Gemeinsam essen im Alter stärkt die Gesundheit
Mangelernährung gilt als eine der häufigsten und am wenigsten beachteten Krankheiten im Alter. Eine ihrer Ursachen kann Einsamkeit sein. Das Programm «Tavolata» bietet ein einfaches Rezept, das die Freude am Essen in Gemeinschaft fördert.
Nachdem ihr Mann gestorben war, mochte Rosa Schmid (Name geändert) nicht allein am Tisch essen. So ass sie nicht selten direkt aus der Pfanne, am Herd stehend und ohne richtigen Appetit. Nach einigen Wochen bemerkte sie, dass sie oft müde und nicht mehr so fit wie früher war, und bald wurde ihr klar, dass diese Veränderung mit ihrer Art zu essen zusammenhing. Deshalb nahm Frau Schmid, nachdem sie in ihrer Gemeinde einen Aufruf zur Gründung einer Tavolata gesehen hatte, an der allerersten Infoveranstaltung von Tavolata teil. Dies war im Jahr 2010. Zurück zu Hause, lud sie umgehend einige alleinstehende Personen aus der Nachbarschaft zum Spaghettiessen ein. Ihre Tischgemeinschaft besteht mittlerweile seit zwölf Jahren. Sie sagt: «Tavolata war das Beste, was mir passieren konnte.»
Solche Geschichten weiss Daniela Specht, Leiterin der Geschäftsstelle von Tavolata und Koordinatorin der Tischgemeinschaften in der Deutschschweiz, zuhauf zu erzählen. Eine gesunde Ernährung beeinflusst die Gesundheit, Mobilität und Lebensqualität von älteren Menschen. Gerade Gemeinden können einen wichtigen Impuls setzen, wenn sie die Eigeninitiative fördern.
Mehr Freude am Essen und am Leben
Tavolata, aus dem Italienischen für «Tafelrunde», ist ein Projekt des Migros-Kulturprozents und damit Teil des gesellschaftlichen Engagements der Migros-Gruppe. Die Idee dahinter: Initiative, meist ältere Menschen gründen eine Tischrunde, und interessierte Personen schliessen sich der Runde an, um zusammen ausgewogen und genussvoll zu essen. Anregungen für schmackhafte, gesunde Mahlzeiten und deren Zubereitung erhalten sie über das Projektteam von Tavolata. Diese stützen sich auf die schweizerischen Ernährungsempfehlungen. Inspiration bieten darüber hinaus die zweimal jährlich erscheinende Tavolata-Zeitung «Bon Appétit» oder die regelmässig stattfindenden Online-Veranstaltungen unter dem Titel «Amuse bouche». Das Tavolata-Team unterstützt bei der Gründung und beim Erhalt von Tischgemeinschaften oder bei der Suche nach neuen Mitgliedern und vermittelt Interessierte an bestehende oder neu gegründete Gruppen.
Bei der Organisation ihrer Treffen sind die Tischgemeinschaften weitgehend frei. Ob selbst gekocht wird oder nicht und, falls ja, gemeinsam oder abwechselnd, steht der Gruppe frei. Voraussetzung ist einzig die Bereitschaft, sich regelmässig an einem öffentlichen oder privaten Ort zu treffen. Als verbindlich gelten ausserdem sieben einfache Spielregeln, etwa dass Arbeiten und Kosten geteilt oder Geben und Nehmen ausgeglichen sind.
Ernährung ist für die Gesundheitsförderung im Alter zentral
Die meisten Menschen wollen geistig und körperlich leistungsfähig bleiben, um möglichst lange selbstständig zu Hause zu leben. Hier sind auch die Gemeinden gefordert. Sie nehmen eine wichtige Rolle ein, schaffen Rahmenbedingungen, koordinieren, vernetzen und informieren.
