Ein neuer Platz für Fahrende in Wittinsburg
Jenische und Sinti halten in Wittinsburg (BL) schon seit Jahrzehnten. Nun wurde der kantonal betriebene Durchgangsplatz «Holchen» saniert und aufgewertet – das freut nicht nur die Fahrenden, sondern auch die Bevölkerung der kleinen Gemeinde.
Rund ein Dutzend moderne Wohnwagen stehen an diesem regnerischen Tag auf dem Durchgangsplatz «Holchen» in Wittinsburg. Die Jenische Marina Birchler hat eben am Automaten ein Ticket für ihren Stellplatz gelöst. Jetzt installiert sie mit ihrem Mann das Vorzelt vor ihrem Wohnmobil. Ihnen gefalle der neu sanierte Platz unmittelbar an der Kantonsstrasse sehr gut, sagen die beiden. Seit der Neueröffnung im Herbst 2021 sind sie nun schon das zweite Mal hier. «Er ist schön gemacht, sehr sauber, hat Dusche und WC, und die Leute sind freundlich», sagt Marina Birchler. Im Sommer sei es mit dem Wald gleich nebenan schön schattig. «Auch die Anmeldung ist mit dem Automaten ganz unkompliziert, so müssen wir nicht extra auf die Gemeindeverwaltung.»
Die Wittinsburger Gemeindepräsidentin Caroline Zürcher sagt, die Fahrenden seien in der Gemeinde gut akzeptiert. «Der Durchgangsplatz wird seit 1993 vom Kanton betrieben», erklärt sie. Die kleine Gemeinde mit rund 430 Einwohnerinnen und Einwohnern hat zu wenig Ressourcen, um den Platz selbst zu betreiben. Dennoch hat die Gemeindepräsidentin immer wieder Kontakt zu den Fahrenden. Liegt ein Durchgangsplatz in einer Gemeinde, könnten zum Beispiel Fragen zur Beschulung der Kinder oder Sozialhilfe aufkommen.
Die Zusammenarbeit mit dem Kanton sei sehr gut, sagt Caroline Zürcher. «Wir wurden früh über die Pläne zur Sanierung des Platzes informiert, in die einzelnen Schritte stets einbezogen, und der Kanton hat die Bevölkerung an einem Informationsabend orientiert.» Aus der Bevölkerung seien die Reaktionen positiv gewesen. «Die meisten waren froh, dass der Platz saniert wird. Auf dem alten Platz herrschten teils menschenunwürdige Zustände.» So seien die sanitären Anlagen sehr schmutzig gewesen.
«Wir wurden früh über die Pläne zur Sanierung des Platzes informiert, in die einzelnen Schritte stets einbezogen, und der Kanton hat die Bevölkerung an einem Informationsabend orientiert.»
Einfach, aber funktional
Ganz anders jetzt bei der Besichtigung mit Jonas Wirth und Brigitte Reinhard vom Hochbauamt des Kantons Basel-Landschaft. Jonas Wirth ist Projektleiter der Sanierung, Brigitte Reinhard ist für den Betrieb des Platzes zuständig. Sie zeigt die WCs und Duschen im Sanitärcontainer: Die weissen Fliesen sind sauber, und der Container ist geheizt. Auf einer grösseren überdachten Fläche gleich neben dem Container können die Benutzerinnen und Benutzer verschiedene Arbeiten verrichten. Einmal pro Woche werden die Anlagen geputzt, ein Sicherheitsdienst kontrolliert regelmässig die Anmeldungen und die Bezahlung der Standgebühren.
«Wir haben die Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende und über diese die Fahrenden selbst in die Konzipierung des Platzes miteinbezogen», sagt Jonas Wirth. Das war wichtig für gewisse Details: Zum Beispiel liegt der Eingang zum WC auf der von den Wohnwagen abgewandten Seite des Containers. «Die Fahrenden möchten nicht von ihren Vorzelten direkt in die WCs sehen.» Brigitte Reinhard und Jonas Wirth sagen, dass der Platz auf Wunsch der Jenischen und Sinti bewusst einfach gehalten sei. Es gibt nicht mehr Infrastruktur als nötig und auch keine Markierungen am Boden für die Wohnwagen. Die Nutzerinnen und Nutzer organisieren sich selbst rund um die zehn Plätze mit Strom- und Wasseranschluss.
