Gemeinderatszertifikat stärkt die Milizarbeit
Behördenmitglieder leisten Führungsarbeit. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft erfährt Milizarbeit aber wenig Wertschätzung. Mit der Zertifizierung von Gemeinderatsmitgliedern wollen der SGV und Swiss Leaders Gegensteuer geben.
«Wenn unser Milizsystem nicht mehr funktioniert, funktioniert auch unser Land nicht mehr», sagt Jürg Eggenberger, Co-Geschäftsleiter der Organisation Swiss Leaders, die früher unter dem Namen Schweizer Kader Organisation (SKO) bekannt war. Auf der Suche nach einem Rezept zur Stärkung der Milizarbeit hat die SKO darum 2015 begonnen, die Führungskompetenzen von Gemeinderätinnen und -räten zu zertifizieren – ähnlich, wie sie das zuvor schon für Offiziere der Armee eingeführt hatte.
Allerdings, erinnert sich Eggenberger, habe sich schon bald das Dilemma der Gemeinderatszertifizierung gezeigt: Da die Mitglieder kommunaler Behörden neben Beruf, Familie und Miliztätigkeit naturgemäss wenig Zeit für weitere Engagements haben, musste die Zertifizierung möglichst einfach sein, «die Anerkennung des Zertifikats aber trotzdem möglichst hoch», sagt Eggenberger. Aus diesem Grund tat sich die Organisation mit dem Schweizerischen Gemeindeverband (SGV) zusammen, um das Zertifikat gemeinsam zu vermarkten: Swiss Leaders mit dem Know-how in Sachen Führungsarbeit, der SGV als nationaler Verband, der das Zertifikat politisch und mit seinem Namen mitträgt.
Indes handelt es sich bei der Zertifizierung nicht um eine klassische Weiterbildung. Das Ziel ist nicht direkt, Neues zu lernen, sondern sich einige Tage lang einen dokumentierten Überblick über all jene Kompetenzen zu verschaffen, deren Beherrschung man im Amt (oder Beruf) bereits unter Beweis gestellt hat. Solch eine Selbstreflexion ist durchaus lehrreich – und am Ende gilt es, diese Kompetenzen in einem Expertengespräch auch glaubhaft zu belegen. Wer das kann, erhält ein Zertifikat, das von zwei glaubwürdigen Schweizer Institutionen anerkannt wird.
«Nützlich ist dieses Zertifikat vor allem im Berufsleben», weiss Eggenberger. Verdeutliche es bei einer Bewerbung doch immerhin, dass die Tätigkeit als Gemeinderat nicht nur ein Bulletpoint im CV ist, sondern dass damit tatsächliche Kompetenzen einhergehen, von Personalführung über Sitzungsleitung und Auftrittskompetenz bis hin zu Projektmanagement und Verhandlungstechnik. Oder, wie Eggenberger es nennt, «klassische generische Führungskompetenzen, die auch in der Privatwirtschaft gesucht und unabhängig der Branche nützlich sind». Das Zertifikat sei ein Instrument, das den Link zwischen Milizarbeit und Privatwirtschaft herstellen könne.
Zugelassen zum Zertifizierungsprozess sind alle Gemeinderätinnen und -räte, die auf mindestens vier Jahre Amtserfahrung zurückblicken können. Für SGV-Mitglieder kostet die Zertifizierung 850 Franken; für Mitglieder von Swiss Leaders 400 Franken. Weitere Informationen finden Sie unter www.swissleaders.ch/services/zertifizierung/gemeinderat/
«Belegt die im Amt erworbenen Kompetenzen»
Savio Michellod ist Syndic des 960-Seelen-Dörfchens Granges (Veveyse) im Kanton Freiburg. 2021 liess er seine als Mitglied einer kommunalen Exekutive erworbenen Kompetenzen zertifizieren.
Savio Michellod, was war Ihre Motivation, sich zertifizieren zu lassen?
Im Gemeinderat haben wir damals beschlossen, dass alle Mitglieder, die seit mindestens fünf Jahren im Amt sind, die Gelegenheit haben sollen, das Zertifikat zu machen. Finanziert wurde dies von der Gemeinde. Ich war damals noch keine 40 Jahre alt – für mich war es beruflich interessant, ein solches Zertifikat zu erlangen.
