Farbkultur im Ortsbild: Zwischen Identität und Reizthema
Farben stiften Identität, lösen aber auch hitzige Diskussionen aus. Für Behörden und Bauherrschaften ist die Arbeit mit Farben im Ortsbild eine Herausforderung. Mit Orientierungshilfen und Dialog lassen sich manche Hürden überwinden.
Auf dem Dorfplatz von Küsnacht (ZH) begegnen sich das Weltliche und das Geistliche: zum einen der markant kolorierte Gasthof Ochsen mit seiner warmen, braunorangen Farbgebung; zum andern die traditionell weiss gestrichene Kirche. «Wir haben neben einigen farbigen Gebäuden auch viele weiss gestrichene Häuser, was typisch ist für Küsnacht», berichtet Daniel Dahinden, Leiter Hochbau und Planung. Damit die Kirche auch farblich im Dorf bleibe, solle gemäss einer Faustregel kein anderes Haus weisser sein als das Gotteshaus.
Orientierungsrahmen
Dies ist allerdings nicht die einzige Devise, die in der 15 000-Seelen-Gemeinde im Umgang mit Farben und Ortsbild gilt. Die ländlich geprägte Agglomerationsgemeinde am rechten Zürichseeufer verfügt über 16 verschiedene Ortsbilder und Quartiere, darunter auch ein historischer Kern. Unter der Leitung der Abteilung Hochbau und Planung mit den Mitgliedern des Fachbeirats Ortsbildschutz und Denkmalpflege sowie der Baukommission wurde 2022 in Zusammenarbeit mit dem Haus der Farbe, Institut für Gestaltung in Handwerk und Architektur, mit der Publikation «Farbkultur Küsnacht» ein Arbeits- und Kommunikationswerkzeug zu Farbe im Ortsbild entwickelt.
«Als Behörde erlebten wir die Bewilligungspraxis im Umgang mit Farben und Materialien oft als unbefriedigend, auch wenn wir unsere Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen fällten», sagt Daniel Dahinden. Es fehlten jedoch ein Beratungsinstrument und ein Orientierungsrahmen für Farbentscheide, um dem Ortsbild wirksam und nachhaltig Sorge zu tragen. Das Haus der Farbe analysierte spezielle und typische Objekte und Ensembles, die als Referenzobjekte für die Kriterien von neuen Farbkonzepten dienen. Farbentscheide können sich somit an diesen beispielhaften Bauten und Situationen orientieren.
Beobachten und Diskutieren
«Farben sind identitätsstiftend, oftmals aber auch ein Reizthema», sagt Marcella Wenger-Di Gabriele, Co-Leiterin des Instituts des Hauses der Farbe in Zürich. Spätestens seit dem Aufkommen der Dispersionsfarben und ihrer beinahe grenzenlosen Farbvielfalt vor rund 50 Jahren ist der Umgang mit Farben anspruchsvoller geworden. Ein Bewusstsein für Farben sei ein wichtiger erster Schritt, die Farbkultur im Leitbild einer Gemeinde zu verankern. Ebenso entscheidend ist es gemäss Stefanie Wettstein, Leiterin des Hauses der Farbe, das eigene Ortsbild anzuschauen, so simpel es klingen mag. «Durch das Beobachten und Betrachten erkennt man die Eigenheiten und Farbidentitäten eines Ortes. Daraus lassen sich Referenzen und Regeln ableiten.»
Als wertvoll bezeichnen die Farbexpertinnen ferner das objektive Sprechen und Diskutieren über Farben – sei es innerhalb der Behörde oder auch im Dialog mit den Hauseigentümerinnen und -eigentümern. «Schwammige Formulierungen wie das ‹harmonische Einfügen in die Umgebung› sind zu unkonkret und lassen sich juristisch anfechten», gibt Marcella Wenger-Di Gabriele zu bedenken. Deshalb biete das Haus der Farbe Hilfestellungen wie auch drei spezielle Tagesseminare zum Thema Farbkultur und Ortsbild an (siehe Infobox). Ziel sei es, den Behörden mehr Kompetenzen, sachliche Argumente und Werkzeuge mitzugeben. Zudem wolle man den Dialog zwischen Behörden und Bauherrschaft fördern. «Diese Gesprächskultur lässt sich nicht über Regeln lösen», betont Stefanie Wettstein.