Gemeinschaftliches Kochen und Mahlzeiten in Gesellschaft sind von wesentlicher Bedeutung, weil sie die Freude und den Genuss am Essen fördern. Im Alter verringern sich bei vielen Menschen die sozialen Kontakte. Neben den körperlichen Veränderungen im Alter kann auch Einsamkeit zu Appetitverlust führen und Mangelernährung begünstigen. Eine ausgewogene und genussvolle Ernährung ist darum gerade im Alter wichtig. Sie hilft, die Muskelmasse zu erhalten und mobiler und unabhängiger zu bleiben. Die Prävention von Diabetes, bestimmten Krebsarten sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist ein weiterer Effekt. Wer regionale Tavolatas fördert, trägt dazu bei, die Gesundheit, Lebensqualität und Autonomie der älteren Wohnbevölkerung zu stärken und damit die Attraktivität einer Gemeinde zu erhöhen.
Weitreichender Effekt auf die physische und psychische Gesundheit
Bei Tavolata steht die Freude am gemeinsamen Kochen und Essen im Zentrum. Allerdings geht Tavolata weit darüber hinaus. Zahlreiche der rund 500 offiziellen Tavolatas in der ganzen Schweiz existieren bereits seit vielen Jahren. «Tavolata ist mehr als gemeinsam zu essen», bestätigt Margrit Eicher, Fachperson Prävention und Gesundheit bei LUNAplus, einem kostenlosen Beratungsangebot der Gemeinde Wallisellen (ZH) für Menschen ab 65 zur Förderung der Unabhängigkeit im Alter: «Oftmals sind die Mitglieder einer Tavolata auch im Alltag füreinander da. Sie fragen nach, wie es geht, schreiben sich Nachrichten via WhatsApp oder fahren sich gegenseitig zum Arzt.»
Die Teilnahme an einer Tavolata bedingt eine Offenheit, die laut Margrit Eicher gerade auf ältere Menschen eine enorm belebende Wirkung hat. Schmunzelnd meint sie: «Es ist kein Zufall, dass so viele Tavolata-Teilnehmende bereits ein hohes Alter erreicht haben.»
«Über die Jahre ist ein wertvolles Netzwerk gewachsen»
Daniela Specht leitet die Geschäftsstelle von Tavolata und ist Koordinatorin der Tischgemeinschaften in der Deutschschweiz.
An wen richtet sich Tavolata?
Daniela Specht: Ursprünglich als Angebot des Migros-Kulturprozents für einsame Menschen gedacht, hat sich gezeigt, dass die Gründerinnen und Gründer einer Tavolata oftmals sehr engagierte Menschen sind, die andere Menschen motivieren können.
Wie erreichen Sie ihre Zielgruppe?
Über die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern wie Altersbeauftragten von Gemeinden, der Spitex, Pro Senectute oder Hausärzten, die direkt mit den älteren Menschen in Kontakt stehen und sie auf das Angebot aufmerksam machen. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sind die älteren Menschen selbst, weil sie als «Peers» einen privilegierten Zugang zu sogenannt vulnerablen Personen haben.
Wie gehe ich vor, wenn ich selbst eine Tavolata gründen will?
Wir bieten Einführungskurse an mit Tipps, Tricks und Ideen, entweder online oder vor Ort. Man kann sich auch an regionale Vertreterinnen und Vertreter wenden oder sich direkt online anmelden. Unter www.tavolata.ch können in der Rubrik «Marktplatz» Tavolata-Plätze angeboten oder gesucht werden.
Und wie unterstützen Sie interessierte Gemeinden?
Wir bieten Infoveranstaltungen für die Bevölkerung direkt in den Gemeinden an.
Was macht den Erfolg von Tavolata aus?
Über die Jahre ist ein stabiles, wertvolles Netzwerk gewachsen. Unsere Mitglieder schätzen vor allem den Mix aus autonomer Selbstorganisation und Unterstützung im Hintergrund.
Anleitung für Gemeinden
In der von Gesundheitsförderung Schweiz erstellten Broschüre «Förderung einer gesunden Ernährung bei älteren Menschen» finden kommunale Akteurinnen und Akteure Anregungen, wie ihre Gemeinde zur Gesundheitsförderung im Alter beitragen kann. Vier Handlungsfelder geben einen systematischen Rahmen für die Planung und Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung im Alter.
Weitere praktische Hilfsmittel:
Für Fachpersonen bzw. Gemeinden:
Für die Zielgruppe ältere Menschen:
Alle erhältlich unter: www.gesundheitsfoerderung.ch/empfehlungen_modul_b