Und, nützt Ihnen das Zertifikat nun im Berufsleben?
Es nützt mir als Syndic, wo ich letztendlich für das Gemeindepersonal und für die reibungslose Zusammenarbeit des Gemeinderats verantwortlich bin und damit auch Kenntnisse im Konfliktmanagement vorweisen können sollte. Beruflich kann mir das Zertifikat bei einem Stellenwechsel weiterhelfen: Ich kann dann ein konkretes Zertifikat vorlegen, das meine im Amt erworbenen Kompetenzen belegt.
Der Milizarbeit fehlt es in unserer Gesellschaft oftmals an Anerkennung. Wie hilft das Zertifikat hier weiter?
Es ist ein Instrument, das meine Arbeit in Wert setzt. Als Gemeinderat trägt man ja eine tatsächliche Verantwortung und erwirbt im Amt auch gewisse Schlüsselkompetenzen. Gerade was das Salär eines Gemeinderats in einer kleinen Gemeinde betrifft, wird diese Arbeit meiner Ansicht nach aber nicht genügend wertgeschätzt. Jetzt habe ich immerhin ein Zertifikat, das belegt, was ich kann.
«Bringt Vorteile für die berufliche Laufbahn»
Seit zehn Jahren ist Lukas Steudler Gemeinderat von Pfäffikon im Kanton Zürich. Letztes Jahr hat er beschlossen, seine Kompetenzen als Behördenmitglied zertifizieren zu lassen.
Lukas Steudler, weshalb benötigt es überhaupt ein Angebot wie das Gemeinderatszertifikat?
Ein Milizamt kann einen aus zeitlichen Gründen daran hindern, eine grössere Weiterbildung zu absolvieren. Gleichzeitig ist solch ein Amt ja an sich schon eine wahnsinnige Weiterbildung und Bereicherung in verschiedensten Bereichen. Das wird oft unterschätzt – obwohl wir mit Pfäffikon ein «Unternehmen» mit 250 Angestellten und einem Jahresbudget von 84 Millionen Franken führen, was doch einem grösseren KMU entspricht. Ich begrüsse es deshalb, dass man ein Zertifikat und damit eine offizielle Anerkennung seiner Kompetenzen erlangen kann.
Wem würden Sie die Erlangung des Zertifikats besonders empfehlen?
Grundsätzlich würde ich es allen Gemeinderätinnen und Gemeinderäten empfehlen, die die Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Es ist eine Selbstreflexion; gleichzeitig wird man aber auch von Experten analysiert. Das ist sicher für alle interessant und lehrreich. Andererseits bringt das Zertifikat gerade für die berufliche Laufbahn Vorteile mit sich. Für Leute, die im Pensionsalter sind, ist die Zertifizierung deshalb vielleicht weniger interessant. Sie bringt aber auch etwas in Bezug auf die Arbeit als Gemeinderätin oder Gemeinderat: Die Erkenntnisse, die man gewinnt, lassen sich im Amt gleich wieder einsetzen.
Was haben Sie ganz konkret gelernt?
Insbesondere bei allem, was mit Führungswesen zu tun hat, ist die Reflexion über die eigenen Kompetenzen interessant. Aber auch bei fachlichen Kompetenzen wie Projektleitungskompetenzen habe ich dazugelernt.
Über Swiss Leaders
Swiss Leaders setzt sich für die Interessen von Führungskräften und für eine nachhaltige Entwicklung des Arbeitsplatzes Schweiz ein. Swiss Leaders zählt über 10 000 Mitglieder und Firmenpartner aller Branchen. Die Mitglieder werden dabei unterstützt, ihre Kompetenzen und Arbeitsmarktfähigkeit vor dem Hintergrund zukünftiger Herausforderungen einer digitalisierten, globalisierten und sich ständig verändernden Arbeitswelt zu erweitern.
Um die in der Miliztätigkeit erworbenen Führungskompetenzen auch für das Berufsleben besser anzuerkennen, hat Swiss Leaders vor 14 Jahren ein Zertifizierungssystem entwickelt. Damit werden in Kooperation mit dem Schweizerischen Gemeindeverband die Kompetenzen von Gemeinderäten, mit der Schweizer Armee die Kompetenzen von Offizieren und seit Juni mit der Feuerwehr Koordination Schweiz die Kompetenzen von Feuerwehroffizieren aufgewertet.