Digitalisierung: Gemeinden hätten gerne mehr davon
Viele Gemeinden erkennen in der Digitalisierung grosse Chancen, sehen in der eigenen Gemeinde aber erheblichen Nachholbedarf. Das ist das Resultat einer Befragung unter 400 Gemeinden im Auftrag des Vereins «Myni Gmeind».
Drei von fünf Befragten sind der Ansicht, dass ihre Gemeinde den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung hinterherhinkt: Diese Einschätzung ist insbesondere deshalb ernst zu nehmen, weil ein überwiegender Teil der Befragten in der Digitalisierung eher Chancen als Gefahren sieht. Doch in Sachen Digitalisierungsfortschritt erreicht die eigene Gemeinde im Durchschnitt nur gerade die Note 3,8 auf einer Skala von 1 bis 6. Lediglich einer von fünf Befragten vergibt die Note 5 oder gar eine 6.
Auf halbem Weg
Nur gerade ein Prozent der Teilnehmenden schätzt denn auch die eigene Gemeinde als «Vorreiterin» ein, während drei von fünf Personen die eigene Gemeinde eher als «Nachzüglerin» bezeichnen. Insgesamt meinen die Befragten, dass die eigene Gemeinde etwa in der Mitte auf dem Weg zur vollständigen Digitalisierung steht. Das kommt auch in der Note 3,8 für den Digitalisierungsfortschritt zum Ausdruck.
Effizienzsteigerung wichtiger als Kostensenkung
Als wichtigstes Ziel nennen die Gemeinden die Effizienzsteigerung (knapp 80 % aller Nennungen). Drei von fünf Gemeinden wollen die Schnittstelle zum Bürger stärken (Wirkungsziel), während knapp die Hälfte als wichtigen Treiber die Anforderungen von Partnern (Bund und Kanton) angeben. Insgesamt interessant bei diesem Fragekomplex: Obwohl die Effizienzsteigerung im Vordergrund steht, meinen nur 21 Prozent, dass mit der Digitalisierung auch die Kosten gesenkt werden können. Ob dies Ausdruck einer eher geringen Kostensensibilität oder der Sorge wegen Mehrkosten durch die Digitalisierung ist, bleibt offen.
175 Teilnehmende oder 38 Prozent geben an, dass in ihrer Gemeinde eine Person die Digitalisierung bereichsübergreifend koordiniert. Dieser Anteil stimmt recht genau mit denjenigen Gemeinden überein, die sich «eher als Vorreiterin» einschätzen. Obwohl diese Koordinationsstelle in zwei von fünf Fällen eingesetzt wird, leitet nur etwa eine von sechs Gemeinden ihre Digitalisierungsprojekte auch von einer übergeordneten Strategie ab. Und nur in etwas über zehn Prozent aller Fälle werden Digitalisierungsprojekte explizit budgetiert. Dies lässt darauf schliessen, dass die Strukturen weiter entwickelt sind als die Prozesse, was den Digitalisierungsfortschritt behindern dürfte.
Lieber im Alleingang
Nur knapp jede vierte Gemeinde plant, Digitalisierungsprojekte gemeinsam mit anderen Gemeinden anzugehen. Die übrigen 75 % bevorzugen den Alleingang, entweder mit externen Dienstleistern (40 %) oder ohne (36 %).
Der Befund kommt nicht unerwartet, lässt aber dennoch aufhorchen. Denn: Kooperationen und Erfahrungsaustausch dürften den Digitalisierungsprozess erleichtern. Es bestünde also viel Potenzial für eine effizienzsteigernde Zusammenarbeit.
Die folgenden vier Bereiche bilden mit grossem Abstand die bereichsbezogenen Schwerpunkte:
· Einwohnerdienste und allg. Verwaltung (288 bzw. 273 Nennungen): E-Umzug, Digitalisierung interner Arbeitsabläufe und Onlineschalter/Onlinedienste
· Bau + Planung (278): E-Bau (im Sinne der Abwicklung von Baugesuchen) sowie die Digitalisierung von Prozessen wie Onlineschalter, Digitalisierung von Plänen und die Projekt- und Geschäftskontrolle.
