E-Scooter von TIER am Berner Hirschengraben.

E-Trottinette – welche Regulierung ergibt Sinn?

04.10.2023
10 l 2023

Neue Angebote geteilter Mikromobilität stellen Städte und Gemeinden vor Herausforderungen, bieten aber auch Chancen für eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung. Ein Leitfaden zeigt, wie sinnvolle Regulierung aussehen kann.

Seit 2018 die ersten geteilten, elektrischen Trottinette (sogenannte E-Scooter) auf Schweizer Strassen in Erscheinung getreten sind, ist das Angebot von Jahr zu Jahr rapide gewachsen. In den meisten Fällen wird E-Scooter-Sharing von international tätigen Anbietern betrieben, deren Werteversprechen lautet, mit einem weitestgehend privatwirtschaftlich finanzierten Angebot einen Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilität zu leisten. Längst stehen nicht mehr nur die Agglomerationskerne, sondern auch Kleinstädte und Gemeinden im Fokus. Aktuell sind in rund 40 Städten und Gemeinden knapp 10 000 geteilte E-Scooter unterwegs. Dies zeigen Zahlen der Swiss Alliance for Collaborative Mobility (Chacomo), bei der alle namhaften, in der Schweiz tätigen Anbieter angeschlossen sind.

Neue Herausforderungen, aber auch Chancen

Anders als die traditionellen Bikesharing-Angebote sind die geteilten E-Scooter klassischerweise im «Free Floating»-Modus unterwegs. Das bedeutet, sie können nach der Nutzung an jedem beliebigen Ort in einem definierten Betriebsperimeter abgestellt werden. Diese neuen Nutzungsansprüche im öffentlichen Raum können zu Problemen führen: versperrte Trottoirs, grosse Ansammlungen von Trottis, Fahrten in Fahrverbotszonen. Bisweilen werden auch Sicherheitsbedenken und unerwünschte Verlagerungseffekte gegen die geteilten E-Scooter ins Feld geführt. Demgegenüber steht, dass geteilte E-Scooter einem echten Bedürfnis entsprechen und einen Beitrag an ein vielfältiges Angebot an kollektiv nutzbaren und emissionsarmen Mobilitätswerkzeugen leisten. Diese Chancen gilt es zu nutzen. Gefragt sind regulatorische Rahmenbedingungen, welche die Eigenwirtschaftlichkeit der geteilten Mikromobilität fördern und deren verkehrlichen Nutzen maximieren.

Vorausschauende Regulierung und partnerschaftliche Zusammenarbeit

Im Rahmen des von EnergieSchweiz unterstützten Programms «Shared Mobility Accelerator» hat die Mobilitätsakademie des TCS auf der Basis intensiver Gespräche mit der Branche, Städten und Gemeinden einen Leitfaden für sinnvolle regulatorische Massnahmen erarbeitet. Dieser richtet den Fokus auf konkrete Empfehlungen, die Städte und Gemeinden dabei unterstützen sollen, geeignete Spielregeln für die Bewilligung und den Betrieb geteilter E-Scooter zu definieren. Kernpunkte aus diesem «Blueprint Shared Micromobility» sind:

Der Zugang zum Markt beziehungsweise zum öffentlichen Raum muss reguliert werden. Eine Beschränkung der Anzahl Anbieter und die Festlegung von Flottenobergrenzen sind zentrale Voraussetzungen für einen erfolgreichen Betrieb und die Vermeidung von Nutzungskonflikten. Das sehen auch praktisch alle in der Schweiz tätigen Anbieter so.

Die Auswahl der Anbieter muss nach einem fairen Verfahren mit transparenten Kriterien erfolgen. Zurzeit besteht eine sehr heterogene Praxis in der Schweiz, die von Bewilligungen über Konzessionen bis hin zu öffentlichen Ausschreibungen reicht. Unabhängig vom gewählten Verfahren ist es zentral, dass der Auswahlprozess offen und auf Basis von transparenten und technologieneutralen Kriterien ausgestaltet wird.

Bei der Festlegung von Gebühren ist Zurückhaltung geboten. Gebühren für die Nutzung des öffentlichen Raums können die Eigenwirtschaftlichkeit der Geschäftsmodelle gefährden, insbesondere ausserhalb der dicht bebauten Agglomerationskerne. Falls Gebühren erhoben werden, sollten fixe Beträge pro Fahrzeug festgelegt werden. Variable, monetäre Leistungen an die Städte sollten nicht als Auswahlkriterium genutzt werden, weil dies risikokapitalstarke Anbieter übermässig bevorteilen kann.

Markierte Stellplätze schaffen mehr Ordnung im öffentlichen Raum. Immer mehr Städte gehen dazu über, in dicht bebauten Zonen mit hohem Nutzungsdruck spezielle Stellplätze für E-Scooter-Sharing einzurichten. Einige Städte wie Schaffhausen und Illnau-Effretikon erproben zurzeit rein stationsbasierte Angebote. Damit das Angebot für die Nutzenden attraktiv bleibt, ist ein dichtes Netz von Stellplätzen vorzusehen.

Erfolgreiche Regulation bedingt Kollaboration: Eine nutzenstiftende Integration geteilter Mikromobilität in die Mobilitätskonzepte von Städten und Gemeinden erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Anbietern und Behörden auf Basis mehrjähriger Verträge. In diesen sind Mechanismen vorzusehen, die eine flexible Angebotsgestaltung je nach Nachfrageentwicklung ermöglichen.

Das oberste Ziel der Empfehlungen besteht darin, die Chancen von geteilter Mikromobilität zu maximieren und die Risiken auf sozialer, ökologischer sowie betriebswirtschaftlicher Ebene zu minimieren. Wie die unterschiedlichen regulatorischen Handlungsfelder ausgestaltet werden, wird nebst den Entwicklungen auf Anbieterseite darüber entscheiden, ob eine nachhaltige Integration der neuen Angebote in den urbanen Verkehr gelingt.

Jonas Schmid
Mobilitätsakademie des TCS
Leiter Neue Mobilität