Digitale Dorfstrasse – das lokale Gewerbe der Zukunft
Ein Kooperationsprojekt mit dem Verein Myni Gmeind in Adelboden zeigt auf, wie der Detailhandel den Sprung in die digitale Welt schafft. Einblicke nach der ersten Saison.
Blenden wir zwei Jahre zurück: Auch in Adelboden sind im Lockdown im Frühling 2020 alle Geschäfte geschlossen. Wie bringt nun der Metzger seine lokalen Würste, der Käser seine Spezialitäten, die Bäckerei ihr frisches Brot an die Kunden? Findige junge Einheimische reagieren rasch: Mit dem Privatauto fahren sie die Ware im Dorf aus.
Rückblickend sagen viele Gewerbler, die Pandemie habe ihnen die Augen geöffnet, wie bedeutend alternative Bestell- und Vertriebswege geworden seien. Die Covid-19-Krise hat damit auch ihr Gutes: Das von verschiedenen Initianten – darunter der innovative Hotelier Chris Rosser, Gemeindeschreiberin Jolanda Trachsel und Myni-Gmeind-Präsident Alexander Sollberger – schon 2019 angestossene Projekt für eine «digitale Dorfstrasse» in Adelboden nimmt Fahrt auf.
Die Qual der Wahl
Denn klar ist für alle Beteiligten: Nicht nur in der Pandemie ist Flexibilität gefragt, sondern auch in «normalen» Zeiten. Viele Gäste aus dem Unterland bestellen im Alltag längst nicht nur Elektrogeräte und Schuhe im Internet – sondern auch Lebensmittel. Kundinnen und Kunden wollen ihr Einkaufsverhalten nicht mehr nach Ladenöffnungszeiten ausrichten. Was für das alltägliche Leben gilt, trifft erst recht auf Ferien und Freizeit zu.
Die digitale Dorfstrasse in Adelboden bietet die gewünschte Flexibilität und Annehmlichkeiten: Hochwertige einheimische Produkte und regionale Spezialitäten von einem guten Dutzend Adelbodner Gewerbebetrieben können rund um die Uhr online im Webshop bestellt werden. Beim Bezug haben Gäste und Einheimische die Qual der Wahl: Abholen in der neuen Vogellisi-Welt im Aparthotel am Dorfplatz jeden Tag bis 22 Uhr, Pick-up mit QR-Code in 24-Stunden-Abholboxen, Lieferung an die Haustür – oder zentral organisierter Postversand in die ganze Schweiz.
So kann eine Zweitwohnungsbesitzerin auch bei einer Anreise am späten Freitagabend noch vom frischen, lokalen Angebot profitieren. Die jungen Mountainbiker, die am Samstag eine lange Tour absolvierten, kaufen nach Sonnenuntergang noch rasch die Zutaten für das Fondue in ihrer Ferienwohnung ein. Tourismusmitarbeitende versorgen sich zu Randzeiten unkompliziert mit Lebensmitteln. Und Tagesgäste können die Mittagsverpflegung für ihren Skitag unkompliziert vorbestellen und in der Abholbox an der Zufahrtsstrasse kurz vor dem Dorfeingang beziehen.
Kurz vor Weihnachten 2021 nahm die digitale Dorfstrasse ihren Betrieb auf. Im April 2022 wurde die Pilotphase abgeschlossen – mit ermutigenden ersten Ergebnissen, aber auch im Wissen, dass noch viel Arbeit ansteht. Denn das Projekt stösst auf grosses Interesse, muss Gästen wie Einheimischen aber auch noch besser vermittelt werden. Gerade die Online-Bestellung ist für manchen noch ungewohnt und damit eine Hürde.
Breite Trägerschaft als Erfolgsfaktor
Nicht nur für die Gäste ist das neue Angebot ein Gewinn, sondern auch für das Gewerbe in der Gemeinde Adelboden. Es bringt den Familienbetrieben zusätzliche Absatzkanäle und eine Plattform für den Sprung in die digitale Welt, der im Alleingang eine teure und aufwendige Herausforderung wäre.