· Finanzen (260)
Bei den Digitalisierungsprojekten werden nachfolgende Prioritäten genannt:
· Einführung zu Homeoffice (276 Nennungen)
· Software- und Hardwareanschaffung (254 bzw. 235)
· Videokonferenzen statt persönlicher Treffen (246)
· Digitale Dokumente statt Papier (238)
Erfolgsfaktoren
Unter den Erfolgsfaktoren wird die «Motivation der Mitarbeitenden» als am wichtigsten bewertet (durchschnittlich auf dem 4. Rang, siehe Abb. 2). Thematisch stimmig folgt eine «offene Kultur gegenüber Digitalem» (Rang 4,3). Mit etwas Abstand rangieren die «digital auszugestaltenden Arbeitsprozesse» (Rang 4,9) und die «Anpassung der Strukturen» (Rang 5). Abgeschlagen auf den letzten Rängen liegen «digitale Tools» (Rang 5,6) und die «Motivation sowie Befähigung der Einwohnerinnen und Einwohner zur Nutzung von digitalen Tools» (Rang 7 bzw. 7,7).
Erkenntnisse
Die tiefe Rangierung der Befähigung der Bevölkerung kann viele Gründe haben. Insgesamt bewegen sich die Akteure möglicherweise in einem gewissen Spannungsfeld: Einerseits beurteilen sie die Motivation und eine offene Kultur als die wichtigsten Erfolgsfaktoren und schätzen ihre eigene Einstellung zur Digitalisierung als positiv ein. Andererseits beurteilen sie den eigenen Digitalisierungsfortschritt skeptisch und halten verstärkte Zusammenarbeit unter den Gemeinden nicht unbedingt für nötig, obwohl Kooperationen und Erfahrungsaustausch in Digitalisierungsprojekten durchaus sinnvoll sind.
Dies erlaubt die Frage, was im Prozess der Digitalisierung von Gemeinden insgesamt verbessert werden könnte. Gelegenheit zur Diskussion besteht am 29. Juni im Rahmen der Onlinekonferenz von «Myni Gmeind Live».
Vorstellung der Ergebnisse bei «Myni Gmeind Live» am 29. Juni
Möchten Sie mehr zu den Umfrageergebnissen erfahren und mit anderen Gemeinden Ihre Digitalisierungserfahrungen austauschen? In der nächsten Ausgabe der Onlinekonferenz «Myni Gmeind Live» des Schweizerischen Gemeindeverbandes und des Vereins «Myni Gmeind» stellen die Autoren die Resultate der Befragung vor und beantworten Ihre Fragen. Melden Sie sich jetzt für den Anlass am 29. Juni von 8 bis 9 Uhr an: www.chgemeinden.ch/de/kampagnen-projekte
Der 2018 gegründete Verein «Myni Gmeind» unterstützt Gemeinden und Regionen mit Digitalisierungsprojekten auf dem Weg zum «smart village» und zur «smart region». Der Schweizerische Gemeindeverband ist seit 2019 enger Partner des Vereins. Verschiedene Firmen und Verbände engagieren sich in Projekten und mit finanzieller Unterstützung.
Informationen:
Die Umfrage im Auftrag des Vereins «Myni Gmeind» wurde vom 14. April bis 12. Mai 2021 bei den Schweizer Gemeinden durchgeführt. Die Studienverantwortung liegt bei der Transfer Plus AG, Markt- & Sozialforschung, Luzern. Die Stichprobe umfasst 462 Gemeinden, die Antworten stammen von Verwaltungsmitarbeitern und Gemeinderäten (je 1 Teilnahme pro Gemeinde).