Er weiss, was im Notfall zu tun ist
Durch seine Berufswahl ist Christian Randegger mit traurigen Ereignissen konfrontiert worden. Heute steht der einstige Pfarrer Unternehmen, Schulen und Gemeinden in Krisen zur Seite. «Auch privat meide ich Risiken», sagt er.
Bis die Sanität, die Feuerwehr oder die Polizei nach einem Notruf eintreffen, dauert es jeweils einige Minuten. Für die Betroffenen eine «gefühlte Ewigkeit», wie es Christian Randegger formuliert. Der Krisenmanager hat mehrere Apps entwickelt, die helfen, diese bange Zeit zu überbrücken. «Wir führen durch kritische Situationen, bis die Profis da sind», erklärt er. Seine Firma hat er nach der sogenannten Hilfsfrist benannt, an der sich Blaulichtorganisationen orientieren. Sie heisst 17minutes.
Christian Randegger und seine Mitarbeitenden befassen sich nicht nur mit akuten Phasen. Sie widmen sich ebenso der Prävention sowie der Verarbeitung von Krisen. «Inzwischen werden zwar häufig Careteams eingesetzt», sagt er. «Irgendwann gehen aber auch diese wieder.»
Rituale helfen, wenn die Worte fehlen
Der 59-Jährige hat viel Erfahrung im Umgang mit traurigen Ereignissen. Er war mehr als 20 Jahre lang als Pfarrer tätig. Als solcher wurde er unweigerlich mit Schicksalsschlägen konfrontiert. Er begleitete beispielsweise Eltern, die ein Kleinkind verloren hatten. Er betreute Konfirmanden, die um einen verunfallten Kollegen trauerten. Und er war in einer Schulklasse präsent, nachdem sich ein Schüler das Leben genommen hatte. «Wenn einem die Worte fehlen, können Symbolhandlungen und Rituale wertvoll sein», sagt er.
Christian Randegger half dabei, die Notfallseelsorge im Raum Winterthur aufzubauen. Er rückte aus, wenn ihn die Polizei alarmierte. Als Regionalleiter kümmerte er sich zudem um organisatorische Belange. Er bildete sich laufend weiter, vernetzte sich mit Experten aus Österreich sowie Deutschland und lancierte 2009 ein Notfall-Handbuch für den Schulbetrieb. «Ich stand der Schule immer nahe», erzählt er. Als Vater von vier Kindern bekam er viel vom Schulalltag mit. «Wenn etwas passiert, steht die Schule in der Verantwortung», stellt Christian Randegger klar. Lehrpersonen seien jedoch kaum darin geschult, schwere Krisen zu bewältigen. Inzwischen ist der Krisenkompass-Ordner in vielen Schulleiterbüros zu finden. Er ist online verfügbar und wird regelmässig um Themen wie Gewalt und Pornografie auf dem Handy, Stalking und Verdacht auf Extremismus und Radikalisierung ergänzt.
Checklisten für Milizbehörden
Christian Randegger und sein Team haben den digitalen Wegweiser in diesem Jahr erweitert, damit er auch Gemeinden und Städten nützt. Corona hat ihn in seiner Arbeit bestärkt. «Die Gemeinden waren zum Teil zu wenig auf die Pandemie vorbereitet», sagt er. Milizbehörden seien in Krisen besonders herausgefordert, gibt der Experte zu bedenken. «Ihre Mitglieder engagieren sich meist in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl – sie können nicht alles wissen.»
«Einige Kollegen haben sich nicht mehr rasiert»
Die Pandemie hat Christian Randegger ebenfalls stark beansprucht. Er leitet in Winterthur die Fachstelle Stadtführungsstab. «Zu Beginn haben wir fast rund um die Uhr gearbeitet», erinnert er sich. «Einige Kollegen haben sich nicht mehr rasiert.» Der Krisenstab organisierte Anfang 2020 etwa die Verteilung von Schutzmaterial. Er befasste sich mit Fragen rund ums Homeoffice und mit Schutzkonzepten von städtischen Einrichtungen, diente allen Departementen als Anlaufstelle und beriet den Stadtrat. «Wir mussten uns laufend den neusten Erkenntnissen anpassen», sagt Christian Randegger, der dort Teilzeit arbeitet. Mittlerweile ist in Sachen Corona eine gewisse Routine eingekehrt. Der Stab beschäftigt sich wieder mit anderen Gefährdungen.
In den Flüchtlingscamps im Nordirak
Christian Randegger, der im Tösstal aufgewachsen ist, hätte Lehrer werden können wie andere Familienmitglieder auch. Er entschied sich, «wie mein Götti», für den Beruf des Pfarrers. Die grosse Bandbreite der Tätigkeiten hat ihn fasziniert, vom Kinderlager über die Predigt in der Kirche bis zur Erwachsenenbildung, von der Taufe am Anfang eines Lebens und der Seelsorge, wenn es Trauer zu verarbeiten und Abschied zu nehmen gilt. Heute bringt er seine Expertise auch in Hilfsprojekte ein. Er präsidiert den Verein Khaima, der sich in den Flüchtlingscamps und in einem Jugendgefängnis im Nordirak engagiert. Warum? «Weil es uns hier in der Schweiz so gut geht.» Es ist seine Art, etwas zu geben. Andere täten es mit Spendengeldern, mit Hilfsgütern, wieder andere engagierten sich für die Gesellschaft in Form von Miliztätigkeit. Mit drei weiteren Vorstandskollegen hat er sich kürzlich vor Ort ein Bild der karitativen Arbeit gemacht. «Ich bin beeindruckt von der grossen Offenheit und der Herzlichkeit unserer lokalen Partner», sagt er. Sie kümmern sich unter anderem um Mädchen und Frauen, die 2014 vom IS verschleppt und als Sklavinnen gedemütigt wurden. Sie unterstützen sie dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Christian Randegger hat auf seiner Reise aufwühlende Geschichten gehört. «Es war schockierend, aber auch ermutigend, wie dankbar diese Menschen sind für aufrichtige, konkrete Hilfe in traumapsychologischer Begleitung.»
Er hat sich im Gebiet rund um Dohuk sicher gefühlt ‒ «bis auf eine Taxifahrt mit einem übermüdeten Fahrer». Erschreckt hat ihn, wie wenig auf den Umweltschutz geachtet wird. «Auf den Feldern liegen unzählige Plastiktüten herum. Das Bewusstsein und das Geld sind nicht da, um den Abfall zu entsorgen.» Christian Randegger zeigt auf seinem Tablet eindrückliche Bilder von seiner Reise. Man merkt, dass er gerne fotografiert. Seine Freizeit nutzt er zudem zum Tauchen. «In warmen Gewässern», wie er betont. Er verbringt gerne Zeit mit seiner Familie und Freunden, liest und schaut Filme. Er meide Risiken auch im Privatleben, sagt Christian Randegger. Er habe meist im Kopf, was alles passieren könnte. Das mache die Aktivitäten manchmal etwas weniger genussvoll. «Aber ich lebe sehr gut damit und bin mit Gesundheit, Glück und schönen Beziehungen gesegnet.»
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