Rosette Pasche zeigt den Wandteppich, an dem sie mehrere Jahre lang gearbeitet hat.

Ein autonomes Leben auch im hohen Alter

18.06.2022
6 | 2022

Mit fast 90 Jahren ist Rosette Pasche nochmals umgezogen: In eine Alterswohnung in Bex (VD). Ihre neue Unterkunft bietet einen sicheren Rahmen und erlaubt ihr gleichzeitig, selbstständig zu bleiben.

Rosette Pasche stellt einen Topf mit einer Fuchsia wieder gerade hin, nachdem ihn der Wind umgeblasen hat. Dann giesst sie sorgfältig die anderen Pflanzen auf ihrem Balkon und zupft da und dort ein welkes Blatt weg. Rosa Nelken, bunte Stiefmütterchen, Papyrus, aber auch Basilikum und Schnittlauch: Rosette Pasche hat einen grünen Daumen. Es war ihr wichtig, in ihrer neuen Wohnung genug Platz zu haben, um ihrer Leidenschaft weiterhin nachzugehen. Diesen Herbst feiert sie ihren 90. Geburtstag. Und es wird ein Jahr her sein, dass sie aus ihrem grossen Haus in Lavey gezogen ist, wo sie geboren wurde und ihr ganzes Leben verbracht hat. «Noch vor einem Jahr habe ich dort meinen Gemüsegarten gepflegt.»

Nach Jahrzehnten des Glücks mit ihrem Ehemann wurde Rosette Pasche vor elf Jahren zur Witwe. «Wenn man plötzlich alleine ist, ist das nicht so einfach», sagt sie. Das Haus und der grosse Garten brauchten viel Arbeit. Das wurde ihr im Laufe der Jahre zu viel. Deshalb hat sie beschlossen, in eine Wohnung der betreuten Wohnsiedlung «Les Barmottes» zu ziehen. «Ich habe diese Entscheidung ganz alleine getroffen. Das war ein grosser Schritt. Aber ich bereue ihn wirklich nicht.»

Gewisse Hobbys weiterhin pflegen

In ihrer Wohnung in Bex (VD) ist sie auf bekanntem Terrain, denn sie kennt den Ort von ihrer Arbeit und ihrer Tätigkeit in Vereinen. Sie schätzt die Lage ihres Wohnhauses, denn von dort kann sie zu Fuss einkaufen, ins Dorfzentrum und zum Bahnhof gehen. Gleichzeitig hat sie eine schöne Sicht auf die Berge. Rosette Pasche liebt es zu spazieren und findet viele schöne Routen in der Umgebung. Zum Beispiel in den Weinbergen, die sie vom Fenster aus sieht. «Ich beklage mich nicht, ich habe noch meinen Kopf und meine Beine», wirft sie ein. Die Waadtländerin war zeitlebens sehr sportlich: Sie wanderte, fuhr Ski und schwamm. Sogar mit über 80 Jahren turnte sie noch.

Rosette Pasche kocht sich jeden Tag selbst ihre Mahlzeiten. Allerdings schafft sie es wegen ihrer Arthrose nicht mehr, all ihren handwerklichen Hobbys von früher nachzugehen, so etwa der Töpferei, Knüpfarbeiten, dem Sticken oder Mosaiklegen. Aus ihrem Haus hat sie zahlreiche Schätze mitgebracht, die von ihrer Kreativität zeugen und wertvolle Erinnerungen enthalten: eine mit Wiesenblumen bestickte Tischdecke, mit Baumblättern bemalte Servietten, einen mit Muscheln verzierten Untersetzer. Und an der Wand hängt ein Wandteppich mit tapferen Pferden, an dem sie mehrere Jahre gearbeitet hat.

