Peppino Giarritta ist überzeugt, dass es eine erneute Diskussion der E-ID braucht.

«Es gibt noch viele Lücken»

09.05.2022
5 | 2022

Peppino Giarritta ist Beauftragter von Bund und Kantonen für die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS). Die neue Organisation ist seit Anfang Jahr operativ tätig. Im Interview sagt er, weshalb die Schweiz bei der digitalen Transformation in der Verwaltung dem Ausland hinterherhinkt und wie die Gemeinden von der DVS profitieren können.

Peppino Giarritta, die Coronakrise hat die Defizite der digitalen Transformation in der Schweizer Verwaltung deutlich aufgezeigt. Was haben Sie gedacht, als von Faxgeräten zur Übermittlung von Testergebnissen die Rede war?

Peppino Giarritta: Ich war nicht wirklich überrascht. Es ist Tatsache, dass die digitale Transformation noch nicht in allen Bereichen der Verwaltungen gleich fortgeschritten ist. Es gibt noch viele Lücken.

Weshalb tut sich die Schweizer Verwaltung so schwer bei der Digitalisierung?

Das hat zum einen damit zu tun, dass die Verwaltungen per se recht gut funktionieren. Der Leidensdruck, etwas zu ändern, war bis anhin wenig ausgeprägt. Zum anderen sind die Verwaltungen nicht überall so gut aufgestellt, um die digitale Transformation aktiv anzugehen. Man hat in den vergangenen Jahren zwar Bewegung gesehen, aber die Umsetzung, auch die von politischen Vorgaben und gesetzlichen Grundlagen, braucht Zeit.

Im Vergleich zum europäischen Ausland schneidet die Schweiz schlecht ab. Was machen andere Länder besser?

Ein solcher Vergleich ist mit Vorsicht zu geniessen. In vielen Ländern sind die Ausgangslage und die Rahmenbedingungen unterschiedlich. Skandinavische Länder beispielsweise haben einen anderen Umgang mit Daten und Datenschutz, Italien ist zentralistischer organisiert, und Österreich hat das Thema früher auf die politische Agenda gesetzt als die Schweiz und ist deshalb weiter fortgeschritten.

Heisst das, der Föderalismus bremst die digitale Transformation in der Verwaltung?

Der Föderalismus ist eine zusätzliche Herausforderung, aber er gehört zur Schweiz und hat auch viel Gutes, wie die Nähe der Gemeinden zur Bevölkerung. Gerade beim Thema Sicherheitsbedürfnis hilft uns diese Verbundenheit, sie stärkt das Vertrauen in die E-Services.

Sie sind seit gut einem Jahr als Beauftragter Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) im Amt. Was konkret ist Ihre Aufgabe?

Grundsätzlich bin ich für die Koordination der digitalen Transformation von Bund, Kantonen und Gemeinden verantwortlich und setze mich dort ein, wo mehrere föderale Ebenen involviert sind. Im ersten Jahr hat mich vor allem der Aufbau der Organisation mit ihrer Geschäftsstelle beschäftigt. Jetzt geht es darum, die DVS im Rahmen der politischen Vorgaben zu gestalten und zu führen.

Wie können die Gemeinden von der DVS profitieren?

Sie profitieren überall dort, wo im Bereich der digitalen Transformation der Verwaltungen die Kräfte gebündelt werden. Sie können Basisdienste und Infrastruktur nutzen, in Gremien und Arbeitsgruppen der DVS mitwirken und sich im Rahmen von Veranstaltungen vernetzen und Wissen austauschen.

Welches sind aktuell die wichtigsten Projekte?

Zurzeit sind wir damit beschäftigt, Basisdienste wie die E-ID aufzubauen und Projekte im Bereich Datenmanagement zu fördern. Zu Letzteren gehört auch der nationale Adressdienst, der den elektronischen Zugang zu Adressen aus allen Gemeinden über eine zentrale Plattform ermöglicht. Dazu kommt das Thema Cloud. Hier werden derzeit gemeinsam Grundlagen erarbeitet, damit Cloud-Lösungen sicher eingesetzt werden können.

Viele Menschen in der Schweiz sind skeptisch gegenüber der fortschreitenden Digitalisierung. Das hat auch die Abstimmung über die Einführung der E-ID im März 2021 gezeigt, die deutlich abgelehnt wurde. Wie wollen Sie künftig die Zweifel in der Bevölkerung ausräumen?

Wichtig ist eine gute, transparente Kommunikation, in der auch offen über die Risiken der Digitalisierung gesprochen wird. Insgesamt soll der Fokus verstärkt auf die vielen konkreten Services gerichtet werden, die bereits heute gut funktionieren. Wenn die Menschen sehen, dass ihnen diese elektronischen Dienstleistungen das Leben erleichtern, wird sich auch ihre Wahrnehmung im Bereich Sicherheit verbessern.

Ist das Schweizer Verständnis von Datenschutz mit der digitalen Verwaltung vereinbar?

Digitalisierung und Datenschutz müssen Einklang finden. Es gibt in der Umsetzung aber noch offene Fragen über die Interpretation von Datenschutz. Gesellschaft und Technologie verändern sich ständig, deshalb muss auch der Datenschutz laufend neu ausgehandelt werden. Das Bedürfnis der Bevölkerung aber ist klar: Sie will, dass die persönlichen Daten geschützt werden.

Die E-ID ist eines der drängendsten Projekte. Warum ist sie so wichtig?

Als Ergänzung zu den traditionellen Identifikationsmitteln vereinfacht sie der Bevölkerung und den Unternehmen Behördenkontakte und den Bezug von staatlichen Dienstleistungen. Wir möchten eine zweckmässige und tragfähige E-ID-Lösung schaffen, die sichere und medienbruchfreie Prozesse ermöglicht, damit Nutzerinnen und Nutzer Zeit und Geld sparen. Im Projekt wird unter Einbezug interessierter Kreise ein neuer Lösungsansatz für eine staatliche E-ID entwickelt.

Wann kommt der nächste Versuch, die elektronische ID einzuführen?

Die Vorlage soll noch dieses Jahr in die Vernehmlassung und nächstes Jahr ins Parlament kommen. Wir brauchen eine erneute Diskussion in der Politik und der Öffentlichkeit.

Digitale Transformation vorantreiben

Die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) koordiniert, steuert und fördert die Digitalisierungsaktivitäten von Bund, Kantonen und Gemeinden, um die digitale Transformation über alle drei Staatsebenen hinweg rascher voranzubringen. Bund und Kantone sind gleichberechtigte Träger der DVS. Entscheide werden im Konsens getroffen. Der Schweizerische Städteverband (SSV) und der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) unterstützen die DVS als Partner. Die Organisation ist seit dem 1. Januar 2022 operativ tätig.

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