Gute Betreuung hat auch das psychosoziale Wohlbefinden älterer Menschen im Blick.

Gute Betreuung im Alter für alle ist machbar

20.06.2022
6 | 2022

In der Schweiz sind 620’000 ältere Menschen auf Betreuung angewiesen, doch nicht alle können sich diese leisten. Eine von der Paul Schiller Stiftung herausgegebene Studie zeigt, was gute Betreuung kostet und wie diese finanziert werden könnte.

Der Handlungsbedarf in der Betreuung im Alter zeichnet sich immer deutlicher ab. Aufgrund der demografischen Entwicklung werden im Jahr 2050 doppelt so viele über 80-Jährige in der Schweiz leben als heute. Jeder zehnte Einwohnende wird über 80 Jahre alt sein. Damit nimmt auch die Zahl jener stark zu, die eine psychosoziale Betreuung benötigen, um möglichst lange selbstständig ihren Alltag zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

Schon heute ist der Bedarf an zusätzlicher Betreuung gross. Potenziell fehlt es mehr als 620’000 Menschen über 65 Jahren an Unterstützung. Dies belegt die von BSS Volkswirtschaftliche Beratung erarbeitete Studie «Gute Betreuung im Alter – Kosten und Finanzierung». Es fehlen 20 Millionen Betreuungsstunden. Dies entspricht einem Gegenwert von 0,8 bis 1,6 Milliarden Franken.

Betreuungsgeld für Betreuungszeit ermöglicht Altern in Würde

Gute Betreuung lässt sich bedarfsgerecht für alle älteren Menschen in der Schweiz finanzieren. Die von der Paul Schiller Stiftung publizierte Studie zeigt mehrere Modelle auf. Eine Möglichkeit ist ein Betreuungsgeld, das Stundenkontingente für Menschen mit Betreuungsbedarf vorsieht – und so die finanzielle Belastung für die Betroffenen reduziert. Und zwar unabhängig davon, ob jemand zu Hause oder in einem Heim lebt.

Zudem finanziert das Modell den Ausbau und die Qualitätssicherung des Betreuungsangebots und stärkt die aufsuchende Arbeit. So erhalten auch ältere Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln Zugang zu qualitativ guten Betreuungsleistungen und können möglichst lange selbstständig, eigenbestimmt und mitten in der Gesellschaft leben. Mit dem skizzierten Finanzierungsmodell können die heutigen Lücken geschlossen werden.

Die Betreuungslücke wirkt sich auf den Arbeitsmarkt aus

Aus volkswirtschaftlicher Sicht besonders wichtig ist auch der Aspekt der Entlastung der betreuenden Angehörigen durch gute, zugängliche Betreuungsangebote. So bleibt die Begleitung der Eltern und Schwiegereltern vereinbar mit dem beruflichen Engagement – das bei den immer noch überdurchschnittlich in Betreuung engagierten Frauen heute oft deutlich höher liegt als früher. Dass wir diese Vereinbarkeit sicherstellen, wird in den nächsten Jahrzehnten genauso wichtig sein, wie es die Bemühungen zur Vereinbarkeit von Kindern und Beruf in den vergangenen Jahrzehnten waren.

Was Gemeinden tun können

Zahlreiche Schweizer Gemeinden verfügen über wertvolles Wissen und Erfahrungen im Bereich gute Betreuung im Alter. Die Paul Schiller Stiftung will die im «Wegweiser für gute Betreuung im Alter» und in der Studie «Kosten und Finanzierung für eine gute Betreuung im Alter in der Schweiz» publizierten Erkenntnisse mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik, Verwaltung und Fachwelt vor Ort prüfen und weiter vertiefen. Den Anfang für diese Reihe von sogenannten Stadtgesprächen haben Thalwil und St. Gallen gemacht: Lokale Fachpersonen haben über bestehende Lücken in der Betreuung und mögliche Lösungen diskutiert. Dabei zeigte sich, dass Gemeinden heute schon Möglichkeiten haben, die Betreuung älterer Menschen zu verbessern:

  • Bedürfnisse der älteren Menschen und von deren Angehörigen für eine gute Betreuung im Alter klären
  • Bedarf an Betreuungsleistungen und Kreis der Anbieter bestimmen
  • Abklärungsinstrument erarbeiten und Anlaufstelle definieren
  • Form des Betreuungsanspruchs festlegen (Geld, Zeitgutschrift, Leistungsgutschrift)
  • Tarifierung konkretisieren: Leistungen und deren Kosten müssen definiert werden
  • Finanzierung der Betreuungsleistungen sicherstellen («Restfinanzierung»)
  • Aufsuchende Soziale Arbeit fördern, um vulnerable ältere Menschen zu erreichen

Klar ist: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wenn die Schweiz nichts tut, droht eine Unterversorgung für diejenigen älteren Menschen, die Betreuung benötigen. Herbert Bühl, Präsident der Paul Schiller Stiftung, warnt vor den Folgen: «Wenn die richtige Unterstützung fehlt, laufen ältere Menschen Gefahr, zu vereinsamen sowie zu verwahrlosen, und ihre Gesundheit leidet. Sie müssen vermehrt notfallmässig ins Spital, oder es kommt zu vermeidbaren Heimeintritten.»

Was bedeutet gute Betreuung?

Gute Betreuung im Alter ermöglicht älteren Menschen, ihren Alltag weitgehend selbstständig zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wenn sie das aufgrund der Lebenssituation und physischer, psychischer und/oder kognitiver Beeinträchtigung sonst nicht mehr könnten.

Gute Betreuung umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten, die sich in sechs Handlungsfelder zusammenfassen lassen: Selbstsorge, Alltagsgestaltung, Haushaltsführung, soziale Teilhabe, Pflege, Beratungs- und Alltagskoordination.

Gute Betreuung kann die Kompetenzen älterer Menschen erhalten, gesundheitliche Verschlechterungen bremsen und verhindern. Dies entlastet das Gesundheitswesen und unterstützt wirkungsvoll die betreuenden Angehörigen.

Maja Nagel Dettling
Stiftungsrätin der Paul Schiller Stiftung

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