Erdbebensicherheit kann so einfach sein: Die Steuerschränke in der Technikkabine der Zentralbahn in Horw sind an der Wand festgeschraubt.

Erdbebensicherheit: Auch kleine Anpassungen können viel bewirken

15.10.2024
10 | 2024

Die Schweiz ist ein Erdbebenland. Dennoch ist die Erbebensicherheit in vielen Gemeinden angesichts ihrer vielfältigen Aufgaben kaum ein Thema. Sven Heunert ist Fachexperte für Erdbeben beim Bundesamt für Umwelt und gleichzeitig Gemeinderatspräsident von Thierachern (BE). Er sagt: Gemeinden können mit kleinen Massnahmen schon viel für den Erdbebenschutz tun.

Erdbeben haben ein enormes Schadenspotenzial und können ganze Regionen lahmlegen. Und das nicht nur im Ausland. Auch die Schweiz ist ein Erdbebenland. Beben mit einer Magnitude von bis zu 7 sind in der Schweiz möglich, sagt Sven Heunert, Fachexperte für Erdbeben beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). Im kollektiven Gedächtnis ist das letzte grosse Beben von Siders 1946 nicht mehr besonders präsent. Die Naturgefahr Erdbeben ist selten – wenn sie aber eintritt, ist das Schadenspotenzial in der dicht bebauten Schweiz enorm. Das Strassen- und Schienennetz, die Strom- und Wasserversorgung – all das würde bei einem Beben in Mitleidenschaft gezogen, zusätzlich zu den zahlreichen beschädigten Gebäuden. Im Berggebiet kommt die Gefahr durch vom Beben ausgelöste Felsstürze, Hangrutschungen oder Lawinen hinzu.

Sven Heunert erklärt: «Wenn in der Stadt Bern das Mattequartier überschwemmt wird, ist das schlimm. Die Feuerwehr ist aber an ihrem Stützpunkt nicht betroffen und kann sofort ausrücken und unterstützen.» Anders bei einem schweren Erdbeben: «Da muss man davon ausgehen, dass auch das Feuerwehrdepot in Mitleidenschaft gezogen wird und die Angehörigen der Feuerwehr vielleicht selbst in einer Notlage sind. Abgesehen davon, dass das Mobilfunknetz wahrscheinlich nicht mehr funktioniert.»

Solche Szenarien machen Angst. Umso mehr, weil sich Erdbeben nicht voraussagen lassen und jederzeit eintreffen können. Dennoch nimmt die Erdbebensicherheit im öffentlichen Diskurs keinen grossen Raum ein, und auch in den Gemeinden haben andere Themen einen höheren Stellenwert. Sven Heunert weiss das aus eigener Erfahrung, präsidiert der Bauingenieur doch seit 2016 die bernische Gemeinde Thierachern.

«Erdbebenschutz muss nicht sehr aufwendig oder teuer sein, wie das viele Gemeinden befürchten.»

Sven Heunert, Fachexperte Erdbeben Bafu, Gemeinderatspräsident Thierachern (BE)

Synergien nutzen

«Erdbebenschutz muss nicht sehr aufwendig oder teuer sein, wie das viele Gemeinden befürchten», betont er. Als Beispiel nennt er das anstehende Sanierungsprojekt einer Schule in Thierachern: «Ich habe angeregt, im Rahmen der Sanierung die Erdbebensicherheit anzuschauen und wo nötig Massnahmen zu ergreifen.» Wenn im Rahmen einer Sanierung sowieso eine Baustelle eröffnet werde, liessen sich viele Synergien nutzen. Umso mehr, wenn die Überprüfung auf Erdbebensicherheit bereits ganz zu Beginn im Projekt mitgedacht werde.

Daneben gibt es kostengünstige und einfache Massnahmen, die jede Gemeinde rasch umsetzen kann, wie zum Beispiel Regale in den Schulen an der Wand zu befestigen oder Notstromaggregate vor dem Kippen zu sichern.

Für Neubauten wie auch für bestehende Bauten sind in der Schweiz die SIA-Baunormen einzuhalten, die auch Anforderungen an die Erdbebensicherheit festlegen. In diesem Zusammenhang muss ein Gebäude oder eine Anlage in eine der drei sogenannten Bauwerksklassen eingeteilt werden, die von der Bedeutung des Bauwerks abhängen und schliesslich den Standard vorgeben. Hier gelte es Bauherrschaften und Planende noch stärker zu sensibilisieren, sagt Sven Heunert.

Notfallplanung überprüfen

Den Gemeinden kommt zusätzlich eine wichtige Rolle in der Krisenbewältigung zu. «Bund, Kantone und Gemeinden haben grundsätzlich ein erprobtes Krisenmanagement und sind mit den Führungsstäben gut aufgestellt», hält Sven Heunert fest. In der Vorbereitung sollten Gemeinden auch da gewisse erdbebenspezifische Szenarien durchspielen und Massnahmen entsprechend anpassen. Fragen, die sich die Führungsstäbe der Gemeinden stellen sollten, sind zum Beispiel: Welche Rettungsrouten definieren wir? Wo ist der Notfalltreffpunkt für die Bevölkerung? Wie gehen wir mit einem länger andauernden Stromausfall oder Unterbruch des Trinkwassernetzes um?

«Man muss sich bewusst sein, dass ein heftiges Erdbeben eine Krise auslösen kann, die mehrere Monate andauert», sagt der Experte. Darum mache es Sinn, die Notfallplanung in verschiedene Phasen aufzuteilen: Eine Frühphase, in der akute Notstände gelindert werden, eine Übergangsphase und eine Regenerationsphase, in der der Wiederaufbau ins Auge gefasst wird.

Vorlage zur Finanzierung von Gebäudeschäden

Wer aber soll den Wiederaufbau finanzieren? Erdbebenschäden sind bei den obligatorischen Gebäudeversicherungen ausgeschlossen. Der Bund hat eine Vorlage für die Finanzierung von Gebäudeschäden bei Erdbeben ausgearbeitet. Diese sieht vor, dass im Falle eines Erdbebens alle Gebäudebesitzenden maximal 0,7 Prozent der Gebäudeversicherungssumme abgeben. Dieser Betrag von maximal 22 Milliarden Franken soll für den Wiederaufbau eingesetzt werden.

Auch die Gemeinden müssten als Gebäudeeigentümerinnen diesen Betrag abgeben – würden im Schadensfall aber auch profitieren und müssten den Wiederaufbau nicht aus der eigenen Kasse berappen. Der Bundesrat hat das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) beauftragt, bis Ende 2024 unter Berücksichtigung der Vernehmlassungsergebnisse eine Botschaft zur Finanzierung von Gebäudeschäden bei Erdbeben zu erarbeiten. Diese wird anschliessend im Parlament behandelt.

Fachpublikationen zum Thema

Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat mehrere Fachpublikationen zum Thema Erdbebensicherheit erarbeitet, die auch wertvolle Tipps für die Gemeinden enthalten. Die Publikationen können unter folgendem Link aufgerufen werden: https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/naturgefahren/fachinformationen-erdbeben/publikationen-aus-dem-bereich-erdbeben.html

Nadja Sutter
«Schweizer Gemeinde»
Chefredaktorin