden jährlich beträgt das Pensum von Beat Felder. Meist bereitet ihm die Arbeit Freude, er arbeitet gerne draussen an der frischen Luft, schätzt die Selbstständigkeit und die Verantwortung für seine Tätigkeit. Ärger gibt es selten, aber es gibt ihn doch, etwa wenn einer der 180 Wegweiser verkrümmt oder versprayt wird. Beat Felder sagt: «Jeder Wegweiser ist ein Unikat, das zwischen 200 und 400 Franken kostet.» Zum Glück sind Vandalenakte eher selten, als allgemeinen Trend hingegen beobachtet Beat Felder, dass die heutigen Gäste anspruchsvoller sind als die «Rotsockenwanderer» von früher. «Es reicht heute nicht mehr, eine schöne Landschaft zu haben. Gute Wanderwege sind ein Verkaufsargument.» Für das Wegstück im Flühli beispielsweise haben die drei Männer im Juni drei Tage lang gearbeitet, haben mit der motorisierten Schubkarre Kies hinaufgefahren, sodass der Weg heute mit Turnschuhen begehbar ist. Und es kommen neue Herausforderungen hinzu. Mutterkühe, Herdenschutzhunde – da brauche es Verhandlungen mit den Bauern für Umleitungen und Anpassungen.
Und natürlich sind die Mountainbiker ein Thema, wie in vielen anderen Tourismusorten auch. Eine regionale Bikekarte soll Wander- und Bikestrecken entflechten, damit es nicht zu Konflikten kommt. Keine einfache Aufgabe in Schutzgebieten wie Moor- und Auenlandschaften und im Karstgebiet, wie Gemeindeammann Hans Lipp auf Anfrage ergänzt. «Insbesondere die Bremsspuren der Biker auf den Wanderwegen sind unterhaltsintensiv. So müssen bei heftigen Regenfällen in den steilen Partien die Wanderwege intensiver instand gestellt werden.»
Wertschöpfung für Gemeinde und Region
Für die insgesamt 300 Kilometer, die unterhalten und instand gestellt werden müssen, wendet die Gemeinde nach Auskunft von Hans Lipp 150 000 Franken jährlich auf. Das sind 1,25 Prozent des Budgets von 12 Millionen Franken. Auch Freiwillige sind im Einsatz, und im Bereich der Markierung helfen die Luzerner Wanderwege. Insbesondere die Erstellung der Hängebrücke über das Chessiloch haben neben den Luzernern auch die Schweizer Wanderwege mit einem Investitionsbeitrag unterstützt. Die Hängebrücke mit Gesamtkosten von 280 000 Franken wurde über die Investitionsrechnung verbucht. Hans Lipp sieht diese Ausgaben im Verhältnis zur Wertschöpfung für die Gemeinde beziehungsweise die Region. Er nennt unter anderem die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Konsumationen in den Bergrestaurants oder im Tal oder die Benützung der Bergbahnen. Insbesondere die Gäste, die auf den E-Mountainbikes unterwegs sind, gehören zur zahlungskräftigen Kundschaft, wie Beat Felder weiss.
Bald wird der Schnee kommen, dann gilt es, Loipen und Schneeschuhtrails zu pflegen. Und im nächsten Frühling und Sommer wird man Beat Felders Equipe wieder antreffen, unten im Tal oder hoch oben auf den Bergwanderwegen, wo sie wie Bauarbeiter am Werk sein werden, wegen der Unzugänglichkeit mit den Materialien vor Ort auskommen müssen oder mit denen, die im Rucksack hinaufgeschleppt worden sind.
Wanderland Schweiz
Über 65 000 Kilometer gut gepflegte Wanderwege erschliessen die schönsten Landschaften der Schweiz – vom Naherholungsgebiet bis zum alpinen Gebirge. Dieses weltweit einzigartige Angebot sei ein Erfolg des Verbands Schweizer Wanderwege mit seinen 26 kantonalen Wanderwegorganisationen und schweizweit über 1500 Freiwilligen, schreibt der Verband in einer Anfang Oktober veröffentlichten Medienmitteilung. Seit 1934 setzt sich der Verband für attraktive, sichere und einheitlich signalisierte Wanderwege in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein ein: «Er erfüllt damit einen Leistungsauftrag des Bundesamts für Strassen (ASTRA), basierend auf dem Bundesgesetz über Fuss- und Wanderwege.»
Wie beliebt Wandern in der Schweiz ist, zeigt die Studie «Wandern in der Schweiz 2020»*: 2019 waren rund vier Millionen Schweizerinnen und Schweizer auf den Wanderwegen unterwegs. Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung nutzt die signalisierten Wanderwege regelmässig. Jeder fünfte Nichtwandernde nutzt die Wanderwege im Laufe eines Jahres für andere Sportarten. Im Winter sind zudem 20 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer auf den pink signalisierten Winterwanderwegen und acht Prozent auf den ausgeschilderten Schneeschuhrouten unterwegs.
Aufgabe der Kantone und Gemeinden
Für die Finanzierung von Planung, Bau und Unterhalt von Wanderwegen sind gemäss Bundesgesetz über die Fuss- und Wanderwege die Kantone und die Gemeinden zuständig. Oft wird diese öffentliche Aufgabe von den Kantonen an die Gemeinden delegiert, für die Bau und Unterhalt teils grosse Kosten verursachen. Gerade ländlichen Gemeinden mit einem grossen Wegnetz fehlen nicht selten das Geld und die personellen Ressourcen, um wichtige Wegstrecken zu bauen oder zu sanieren. Der Dachverband Schweizer Wanderwege bietet hierfür Unterstützung und zusätzliche Fördermittel.
Ausbildung
Der Dachverband Schweizer Wanderwege bietet zudem Kurse für den Bau und Unterhalt von Wanderwegen an. Die Grundausbildung richtet sich an Gemeindeangestellte und Mitarbeitende der kantonalen Wanderweg-Fachorganisationen, die für Bau und Unterhalt von Wanderwegen (und Mountainbikerouten) verantwortlich sind. Der Kurs steht auch leitenden Zivilschutz-Mitarbeitenden offen. Der Basiskurs vermittelt die erforderlichen Kenntnisse für den Bau und Unterhalt von Wanderwegen aufgrund der Richtlinien des Verbands Schweizer Wanderwege und gemäss den geltenden Unterlagen (Schweizer Norm, Vollzugshilfen). Die Teilnehmenden kennen nach Kursabschluss die Anforderungen an die Wegkategorien, sind über haftungsrechtliche und arbeitssicherheitsrelevante Grundlagen informiert und in der Lage, unterschiedliche Arten der Entwässerung korrekt umzusetzen. Weitere Bestandteile des Kurses sind Stufen/Tritte, Zaundurchgänge und der Wegunterhalt/-bau von gemeinsam genutzten Wegen (Mountainbike). Der Kurs besteht etwa zur Hälfte aus praktischen Arbeiten im Gelände und zur anderen Hälfte aus theoretischen Inputs.
* Die Studie wurde 2019 noch vor Ausbruch von Corona durch das Bundesamt für Strassen (ASTRA) und dem Verband Schweizer Wanderwege in Kooperation mit der Stiftung SchweizMobil durchgeführt.
www.schweizer-wanderwege.ch