Digitalisierung: Gemeinden sind motiviert, aber selbstkritisch
Eine Mehrheit der Gemeinden sieht in der digitalen Transformation vor allem Chancen, ist mit der eigenen Umsetzung aber unzufrieden. Dies zeigt die zweite Gemeindebefragung des Vereins «Myni Gmeind» mit dem SGV und TransferPlus.
Wie bei der ersten Durchführung vor einem Jahr beurteilen die Schweizer Gemeinden die digitale Transformation in der grossen Gemeindebefragung durchaus positiv: Fast sämtliche Befragten (97 Prozent) berichten, dass ihre Gemeinde mit dem Thema Digitalisierung mehr Chancen als Risiken verbindet und ebenso viele (98 Prozent) haben in ihrer Gemeinde innerhalb der letzten zwölf Monate konkrete Digitalisierungsprojekte realisiert oder zumindest initiiert. Die wichtigsten Beweggründe für Aktivitäten sind die Steigerung der Effizienz, die Verbesserung des Kundennutzens und die Stärkung des Kontakts mit der Bevölkerung. An das Potenzial für «die Senkung der Kosten» (22 Prozent) und die «stärkere Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden» (23 Prozent) dank dem technologischen Wandel glauben offenbar weniger Gemeinden.
Die Attraktivität als Arbeitgeberin hat im Vergleich zum Vorjahr als Motivation stark an Bedeutung gewonnen (von 34 Prozent auf 49 Prozent) – möglicherweise eine Konsequenz des Homeoffice während der Covid-19-Krise und ein Abbild des stark umkämpften Arbeitsmarktes wegen des Fachkräftemangels (siehe Abbildung 1).
Weiterhin grosser Handlungsbedarf
An der Umfrage teilgenommen haben vor allem Gemeindeschreiberinnen oder Stadtschreiber (62 Prozent), gefolgt von Vertreterinnen und Vertretern aus den Gemeinde- und Stadtpräsidien (13 Prozent). Entsprechend werden die Einsatzmöglichkeiten vor allem bei der Modernisierung ihrer Behördenleistungen, der Kommunikation mit Bevölkerung und Wirtschaft und digitalen Dienstleistungen wie dem Online-Schalter verortet. Weniger wichtig scheint den Kommunen die Digitalisierung in Infrastrukturbereichen wie Werkhof, Mobilität und Immobilienmanagement (siehe Abbildung 2).
Die Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation
Werden die Gemeinden aufgefordert, Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung in eine Reihenfolge zu bringen, wird an erster Stelle der «politische Wille» (wichtigster Erfolgsfaktor) genannt, gefolgt von «genügenden personellen Ressourcen» und einer «offenen Kultur» als drittwichtigstem Faktor (siehe Abbildung 3).
Die Defizite: kein Personal, mangelnde finanzielle Mittel, fehlende Kompetenzen
Hervorragende Voraussetzung für rasche Fortschritte, könnte man meinen. Mitnichten! Denn die Gemeinden schätzen den eigenen Entwicklungsstand pessimistisch ein: 58 Prozent sehen sich als Nachzügler in der Digitalisierung. Nur 2 Prozent bezeichnen sich selbst als Vorreiter. Und sie geben sich schlechte Noten, was den Stand in ihrer eigenen Gemeinde betrifft: Nur in zwei von dreizehn Kategorien bewerten sie sich als genügend. Sorgen bereiten den Verantwortlichen vor allem die Ressourcen: Es mangelt aus Sicht der Gemeinden vor allem an Personal, finanziellen Mitteln und den Kompetenzen, um die digitale Transformation meistern zu können.
Spannend: Vorreitergemeinden gehen strategischer und professioneller vor
Die Defizite durch Kooperation wettzumachen, steht jedoch nur für eine Minderheit im Fokus: Mit 29 Prozent ist der Anteil jener Gemeinden, die mit anderen Kommunen zusammenarbeiten (wollen), weiterhin sehr tief. Jene Gemeinden, die eine verantwortliche Stelle oder Person für die Digitalisierung bestimmt oder eine Digitalstrategie definiert haben, gehören deutlich häufiger zu den Vorreitern.
Wie können Gemeinden die Hindernisse überwinden?
Die Gemeindebefragung liefert dem Verein Myni Gmeind und dem Schweizerischen Gemeindeverband wertvolle Hinweise für die Ausgestaltung ihrer Unterstützungsangebote. So trifft das neue Weiterbildungsangebot für Gemeinden, der im Herbst 2022 zum zweiten Mal stattfindende Grundkurs Digital-Pionier, offensichtlich den Nerv der Zeit (www.digitalpionier.ch).
Viele Gemeinden kämpfen auch mit mangelnden finanziellen und personellen Mitteln. Daher müssen sich Gemeinden schwierigen Fragen stellen: Welche Aufgaben sollen sie als Kernprozesse selbstständig erfüllen, welche mit Partnern? Ist eine Fokussierung möglich, damit ihre Ressourcenlage ausreicht?
Die digitale Transformation bleibt ein Brennpunkt der aktuellen Gemeindeentwicklung. Wir danken allen Gemeinden für die Teilnahme und Experten aus dem Gemeindeumfeld für ihre Unterstützung (siehe Kasten). Schon heute sind wir gespannt auf die Resultate der Befragung 2023!
Zur Umfrage
Diese Studie wurde an der «Suisse Public Smart» vom 23. Juni 2022 in Bern präsentiert. Die detaillierten Resultate sind auf www.mynigmeind.ch/umfrage publiziert. Sie wurde finanziell durch EnergieSchweiz unterstützt. An der Konzeption beteiligten sich Rolf Bosshard (Gemeindepräsident Tobel-Tägerschen, TG), Roman Cueni (Verwaltungsleiter Aesch, BL) und Patrick Aeschlimann (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Gemeinden der Ostschweizer Fachhochschule).
Studiensteckbrief:
Trägerschaft/Durchführung: Verein Myni Gmeind, Schweizerischer Gemeindeverband, TransferPlus AG Markt- und Meinungsforschung
Zeitraum/Methode: Mai 2022 / Computer Assisted Web Interview (CAWI)
Stichprobe: 760 Gemeinden (entspricht rund einem Drittel aller 2145 Gemeinden der Schweiz)
Statistischer Standardfehler: maximal ± 2,9 Prozentpunkte bei einem Konfidenzintervall von 95 Prozent