Auch Tourismus und Gemeinde profitieren: Einerseits erhalten die Gäste einen zusätzlichen Service, der sie während des Ferienaufenthalts entlasten kann. Das ist gerade für die Familien mit Kindern, die im Ort die Mehrheit der Gäste stellen, wichtig. Anderseits wirkt sich das Innovationsprojekt auch positiv auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Dorf aus und stärkt nicht zuletzt den Ruf als moderner und aufgeschlossener Ferienort.
So breit der Kreis derjenigen, die von der digitalen Dorfstrasse profitieren – so stark abgestützt auch die Trägerschaft. Die grosse Unterstützung durch die Gemeinde Adelboden war zentral. Sie finanzierte die Erarbeitung des Antrags an die Neue Regionalpolitik (NRP) und übernahm bis nach der Erstellung der Machbarkeitsstudie die Trägerschaft. Diese reichte sie dann für die Projektumsetzung an die IG Dorf weiter, den Zusammenschluss des Gewerbes im Dorfkern rund um die Dorfstrasse. Wichtig war auch das Engagement der Tourismusorganisation TALK, die mit ihrer Marketingexpertise die Massnahmen in diesem Bereich konzipierte und die Werbeprodukte gestaltete.
Myni Gmeind (siehe Box) lancierte mit Gewerbe und Gemeinde zusammen das Projekt. Die Geschäftsstelle des Vereins erarbeitete dann das NRP-Gesuch zur Unterstützung durch den Kanton Bern und die Schweizerische Eidgenossenschaft – ohne diese grosszügig gesprochenen öffentlichen Fördermittel hätte die digitale Dorfstrasse nicht realisiert werden können. Myni Gmeind verfasste zudem mit den Akteuren vor Ort die Machbarkeitsstudie und setzte das Projekt in der zweiten Hälfte 2021 um.
Kooperation und Steigerung der Wertschöpfung
Die digitale Dorfstrasse befriedigt die heutigen Bedürfnisse der Gäste mit einer smarten Kombination von bewährter Servicequalität, Gastfreundschaft und modernen technologischen Möglichkeiten. Die Kooperation stärkt die lokale Wertschöpfung und sichert Arbeitsplätze.
Wie geht es weiter? Die Gewerbetreibenden und der Tourismus in Adelboden sind voller Elan, die digitale Dorfstrasse noch bekannter zu machen und das Angebot laufend auszubauen. An Innovationskraft und Ideen mangelt es nicht!
Und Myni Gmeind ist derzeit daran, das Projekt weiterzuentwickeln, damit zusätzliche Gemeinden von den Erfahrungen im Berner Oberland profitieren und eine eigene digitale Dorfstrasse – in gewissen Regionen vielleicht mit einem Fokus auf Pendler statt auf Touristen – schaffen können. Denn der Verbindung von analog und digital, so hat sich in Adelboden bestätigt, gehört auch im Detailhandel die Zukunft.
Sind Sie interessiert?
Wenn Sie sich vorstellen können, auch in Ihrer Gemeinde eine digitale Dorfstrasse zu schaffen, freut sich der Verein Myni Gmeind über Ihre Kontaktaufnahme. In einem unverbindlichen Erstgespräch unterstützt Sie der Verein bei einer Auslegeordnung zu Bedarf und Umsetzungsmöglichkeiten. Bitte wenden Sie sich an info@mynigmeind.ch.
Verein Myni Gmeind
Der 2018 gegründete gemeinnützige Verein Myni Gmeind unterstützt Gemeinden und Regionen. Die gemeinsamen Projekte zielen darauf ab, die Lebensqualität der Einwohner, die Attraktivität als Wirtschafts- und Arbeitsstandort sowie die Effizienz der Behördentätigkeit zu erhöhen. Der Schweizerische Gemeindeverband ist seit 2019 Partner des Vereins. Zahlreiche Unternehmen und Organisationen engagieren sich in Projekten und mit finanzieller Unterstützung.
Mehr Informationen auf www.mynigmeind.ch