Haupt- und Nebenfarben
Auf welche Aspekte gilt es bei der Farbwahl im Ortsbild zu achten? Bei Renovationen drehe sich die Diskussion oft hauptsächlich um die Fassadenfarbe, erzählt Marcella Wenger-Di Gabriele, dabei komme dem Zusammenspiel aller Haupt- und Nebenfarben die entscheidende Rolle zu. «Kleine Details wie etwa die Farbe der Fensterläden, des Sockels oder des Dachhimmels sind oft für das Gesamtbild eines Gebäudes entscheidend. Es braucht zum Teil wenig, bis ein Gebäude aufgrund der Farbwahl plakativ und simpel wirkt.» Besonders bei Betriebsgebäuden kommt nicht selten die Farbe des Firmenlogos mit ins Spiel. Nicht immer sei eine solche Farbe, so Marcella Wenger-Di Gabriele, ideal für die Fassadengestaltung. «Hier braucht es ein geschicktes Argumentieren. Vielleicht bietet sich eine Lösung mit gezielten Akzenten in diesem Farbton an.»
Für Farbkonzepte an historischen Gebäuden braucht es die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege. Die Farbwahl steht hier im Zusammenhang mit der Geschichte des Hauses und seiner Umgebung. Doch was gilt für die Häuser am Rande eines historischen Zentrums? «Hier trifft man oft unsensible Farblösungen an», bedauert Marcella Wenger-Di Gabriele und empfiehlt, die Hauseigentümer zu unterstützen und lokale Handwerker als Vermittler mit ins Boot zu holen. Denn meist kennen sie die regionalen Eigenheiten am besten.
Nicht vom Bürotisch aus
Zu den grössten Fehlern, die im Umgang mit Farben gemacht werden, zähle der Behördenentscheid vom Bürotisch aus, findet Marcella Wenger-Di Gabriele. Ebenso fatal sei es aber auch, wenn die Behörden dem Ortsbild einen Farbplan vorschreiben und in der Folge die Stadt in eine Art Heididorf verwandeln. «Das Kolorit einer Stadt ist dann besonders schön, wenn es nicht als auf dem Schreibtisch entworfenes Gesamtkonzept daherkommt, sondern als gewachsenes Farbbild.»
«Ein Richtig oder Falsch gibt es bei uns nicht. Diese Philosophie erhöht die Akzeptanz unserer Farbkultur in der Bevölkerung.»
Mit dem neuen Beratungswerkzeug «Farbkultur in Küsnacht» machen Daniel Dahinden und sein Team gute Erfahrungen. «Im Gegensatz zu früher verfügen wir nun über ein Werkzeug, das uns im Dialog mit der Bauherrschaft wertvolle Dienste leistet.» Es zeige die Vielfalt der Farbkultur im Dorf auf und diene so als Referenz. Auch wenn die Farbtöne sich stets an den umliegenden Gebäudefarben orientieren sollten, gebe es durchaus auch Freiheiten für gewagtere Farbgestaltungen, betont Daniel Dahinden. «Uns ist es wichtig, dass ein Konzept dahintersteckt und die Ideen nachvollziehbar sind. Ein Richtig oder Falsch gibt es bei uns nicht. Diese Philosophie erhöht die Akzeptanz unserer Farbkultur in der Bevölkerung.»
Kurse Farbkultur in Ortsbildern
Das Haus der Farbe bietet drei Tagesseminare für Behördenmitglieder und andere Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger an, die ihren Umgang mit Farbe professionalisieren und qualitätvoller gestalten möchten. Die Kurse sind unabhängig voneinander.
Termine:
2. November 2023 – Theorie und Facts
16. November 2023 – Beratung und Kommunikation
30. November 2023 – Alt und neu