Die sozialen Kontakte pflegen

Natürlich hat sie nur einen Teil ihres alten Haushalts mit in die neue Wohnung nehmen können. «Wenn man in einem grossen Haus wohnt mit viel Platz, hat man die Tendenz, unnütze Dinge anzuhäufen. Mit fünfmal weniger als zuvor habe ich immer noch mehr als genug.» Das Wichtigste ist für sie sowieso, die Kontakte zu ihrer Familie und ihren Freunden zu pflegen: ihre Nichten und Neffen oder die ehemaligen Nachbarn aus Lavey zu besuchen, an den Ausflügen des Bäuerinnenverbands aus der Region teilzunehmen oder mit den Freundinnen aus ihrer alten Turngruppe essen zu gehen.

Rosette Pasche ist sehr unabhängig und hofft, noch lange in ihrer Wohnung bleiben zu können, statt in ein Pflegeheim zu müssen. «In meinem Alter will ich nicht mehr 36-mal umziehen. Hier fühle ich mich gut und aufgehoben. Es ist gemütlich und gut eingerichtet.» So sei zum Beispiel die Dusche gross und auch mit dem Rollstuhl befahrbar, wenn dies eines Tages nötig sein sollte. Momentan hat Rosette Pasche aber noch viel Energie. Wenn sie nichts zu tragen hat, lässt sie den Lift links liegen und nimmt die Treppe zu ihrer Wohnung im zweiten Stock. «Es sind 32 Stufen, ich habe sie gezählt», lacht sie mit einem Funkeln in ihren klaren Augen.

Betreutes Wohnen: Auf den individuellen Rhythmus eingehen

«Herz, Körper, Geist»: Diese drei Worte schmücken die Aussenwand der Wohnsiedlung «Les Barmottes» in Bex (VD). Sie stehen für die Art und Weise, wie ihre Gründer die Aufnahme von älteren Menschen, Menschen mit eingeschränkter Mobilität und Menschen mit Behinderungen verstehen. Die Residenz steht unter der Schirmherrschaft des gemeinnützigen Vereins Habitat Santé, der sich mit Medhol (Integrative Gesundheit), Le Soutien (Pflege zuhause) und Tagi-Constructions zusammengeschlossen hat. Ein zweiter Standort in St-Cergue (VD) ist für diesen Herbst geplant, danach weitere an anderen Orten in der Westschweiz.

Das Gebäude in Bex wurde im Frühjahr 2021 fertiggestellt und verfügt über rund 20 eigenständige und barrierefreie Wohnungen. Eine 2½-Zimmer-Wohnung mit 51 m2 wird für 1700 Franken inklusive Nebenkosten vermietet, eine 3½-Zimmer-Wohnung mit 71 m2 für 1900 Franken. Eine Pflegefachkraft ist Tag und Nacht im Gebäude anwesend. Jede Bewohnerin und jeder Bewohner kann ihren oder seinen Hausarzt behalten, hat aber gleichzeitig einen erleichterten Zugang zu komplementären Therapieangeboten (z.B. Ernährung, Hypnotherapie, Massagen). Die Bewohner gestalten ihren Alltag auf ihre eigene Art und Weise, ohne ein aufgezwungenes Leben in einer Gemeinschaft führen zu müssen. Sie können aber, wenn sie wollen, einen sozialen Austausch pflegen.

«Das Ziel ist es, eine gute Lebensqualität zu niedrigen Kosten zu bieten», erklärt Jean-Luc Tuma, der Entwickler und Mitbegründer von Habitat Santé. Er verfügt über 30 Jahre Erfahrung im medizinischen Bereich und hat sich mit anderen Fachleuten zusammengetan, die seine Philosophie teilen: Statt sich auf die Krankheit zu konzentrieren, sollte man sich auf die Gesundheit konzentrieren, um diese so gut wie möglich und auf ganzheitliche Weise zu erhalten. Sich auf die funktionellen Teile des Menschen konzentrieren und ihm ermöglichen, das zu entwickeln, was für ihn Sinn ergibt.

Martine Salomon
Übersetzung: Nadja Sutter