Gesetzlich vorgeschrieben
«Der Platz ist für uns ein gelungenes Beispiel», sagt Simon Röthlisberger, Geschäftsführer der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende. Einerseits sei die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Kanton sehr gut gewesen, andererseits sei die Infrastruktur vorbildhaft. Positiv sei auch, dass der Platz auch im Winter offen sei, dies im Gegensatz zu anderen Durchgangsplätzen.
Im Landrat, dem Parlament des Kantons Baselland, war die Sanierung unbestritten. Die budgetierte Summe von 1,21 Millionen Franken für die Sanierung kam mit einer grossen Mehrheit durch. «Die Situation vorher war unkontrolliert, jetzt haben wir hier einen geordneten Betrieb», sagt Jonas Wirth.
In der kantonalen Gesetzgebung ist seit 2014 vorgeschrieben, dass es Durchgangs- und Standplätze für Fahrende braucht. Sie sind als nationale Minderheit anerkannt und haben als solche ein Anrecht auf Lebensraum. Derzeit gibt es zwei gesicherte Durchgangsplätze im Kanton Baselland; neben jenem in Wittinsburg noch einen in Liestal.
Wie gut der Platz in Wittinsburg genutzt wird, können Jonas Wirth und Brigitte Reinhard noch nicht abschliessend sagen, dafür fehlen derzeit noch verlässliche Zahlen. Gemeindepräsidentin Caroline Zürcher beobachtet, dass er immer öfter gut belegt ist. «Das ist schön, dafür ist er schliesslich da.» Und die Jenischen und Sinti freuen sich, dass ein traditionsreicher Platz erhalten wird. Denn wie die Jenische Marina Birchler sagt, hätten bereits ihre Grosseltern hier gehalten – lange bevor der Kanton 1993 einen offiziellen Platz einrichtete.
Die verschiedenen Arten von Plätzen für Jenische, Sinti und fahrende Roma
- Durchgangsplätze: Sie sind für kürzere Aufenthalte von Schweizer Jenischen und Sinti gedacht. Die Aufenthaltsdauer ist auf einen Monat beschränkt. Danach ziehen die Fahrenden weiter. Laut dem Standbericht 2021 der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende gibt es derzeit total 24 Durchgangsplätze in der ganzen Schweiz, der Bedarf liege aber bei rund doppelt so vielen.
- Standplätze: Hier verbringen die meisten Jenischen und Sinti den Winter. In der Regel haben sie hier ihre Wohnadresse und sind bei der Gemeinde gemeldet. Diese Plätze sind meist mit kleinen Fertigchalets eingerichtet. In der Schweiz gibt es derzeit 16 Standplätze, laut der Stiftung braucht es 20 bis 30 weitere Standplätze.
- Transitplätze: Diese Plätze sind mit 20 bis 40 Stellplätzen für Wohnwagen grösser und für ausländische fahrende Roma gedacht, die in der Schweiz Halt machen. Total gibt es sieben Transitplätze in der Schweiz. Zehn neue Transitplätze sind laut der Stiftung nötig.
Finanzhilfen und Handbuch für Behörden
In der Schweiz gibt es derzeit immer noch zu wenig Stand-, Durchgangs- und Transitplätze für Fahrende. Darauf macht die Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende, in der auch der Schweizerische Gemeindeverband vertreten ist, aufmerksam.
Um den Bau neuer oder die Sanierung bestehender Plätze zu fördern, ist in der Kulturbotschaft 2021–2024 des Bundes eine Teilfinanzierung vorgesehen von insgesamt je einer Million Franken für die Jahre 2023 und 2024. Kantone und Gemeinden, die Plätze totalsanieren möchten oder neue Plätze bauen wollen, können dafür eine Finanzierungshilfe beim Bund beantragen. Auch Vorarbeiten wie Machbarkeitsstudien und Sensibilisierungsprojekte werden unterstützt.
Zusätzlich veröffentlicht die Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende ein Handbuch für Behörden, das Themenbereiche wie die Wasserversorgung, Stromversorgung oder die Bewirtschaftung eines Halteplatzes für Fahrende abdeckt. Im Handbuch sind auch Musterreglemente für den Betrieb eines Platzes enthalten. Es wurde von der Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Kultur, dem Bundesamt für Raumentwicklung, dem Schweizerischen Gemeindeverband sowie Jenischen und Sinti selbst erarbeitet.